Sabine Roth

Die Wälder von NanGaia


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Armen, und half ihm aus dem Wasser.

       Stöhnend sank Nantai ins Gras. „Warum sagte niemand, was hier geschieht? Ich hätte diese Prüfung besser ertragen, wäre ich darauf vorbereitet gewesen!“

       Der alte Mann hockte sich zu ihm. „Eine Herausforderung, auf die man vorbereitet ist, verliert ihre wahre Bedeutung“ sagte er, und verzog das faltige Gesicht zu einem verschmitzten Lächeln. „Allerdings muss ich zugeben, dass auch du für mich eine beachtliche Herausforderung warst. Noch nie hat sich jemand bei dieser Prüfung so hartnäckig gewehrt wie du. Ich fürchtete bereits, dass ich dich ertränke, ehe dein Wille bricht.“

       Abrupt setzte sich Nantai auf. „Das hättest du getan?“

       „Nein, das hätte ich nicht getan.“ Der alte Mann schmunzelte erneut. „Hättest du dich allerdings noch sehr viel länger verweigert, hätte ich dir die Begegnung mit den Geistwesen verwehren müssen – mit unabsehbaren Folgen für dein weiteres Leben.“

       Müde senkte Nantai den Kopf. „Das verstehe ich nicht“ murmelte er. „Warum musst du meinen Willen brechen, damit ich den Geistwesen begegnen darf?“

       „Ehe ich antworte, möchte ich, dass du in dich hineinhorchst, Nantai. Sage mir, ob du eine Veränderung in dir wahrnimmst. Sage mir, ob du noch immer derjenige bist, der mir hierher folgte.“

       Nantai schloss die Augen.

       Aber er fühlte nichts. Nur das Zittern seines Körpers im kühlen Herbstwind, und das aufgeregte Pochen seines Herzens, das sich noch immer nicht beruhigen wollte.

       Erst als er tiefer in sich hinein horchte, begriff er, dass seine Angst vor der Begegnung mit den Geistwesen verschwunden war. Es war, als habe es sie niemals gegeben.

       Verblüfft öffnete er die Augen wieder. „Was geschah mit mir?“

       Die dunklen Augen des Ältesten funkelten. „Als wir hierher kamen, warst du für die Botschaft der Geistwesen nicht bereit, Nantai. Du warst voller Ängste und Sorgen, und dennoch voller Erwartungen. Denn du hattest deinen Weg bereits gewählt, und wolltest ihn durch die Geistwesen bestätigt sehen. Aber noch größer war deine Angst, dass sie dir einen anderen Weg weisen. Nun erst bist du bereit, dich ihrem Willen zu unterwerfen - selbst wenn sie von dir fordern, was du nicht erhoffst.“

       Er erhob sich und streckte Nantai die Hand hin. „Steh auf und zieh dich an, dann bringe ich dich zu ihnen.“

       Der Älteste schritt rasch voran, in kurzem Abstand folgte Nantai, seltsam gelassen jetzt, und ohne Erwartungen. Sie mochten eine Stunde gelaufen sein, als der alte Mann stehen blieb. „Wir sind am Ziel.“

       Nantai schaute sich um. Auf den ersten Blick wirkte der Ort nicht ungewöhnlich, wenn man von den uralten Bäumen absah, die hier in großer Zahl wuchsen.

       Aber dann spürte er sie... Kaum merkliche, eigenartige Schwingungen, die aus einem Gebüsch mit leuchtend roten Blättern vor ihnen zu kommen schienen.

       Hier also sollte er den Geistwesen begegnen? Er hatte sich diesen Ort anders vorgestellt…

       „Warte hier.“

       Während der alte Mann zielstrebig auf das Gebüsch zuschritt, fiel Nantais Blick auf die Beeren, die in solch dicken Trauben an dessen Ästen hingen, dass diese fast den Boden berührten. Er stutzte. Er kannte diese Pflanze - einen Feuerbusch. Aber noch niemals hatte er sie Früchte tragen sehen.

       Ein Wink des Ältesten lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf andere Dinge. „Komm zu mir.“

       Nantai bemerkte die dunkle Öffnung im Boden erst, als er den alten Mann erreicht hatte. Von den Zweigen des Feuerbuschs verdeckt, war sie zuvor nicht zu erkennen gewesen, und er hätte sie vielleicht auch jetzt übersehen, wäre sie nicht die Quelle der Schwingungen gewesen. Wellen ungeheurer Energie drangen aus dem Loch am Boden, das ihm plötzlich so einladend erschien wie das geöffnete Maul einer gewaltigen Schlange.

       „Dort müssen wir hinein.“ Gelassen schob der alte Mann die störenden Zweige über der Öffnung zur Seite, setzte sich an deren Rand, rutschte mit den Füßen voran hinein, und war kurz darauf verschwunden.

