Laura Herges

Lost in London


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Und da drinnen können wir auch das Licht anmachen, hier sind keine Fenster.

      „Okay“, murmele ich und gehe in das winzige Bad. ‚Winzig‘ ist hier nicht übertrieben, denn in dem gesamten Raum ist tatsächlich gerade so Platz für das Campingklo und das Waschbecken, über dem zum Glück kein Spiegel hängt. Auf meinen Anblick kann ich gerade wirklich gut verzichten. Sonst gibt es hier nichts, noch nicht einmal einen Haken für ein Handtuch. Es steht noch nicht einmal Seife auf dem Waschbeckenrand. Aber das ist alles nur halb so schlimm, denn ich bin ja sowieso von oben bis unten mit dreckigem Flusswasser bedeckt. Ich stelle mich über die Toilette, während ich pinkele, damit ich die Klobrille nicht berühren muss. Immerhin eine Rolle Klopapier finde ich unter dem Waschbecken. Ich war zwar noch nie campen, aber diese Toilette gehört tatsächlich zu den ekelhaftesten Dingen, die ich je gesehen habe. Und wenn man die dann auch noch ausleeren muss, wie die fehlende Toilettenspülung erahnen lässt, na dann gute Nacht…

      Ich schaudere, als ich meine eiskalte, klatschnasse Hose wieder hochziehen muss. Sie klebt an meinen Oberschenkeln und ist schrecklich schwer. Meine Zähne haben angefangen zu klappern. Je länger ich aus dem Wasser raus bin, desto stärker spüre ich die Kälte, die es in jeder Faser meines Körpers zurückgelassen hat. Ich versuche, mich zusammenzureißen und presse meine Kiefer fest zusammen, um das Zittern zu unterbrechen.

      Ich mache das Licht wieder aus und gehe zurück in das andere Zimmer. Blake hat inzwischen seinen Rucksack ausgeleert und dessen Inhalt auf den Tisch gelegt: Sein Handy, zwei zum Trocknen ausgebreitete Pfundscheine, ein paar Münzen, zwei völlig durchnässte Päckchen Taschentücher, ein Fläschchen Desinfektionsmittel, ein Handyladekabel, das jetzt vermutlich nicht mehr funktioniert, ein Taschenmesser. Immerhin ist er gut für ein Leben auf der Straße ausgerüstet…

      „Ein paar von meinen Sachen waren in meinem Schlafsack. Und mein Handy ist anscheinend kaputt gegangen“, sagt Blake, als er mich erblickt, „Ist ja auch kein Wunder… Na ja, wenn es eine Weile trocknet, geht es vielleicht wieder…“ Ich höre, dass er selbst nicht daran glaubt. „Aber ich habe auch gute Nachrichten.“ Er greift nach einer Plastiktüte, die auf dem Stuhl liegt. „Ich hab hier drin immer ein paar Kleider zum Wechseln. Sie war zugeknotet, als wir die Brücke runtergesprungen sind und es ist tatsächlich noch alles, was da drin ist, trocken. Jetzt müssen wir die Sachen nur noch unter uns aufteilen.“

      „Ich will dir nicht auch noch deine Kleider wegnehmen“, erwidere ich zitternd.

      „Phoebe“, Blake sieht mich wieder mit diesem intensiven und gleichzeitig irgendwie abwesend wirkenden Blick an, „Wir müssen aus unseren nassen Sachen raus, sonst holen wir uns noch den Tod. Also…“ Er nimmt die Tüte, greift hinein und holt die Sachen einzeln raus. „Hier habe ich eine Jogginghose… zwei Paar Socken – für jeden von uns eins – zwei Paar Boxershorts, einen Kapuzenpullover und ein T-Shirt. Was davon willst du?“

      Ich zucke mit den Schultern.

      „Hey, vielleicht ist in der Truhe da ja noch irgendwas, was wir brauchen könnten“, meint er und geht zu der Truhe, die in der Ecke steht. Er öffnet sie vorsichtig und starrt einen Moment hinein, bevor er eine Decke herausnimmt.

      „Die können wir für heute Nacht nehmen“, meint er und greift ein weiteres Mal hinein. Er hält eine Truckercap in der Hand. „Nicht ganz das, was ich erwartet hab, aber als Tarnung auch nicht schlecht.“ Blake greift noch einmal in die Truhe und befördert eine alte Jacke mit Holzfäller-Karo-Muster zutage. „Die nehme ich, dann kannst du meinen Pullover haben“, meint er.

      „Nein, Blake, du musst wirklich nicht…“

      „Ich will es aber“, unterbricht er mich, nimmt die Jacke und geht damit zurück zu dem Stuhl, auf dem seine Kleider ausgebreitet liegen.

      „Okay, du bekommst ein Paar Socken, den Pulli… Du kannst auch die Hose haben, dann hoffen wir einfach, dass meine oder deine bis morgen früh getrocknet ist.“ Er reicht mir die Sachen und zögert einen Moment lang. „Die Boxershorts sind frisch gewaschen…“, meint er dann und senkt beschämt den Blick. Ich strecke die Hand aus und er gibt mir ein Paar.

