Laura Herges

Lost in London


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dann ängstlich neben Blake in die Telefonzelle. Dieser tritt so nah zu mir, dass seine Stirn meine beinahe berührt, und hält den Hörer so, dass wir beide den Worten lauschen können, die der Mann am anderen Ende nun sagt. Angespannt halte ich den Atem an.

      „Hallo Kleine“, sagt eine tiefe Stimme, die offensichtlich von irgendeinem Computer verzerrt wird.

      „Wer sind Sie?“, frage ich, doch der Mann lacht nur. Oder ist es überhaupt ein Mann? Der Verzerrer macht es unmöglich, zu sagen, wie sich die Stimme in echt anhören würde.

      „Das ist jetzt nicht von Relevanz“, übergeht er meine Frage, „Was jetzt wichtig ist, ist, dass ihr beide mir gut zuhört. Zuerst einmal: Es wird keine Polizei eingeschaltet. Nicht jetzt, und später auch nicht.“

      „Was?“, stoße ich entsetzt hervor, „Soll das etwa heißen, Sie stecken hinter dem Überfall vorhin?“

      „Sieh an, die Kleine denkt mit!“, erwidert er spöttisch.

      Blut steigt in meine Wangen und ich spüre erneut einen fetten Kloß in meinem Hals.

      „Wie gesagt, keine Polizei, denn sonst wird im Van Doyle-Tower eine klitzekleine Bombe detonieren. Nichts Großes, das Gebäude wird nicht einstürzen oder so. Aber doch groß genug, um alle Menschen, die sich im Kongresssaal aufhalten, zu töten.“

      Mir wird plötzlich schwarz vor Augen und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich muss mich an Blake festhalten, sonst, so fürchte ich, werde ich das Bewusstsein verlieren.

      „Woher wissen Sie das?“, frage ich mit erstickter Stimme, „Woher wissen Sie, dass meine Eltern auf dem Kongress sind?“

      Es folgt nur Schweigen. Anscheinend findet er, dass meine Frage es nicht wert ist, von ihm beantwortet zu werden.

      „Was wollen Sie überhaupt von uns?“, stoße ich hervor und meine Stimme bricht, während mir Tränen über die Wangen laufen.

      „Ist das nicht offensichtlich?“, fragt er.

      „Ihre Schläger haben sich schon meine Tasche unter den Nagel gerissen. Da war ein Haufen Geld drin und ein Handy, das vermutlich mehr wert ist als Ihr Auto!“, schreie ich in einer Mischung aus Verzweiflung und Wut. Doch am anderen Ende der Leitung höre ich nur ein höhnisches Lachen.

      „Ich schwöre Ihnen“, stoße ich voller Hass hervor, „Wenn Sie meinen Eltern irgendwas antun, dann…“

      „Was dann?“, fragt er scheinbar amüsiert, „Du hast keine Ahnung, wer ich bin. Wie willst du mich denn finden, Schätzchen?“

      „Er will Lösegeld, Phoebe“, sagt Blake niedergeschlagen. Er kann mir dabei kaum ins Gesicht sehen.

      Mir laufen ununterbrochen Tränen übers Gesicht, als der Mann weiterspricht: „Ganz genau. Aber ich will nicht nur das. Ich will bei dem Ganzen auch noch ein wenig Spaß haben. Kennt ihr beide Räuber und Gendarme?“

      Keiner von uns erwidert etwas.

      „Das macht nichts“, fährt er fort, „Wir drei werden ein wenig Fangen spielen, und mit drei meine ich euch beide gegen mich – und ein wenig Unterstützung von meinen Männern. Ihr wisst schon, die, die ihr vorhin schon kennenlernen durftet…“

      „Wenn Sie Lösegeld wollen“, frage ich mit tränenerstickter Stimme, „Warum haben diese Männer dann vorhin auf uns geschossen?“

      „Nun, Lösegeld bedeutet zwar, dass ich euch nicht töten werde, aber es bedeutet nicht, dass ich euch nicht ein wenig wehtun darf.“ Mir wird übel von der Vorfreude, die unverkennbar aus seiner Stimme klingt.

      „Meine einzige Bedingung bei dem Spiel ist, wie gesagt, dass ihr euch keine Hilfe holt. Das wäre ja dann geschummelt, oder nicht? Also: Keine Polizei und auch sonst keine Unterstützung. Denn sonst wäre ich leider gezwungen, denjenigen umzulegen. Ihr dürft mit niemandem sprechen. Wenn ihr auch nur mit einem einzigen Menschen redet, jage ich den Konferenzsaal im Van Doyle-Tower sofort in die Luft. Und denkt daran: Ich habe meine Augen überall.“

      Mir ist eiskalt und ich habe plötzlich Kopfschmerzen. Vor Angst kann ich nichts erwidern. Doch das ist auch gar nicht mehr nötig, denn im nächsten Moment ertönt auch schon ein Tuten, das uns zeigt, dass er aufgelegt hat. Entsetzt sehe ich Blake an. Auch in seinem Blick liegen Verzweiflung und Panik.