       Nantai zögerte. Er hasste es, unter die Erde zu gehen.

       Weil ihn jedes Mal nach kurzer Zeit eine entsetzliche Panik begriff. Weil er jedes Mal viel zu bald nur noch ein einziges Ziel kannte: der bedrückenden Finsternis wieder zu entfliehen. Mühsam drängte er die aufkeimende Angst zurück, setzte sich an den Rand der Öffnung und tastete mit den Füßen vorsichtig in die Dunkelheit. Fand Stufen aus Fels, die schräg nach unten führten.

       Wenigstens würde er nicht in die finstere Tiefe springen müssen, wie er im ersten Moment befürchtet hatte.

       Er nahm einen tiefen Atemzug und füllte die Lungen ein letztes Mal mit der frischen Waldluft. Dann folgte er dem Ältesten in die Finsternis, die mit jeder Stufe zunahm - bis der letzte Rest von Tageslicht am Ende erlosch.

       Und mit jedem weiteren Schritt in der Finsternis wuchs die Angst.

       Dann endeten die Stufen plötzlich, und er spürte wieder flachen Boden unter den Füßen.

       Mit pochendem Herzen sandte er seine Sinne in die Dunkelheit. Wo waren die Geistwesen? Doch er fühlte ihre Nähe nicht, nur eine überraschend angenehme Wärme, die ihn freundlich willkommen hieß. Und als sie die letzten Reste der Kälte des Sees, und mit ihr die Angst, aus seinem Körper vertrieben hatte, fühlte er auch die seltsamen Schwingungen wieder.

       Um ein Vielfaches stärker jedoch als zuvor.

       „Folge mir“ sagte eine Stimme im Dunkel, so dicht neben ihm, dass er heftig zusammenzuckte. Vollkommen in seine Wahrnehmungen versunken, hatte er für den Augenblick vergessen, dass er nicht alleine gekommen war.

       Den alten Mann nur noch erahnend, betrat er einen Felsengang, der vom Ende der Treppe wegführte. Aber dieser Gang war tückisch.

       Immer wieder machte Nantai unliebsame Bekanntschaft mit dem harten Gestein, rieb sich fluchend Kopf oder Schultern, während der Älteste ungeachtet der Finsternis vor ihm her schritt, ohne ein einziges Mal stehen zu bleiben, ohne sich ein einziges Mal zu stoßen.

       Endlos lange dauerte es, bis sich in der Ferne ein schwacher Lichtschein abzeichnete. Erleichtert atmete Nantai auf. Tageslicht! Bald würden sie die Finsternis wieder verlassen! Denn die Angst, von der Wärme nur für kurze Zeit verdrängt, war mit großer Macht zurückgekehrt.

       Doch als der Älteste wenig später im Lichtschein stehen blieb, musste Nantai erkennen, dass er sich noch immer tief unter der Erdoberfläche befand. Der Felsengang hatte sich an dieser Stelle lediglich zu einem höhlenartigen Raum erweitert, in den durch eine Öffnung weit oben Licht hereindrang - Tageslicht. Zumindest darin hatte er sich nicht getäuscht.

       Aber der Weg hatte ihn nicht ins Freie geführt, sondern in eine gewaltige Kuppel aus Fels, in deren Mitte er nun stand - umringt von steinernen Wänden, die in sanftem Bogen nach oben strebten, ehe sie in der Öffnung mündeten, die dem Tageslicht Einlass gewährte.

       Seltsame Wände.

       Er näherte sich der, die ihm am nächsten lag, und streckte die Hand aus, um sie zu berühren. Ungewöhnlich hell und glatt, in einem fast lebendigen Glanz schimmernd, lud sie ihn förmlich dazu ein. Doch im nächsten Moment schrie er auf, und zog die Hand wieder zurück. Ein gewaltiger Energiestoß hatte ihn erfasst, sobald er den Felsen berührt hatte.

       „Was war das?!“ wandte er sich verstört an den alten Mann.

       Der verzog das faltige Gesicht zu einem rätselhaften Lächeln. „Die Kräfte, die in diesen Wänden wohnen, sind für gewöhnliche Sterbliche viel zu stark. Normalerweise vernichten sie den, der ihnen so nahe kommt.“

       „Warum hast du mich nicht vor ihnen gewarnt?“

       „Weil es normalerweise gar nicht möglich ist, sie zu berühren“ stellte der Älteste gelassen fest. „Dass du es trotzdem konntest, könnte ein Hinweis auf deine Gabe sein. Aber darüber werde ich mir zu gegebener Zeit Gedanken machen. Im Augenblick sind andere Dinge wichtig.“ Er wies auf den Boden. „Setze dich dort.“

       Nantais Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Alten.