      „Im Bad ist es zu eng, um sich dort umzuziehen…“, sage ich zögernd und spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt.

      „Okay“, entgegnet er unschlüssig.

      „Ich bleibe hier und ziehe mich um, und du tust es dort hinten. Und wehe du guckst!“, sage ich, was ihn zum Lachen bringt. Dann drehe ich mich um, lege die Sachen auf den Boden und werfe noch einmal einen Kontrollblick zu Blake, bevor ich zögernd meinen Pulli über den Kopf ziehe. Als nächstes ziehe ich meine Stiefel und Socken aus und streife meine Hose ab. Auch wenn ich es gerade selbst gefordert habe, bin ich nun doch ein wenig neugierig. Ich fasse mir ein Herz und riskiere einen schnellen Blick zu Blake. Vor Aufregung stockt mir der Atem. Er steht mit dem Rücken zu mir, so, wie ich es von ihm verlangt habe. Sein Oberkörper ist nackt und er ist gerade dabei, seine Jeans auszuziehen. Schnell streift er sie ab, steigt aus den Hosenbeinen und trägt jetzt nur noch seine dunklen Boxershorts. Ich habe ja schon die ganze Zeit über gesehen, wie sportlich er ist, aber jetzt wird es mir noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen geführt: Blakes Schultern sind breit, und im dämmrigen Licht der Straßenlaternen lässt sich das Spiel seiner Muskeln unter der glatten Haut erahnen, während er sein T-Shirt nimmt und es überstreift.

      Er ist schön, denke ich, und muss mich schnell von seinem Anblick losreißen, damit er nicht vor mir fertig ist – und damit er nicht merkt, dass ich ihn anstarre. Ich schlüpfe schnell aus meiner Unterwäsche, ziehe Blakes Boxershorts an, nachdem ich zuerst daran gerochen, und mich vergewissert habe, dass sie auch wirklich gewaschen sind, und ziehe danach den Pulli und die Jogginghose an. Als letztes schlüpfe ich in die Socken und ziehe die Kapuze des Pullovers auf, damit meine Haare schneller trocknen. Sowohl die Boxershorts als auch die Jogginghose sind mir natürlich viel zu weit, deshalb ziehe ich die Bänder der Jogginghose zusammen und verknote sie, sodass die Hose nicht mehr rutscht.

      „Bist du fertig?“, fragt Blake.

      „Ja“, erwidere ich, „Und du?“ Ich drehe mich um und bin überrascht, als Blake mir bereits gegenüber steht. Als er sieht, dass ich erschrecke, lächelt er entschuldigend, legt seine Hände an meine Arme und schiebt mich behutsam zur Seite. Dann bückt er sich zu der Truhe, vor der ich gestanden habe, und holt die Decke heraus.

      „Hör mal, das soll jetzt keine billige Anmache sein oder so, aber wahrscheinlich trocknen wir schneller, wenn wir uns gegenseitig wärmen…“, meint Blake, während er zurück zu dem Stuhl geht. Fragend sieht er mich an und ich nicke eilig, bevor ich meine Kleider vom Boden aufhebe und sie zum Trocknen auf die Truhe lege. Blake hat seine Sachen bereits auf dem Stuhl ausgebreitet.

      „Blöd, dass ich meinen Schlafsack am Tower zurückgelassen hab. Sieht wohl so aus, als ob wir auf dem Boden schlafen müssen. Immerhin haben wir einen Teppich, auf den wir uns legen können…“ Es scheint ihm nichts auszumachen, die Nacht mit mir auf dem Boden verbringen zu müssen. Klar, er ist es ja so gewohnt… Obwohl Blake gerade nur Boxershorts anstelle einer richtigen Hose, und dazu noch die hässliche Holzfäller-Jacke trägt, sieht er immer noch gut aus, sogar mit seinen verstrubbelten, nassen Haaren.

       Aber er ist arm. Vergiss ihn!

      Er setzt sich auf den Boden und breitet die Decke über seine Beine aus, dann blickt er mich an.

      „Kommst du?“, fragt er, „Wir können beide eine Mütze Schlaf vertragen.“

      Erneut nicke ich stumm und gehe zu ihm. Er schlägt die Decke zur Seite, und ich lasse mich neben ihn auf den Boden sinken. Ich sehe ihn an, und er erwidert meinen Blick. Es ist ganz still, und weder er noch ich sehen weg. Das scheint einer dieser Momente zu sein, in denen einfach alles passieren könnte. Doch etwas hält mich zurück. Ich lasse seinen Blick los und lege mich auf die Seite, mit dem Rücken zu ihm. Als ich höre, wie Blake sich ebenfalls auf den Teppich sinken lässt, rücke ich enger an ihn, und er legt zögernd seinen Arm um meine Taille. Augenblicklich wird mir wärmer. Ich genieße das leichte Gewicht seines Armes, der sich unter meinen Atemzügen beinahe unmerklich hebt und senkt. Obwohl mir immer noch kalt ist, und wir beide