Laura Herges

Lost in London


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spricht nicht weiter und ich bin unschlüssig, was ich tun soll. Spontan ergreife ich seine Hand. „Das tut mir leid“, sage ich leise.

      Blake sieht mich einen Moment lang an, dann senkt er seinen Blick wieder und erzählt weiter: „Nach ihrem Tod bin ich erst mal in ein tiefes Loch gefallen. Ich hab drüber nachgedacht, mein Studium abzubrechen, aber dann habe ich mich dafür entschieden, erst mal ein Semester lang auszusetzen. Meinem Vater hat das natürlich gar nicht geschmeckt. Er ist total ausgerastet, als ich es ihm gesagt habe. Ich werde die Worte, die er gesagt hat, nie vergessen: ‚Deine Mutter wäre enttäuscht von dir, wenn sie dich jetzt sehen könnte.‘“ Ich sehe die Wut in seinem Gesicht. Doch er lässt nicht zu, dass sie aus ihm hervorbricht. „Dann bin ich gegangen“, sagt er und sieht mich an.

      Ich erwidere seinen Blick einen Moment lang und schaue dann weg. Was er mir gerade erzählt hat, ist schrecklich. Einen Elternteil zu verlieren ist das Schlimmste, was ich mir überhaupt vorstellen kann – und wenn dann der andere Elternteil auch noch so reagiert, ist es nachvollziehbar, dass Blake abgehauen ist.

      „Aber hättest du nicht zu einem deiner Freunde gehen können?“, frage ich zögernd.

      „Was für Freunde?“, erwidert er mit einem zynischen Lachen, „Ich habe dir doch gerade erklärt, dass die dich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, sobald sie genug von dir profitiert haben. Und wenn ich zu einem meiner Kommilitonen gegangen wäre, hätte der mich sofort an meinen Vater verpfiffen. Er kann ziemlich… einschüchternd auf andere Leute wirken.“

      „Hat dein Vater keine Vermisstenanzeige aufgegeben?“

      Blake zuckt mit den Schultern. „Ich glaube nicht. Wahrscheinlich wäre es ihm peinlich vor seinen Kollegen und Bekannten gewesen. Sie hätten gesehen, dass er als Vater versagt hat. Und sein Ansehen war ihm schon immer wichtiger als ich…“

      Ich versuche, mir Blakes Vater vorzustellen – einen Mann, der so grausam sein kann, dass sein Sohn vor ihm auf die Straße flieht und dann noch nicht einmal versucht, ihn zu finden. Für mich ist das einfach unvorstellbar.

      „Und was hast du jetzt vor?“, frage ich weiter.

      „Wie meinst du das?“ Blakes Stimme klingt müde, als hätte er jetzt genug von meiner dauernden Fragerei.

      „Na ja… Du kannst ja nicht vorhaben, für immer auf der Straße zu leben, oder? Willst du nicht wieder zurück an die Uni gehen?“

      „Von was denn?“, erwidert er, „Mein Vater hat mir den Geldhahn zugedreht, als ich abgehauen bin – würde ich vermutlich genauso machen. Wahrscheinlich hat er gedacht, dass ich dann reumütig zu ihm zurück gekrochen komme, aber da hat er sich getäuscht.“

      Ich schaue weg. Es ist mir unangenehm, Blake von so etwas Persönlichem wie der Beziehung zu seinem Vater sprechen zu hören. Wir kennen uns erst seit heute Abend und unter normalen Umständen hätten wir nie über so etwas gesprochen. Unter normalen Umständen hätten wir uns gar nicht kennengelernt. Ich schaue ihn zögernd wieder an. Sein Blick scheint in weite Ferne zu gleiten.

      „Hör mal, Blake“, sage ich vorsichtig, „wenn es nur am Geld scheitert, kann ich dir helfen. Meine Eltern bezahlen mein Studium, und das ist echt keine große Sache für sie. Ich bin mir sicher, ich könnte sie davon überzeugen, dir zu helfen…“

      „Du würdest einem Wildfremden, den du gerade eben erst kennengelernt hast, ein Studium in Oxford bezahlen?“, fragt Blake lächelnd.

      „Du warst in Oxford?“, erwidere ich überrascht.

      Ertappt zuckt er zusammen.