      Kapitel 3

       City of London, London. Dienstag, 20:41 Uhr.

      „Und was jetzt?“, frage ich mit vor Angst schrill klingender Stimme.

      „Wir müssen von hier verschwinden“, sagt Blake. Auch er klingt gehetzt. „Er hat seine Männer bestimmt schon her gelotst, während wir mit ihm telefoniert haben.“

      „Warum musstest du auch rangehen?“, schreie ich und meine Stimme überschlägt sich beinahe, „Ich hab dir gesagt, dass du das lieber nicht tun solltest, aber du konntest ja nicht auf mich hören!“

      „Ist das dein Ernst?“, erwidert er sofort und tritt aus der Telefonzelle, „Glaubst du etwa, wenn ich nicht abgenommen hätte, würden die Typen uns jetzt nicht verfolgen?“

      Ich erwidere nichts. Ich kann nichts erwidern, weil mir Tränen übers Gesicht laufen. Stattdessen sehe ich Blake nur an, bemüht, irgendwie meine Fassung zu wahren.

      Blake seufzt. Anscheinend versucht er ebenfalls vergeblich, sich irgendwie zu beruhigen.

      „Tut mir leid, okay?“, sagt er dann, „Aber wir müssen hier schleunigst verschwinden. Also komm jetzt!“

      Ich folge seiner Aufforderung, voller Angst, was uns jetzt wohl erwarten möge. Und erneut fliehen wir beide. Wie vorhin rennen wir auch jetzt, nur, dass unsere Verfolger uns dieses Mal nicht direkt auf den Fersen sind. Doch von einer unsichtbaren Gefahr umgeben zu sein fühlt sich auch nicht gerade besser an. Ich denke an meine Eltern, wie sie jetzt im Van Doyle-Tower sitzen, völlig ahnungslos, in was für einer Gefahr ich gerade schwebe. Und in was für einer Gefahr sie schweben.

      Ich kann nicht aufhören zu weinen, zu schmerzhaft ist der Gedanke daran, was meinen Eltern droht, falls die Bombe tatsächlich hochgeht. Klar, wir waren nicht immer einer Meinung und haben uns auch manchmal gestritten, aber sie sind gute Eltern. Sie sind die besten Eltern, die ich mir vorstellen kann, haben mir erlaubt, jede Universität, auf die ich gehen möchte, zu wählen, und ich habe ihnen nie dafür gedankt. Es gibt so viele Dinge, die ich ihnen noch sagen möchte, so viele Fragen, die ich ihnen noch stellen will.

      Langsam, jetzt nicht verzweifeln!, sage ich mir selbst im Geiste. Vielleicht schaffen wir es ja. Vielleicht können wir diesen Verbrechern entkommen und irgendwie einen Notruf abschicken. Es muss einfach irgendwie möglich sein. Ich kann meine Eltern doch nicht irgendeinem Irren überlassen! Aber wenn ich einen Notruf absende, und er bekommt das mit, dann sind meine Eltern zum Tode verurteilt. Ich weiß nicht mehr weiter, und mit jedem Schritt werde ich verzweifelter.

      „Blake, meine Eltern… Was soll ich nur tun?“, stoße ich hervor, während ich mit brennender Lunge weitereile.

      „Keine Angst“, erwidert er, „Diese Drecksäcke kriegen uns nicht. Und deinen Eltern passiert auch nichts. Er hat doch gesagt, dass er die Bombe nur zündet, wenn wir jemanden um Hilfe bitten.“

      „Und wie sollen wir das ohne Hilfe bitte schaffen?“, entgegne ich wütend.

      „Indem wir erst mal untertauchen“, erwidert er.

      „Hast du Erfahrung mit so was?“, frage ich keuchend.

      „Nein“, entgegnet er zögernd, „Aber auf der Straße habe ich gelernt, mich durchzuboxen. Vertrau mir einfach!“

      Das ist leichter gesagt als getan. Ich habe diesen Typen vor gefühlten fünf Minuten zum ersten Mal getroffen, wie soll ich ihm da jetzt vertrauen? Andererseits: Habe ich überhaupt eine andere Wahl? Ich will wieder zurück in mein sicheres,