      „Wow, das ist echt beeindruckend. Hattest du gute Noten?“

      „Ich war nicht schlecht“, winkt er ab, „Aber wegen deinem Vorschlag eben: Das kann ich nicht annehmen, Phoebe.“ Ich mag es, wie er meinen Namen mit seinem britischen Akzent ausspricht. Meine Freundinnen haben im Vorfeld meiner Reise Witze darüber gemacht und gemeint, ich solle mir doch einen Engländer mit einem sexy Akzent krallen. Ich habe dabei nur die Augen verdreht.

      „Ich will keine Almosen von dir“, fährt er fort, „Ich komme schon allein klar.“

      „Nein, tust du nicht!“, erwidere ich energisch, „Sonst wärst du jetzt nicht hier…“

      Blake seufzt. „Lass uns über etwas anderes reden, okay?“, meint er.

      Ich nicke widerwillig.

      „Deine Eltern sind also gerade auf diesem IT-Kongress im Van Doyle-Tower?“

      „Hast du schon mal was davon gehört?“, frage ich überrascht.

      „Der findet jedes Jahr statt und ist dann immer in allen Medien, weil da IT-Mogule aus aller Welt kommen: Terada, Al Aguim und Sörensen sind dieses Jahr die bekanntesten, habe ich in einer Zeitung gelesen“, entgegnet er schulterzuckend.

      „Ja, meine Eltern haben sich seit Monaten darauf gefreut“, erwidere ich, „Mein Dad will einen Deal mit ein paar internationalen Konzernchefs einfädeln, und am liebsten wäre ihm einer mit diesem van Doyle. Der ist der reichste Mann Londons, glaube ich.“

      „Sogar reicher als die Queen“, bestätigt Blake.

      „Er hofft, dass unsere Hardware-Firma dann auch in Europa bekannt wird.“

      „Wie heißt eure Firma?“, fragt er.

      „Shamrock Computers“, erwidere ich, „Glaube nicht, dass dir das etwas sagt.“

      Er schüttelt den Kopf.

      „Offiziell sind wir hier, damit meine Eltern auf den Kongress gehen, und wir uns danach noch Unis anschauen können, aber eigentlich wollen sie nur den Deal einfädeln. Die Unis sind eigentlich nur ein Vorwand, damit ich nicht zu Hause bleibe und unser Haus mit wilden Partys zerstöre…“

      Blake lacht. Er hat ein angenehmes, tiefes Lachen, ich mag seine Stimme irgendwie.

      „Der Kongress dauert aber noch zwei Tage und dieser van Doyle hat ein Handy-Verbot erlassen, deshalb kann ich auch meine Eltern nicht anrufen.“ Als ich das ausspreche, trifft es mich plötzlich wie ein Schlag. Ich schaue Blake geschockt an. „Was, wenn van Doyle hinter dem Überfall und den Lösegeldforderungen steckt?“

      Doch Blake winkt nur ab: „Das glaube ich nicht. Der Typ hat Milliarden. Ein paar Millionen Lösegeld wären für den doch nur Peanuts. Wieso sollte er dafür so einen Aufwand betreiben.“

      „Stimmt, das wäre unlogisch“, erwidere ich, „Aber wer könnte es dann sein? Wer ist dieser Typ mit der verzerrten Stimme?“

      „Ich habe keine Ahnung“, meint Blake.

      „Ich wünschte wir hätten Bodyguards, dann wäre das Ganze nie passiert“, seufze ich.

      „Habt ihr nicht?“, fragt Blake lachend.

      „So reich sind wir jetzt auch wieder nicht“, entgegne ich und spüre mit einem Mal, wie müde auch ich geworden bin. Ich sitze zwar nicht gerade bequem angelehnt an ein Regal, und meine Glieder tun mir weh von all dem Rennen und dem Aufprall auf den Boden vorhin, aber in diesem Moment könnte ich überall schlafen – buchstäblich überall.

      „Hast du dir vorhin eigentlich wehgetan, als ich dich umgerissen hab?“, fragt Blake genau in dem Augenblick.

      „Geht schon“, erwidere ich. Nach einem Moment füge ich zögernd hinzu: „Danke.“

      „Danke wofür?“, fragt Blake.

      „Soll das ein Scherz sein?“, erwidere ich lächelnd, „Du hast mir heute ein paar Mal das Leben gerettet. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht gewesen wärst. Und…“ Ich zögere. „Und du machst mir noch nicht mal Vorwürfe, weil du wegen mir in diese Scheiß-Situation geraten bist. Ein anderer hätte mich vermutlich von Anfang an allein gelassen und nur sich selbst gerettet.“

      „Aber ich kann dich doch nicht einfach so im Stich lassen“, erwidert Blake.

      „Das