Lage ihn zu sehen. Die Mietshäuser waren zu verwinkelt gebaut. Und dazwischen wuchsen hohe Bäume.
»Ich komme wieder herein«, rief er zurück. Beim Schließen der Balkontür fiel ihm die Pokerrunde ein, der er den Revolver zu verdanken hatte. Einem Spieler in der Runde ging damals das Geld aus. Er bot seinen Revolver, den er zu Hause hatte, als Einzahlung an. Alle akzeptierten. Und Karsten gewann die Runde. Mit der Handvoll Munition hierzu, schoss er eines Nachts einen Probeschuss im Stadtpark ab. Von der Wirkung war er überrascht. – Nachdem er wieder im Wohnzimmer war, umklammerte seine rechte Hand das kühle Metall in der Hosentasche. Nun galt es nur noch zu warten, bis der andere kam.
Bald darauf läutete es an der Wohnungstür. Karsten Höppner öffnete die Tür, so weit wie möglich. Vor ihm stand Wolfgang Kunze. Heike kam kurz aus der Küche heraus und blieb überrascht stehen. Karsten zielte mit dem Revolver auf sie. Sie stand immer noch erschrocken und wortlos da. Gleich darauf zerriss ein zweimaliges Knallen die Stille. Heike Greve sackte in sich zusammen.
Wolfgang Kunze starrte mit aufgerissenen Augen Karsten an. Hierbei schritt er umständlich rückwärts. Mit einem Mal drehte er sich abrupt um und stolperte die Treppe so schnell herunter, wie es ihm möglich war.
Karsten Höppner schlug die Wohnungstür kräftig zu. Danach griff er zum Telefonhörer und wählte die Nummer vom Notruf. »Frau Greve wurde soeben getötet. Sie wurde erschossen.« Er nannte seinen Namen und gab die Anschrift durch. Dann legte er auf und begab sich auf den Balkon. Ein wenig umständlich befestigte er den Revolver wieder am Karabinerhaken. Gleich darauf griff er das lose baumelnde andere Ende des Bändchens. Behutsam zog er daran. Nach und nach bewegte sich der Revolver in Richtung des Balkons über ihm. Nachdem die Waffe aus seinem Blickfeld verschwand, klemmte irgendetwas. Er zog mehrmals hintereinander am Bändchen, um gleich wieder ein wenig nachzugeben. Das dünne Band ließ sich daraufhin etwas höher ziehen, in Richtung seines Balkons. Kurze Zeit später klemmte die Waffe erneut. Der Revolver musste nun an der inneren Balkonbrüstung anliegen, überlegte er. Dann riss er einmal kräftig am Bändchen. Kurz danach hatte er nur noch ein schlaffes dünnes Band in der Hand, das er schmunzelnd dem Wind übergab. Aus der Ferne hörte er das Signalhorn der Polizei und sah ein blitzendes blaues Licht. Er begab sich zurück ins Wohnzimmer und schloss die Balkontür.
Es dauerte nicht lange, bis es stürmisch an der Wohnungstür läutete. Karsten Höppner öffnete die Tür mit angsterfüllter Miene.
»Kommissar Steffen«, stellte sich der Ältere vor. »Herr Kröger«, mein Assistent. Bei diesen Worten deutete er auf den neben ihm Stehenden. Mit den Kriminalbeamten kam als erstes der Notarzt in die Wohnung und sofort darauf die Mitarbeiter der Spurensicherung.
»Karsten Höppner«, sprach der Angesprochene mit belegter Stimme. »Er hat Heike erschossen. Und als er die Waffe auf mich richtete, konnte ich gerade noch rechtzeitig die Tür zuknallen.«
»Wer hat die Person erschossen?«, wollte Kommissar Steffen wissen.
»Wolfgang Kunze. Er versuchte mir die Tote, Heike Greve, auszuspannen. Anfangs gelang das auch. Aber bald merkte Heike, dass Wolfgang ein Schlitzohr war. Wir hatten für heute eine Aussprache vereinbart. Heike bat mich, ein wenig früher zu kommen. Sie wollte nicht mit Wolfgang allein sein, falls er früher kam. Wahrscheinlich ahnte er oder hat es sogar gewusst, dass Heike nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Vielleicht sah er keinen anderen Weg, als sie und mich zu töten. Wobei mir es gerade noch gelang, die Tür zuzuschlagen. Mit ziemlicher Sicherheit hätte es mich sonst auch erwischt.«
Kröger hatte in der Zwischenzeit bei der Nachbarin geklingelt.
»Zweimal hat jemand die Tür nebenan zugeknallt«, sprach die ältere Nachbarin. »Ich habe mich geärgert und wollte wissen, was da los war. Nachdem ich durch den Tür-Spion sah, knallte die Tür ein drittes Mal. Und bis Sie kamen, habe ich die ganze Zeit durch den Spion gesehen.«
»Das heißt«, wollte Kröger wissen, »nachdem die Tür das dritte Mal zugeschlagen wurde, hat sie keiner mehr aufgemacht?«
Die Nachbarin nickte heftig.
Kommissar Steffen hörte dem Gespräch konzentriert zu. Gleich darauf sprach er: »Durchsucht die Wohnung von Frau Greve nach einer Waffe. Und Sie, Herr Höppner, werden sich jetzt einer Leibesvisitation unterziehen …«
»Was…?«, schrie dieser. »Bin ich der Mörder …?«
»Nach einer Waffe«, sprach Kröger gelassen. »Falls Sie eine Schusswaffe bei sich tragen, muss es nicht die Tatwaffe sein«, ergänzte er trocken.
Der Kommissar räusperte sich. »Während die Jungs hier arbeiten, sehen wir uns einmal an, was vor dem Haus so alles passiert. Ich frage nur mal den aktuellen Sachstand bei der Spurensicherung und dem Arzt ab.« Dann schritt er in Richtung Treppenhaus und seufzte: »Komm Kröger, lass uns etwas für die Gesundheit tun und die Treppen benutzen.«
»Zumal es keinen Aufzug gibt«, ergänzte dieser.
Vor dem Haus standen mehrere Streifenwagen. Kommissar Steffen verschaffte sich einen Überblick. Neben einem der Wagen fiel ihm eine männliche Person auf, die sich mit einem Polizeibeamten unterhielt und hierbei heftig mit Armen und Beinen gestikulierte. Auf diese Person schritt er schnurstracks zu.
»Wolfgang Kunze«, stellte der sich vor. »Sind Sie der ermittelnde Beamte?«, fragte er Kommissar Steffen.
Dieser nickte. »Wir sind zu zweit. Soeben haben wir eine Fahndung nach Ihnen eingeleitet, Herr Kunze. Sie sollen Frau Greve getötet haben.«
Trotz dem hektischen Treiben um sie herum, war es mit einem Mal still.
Das künstliche halblaute Lachen von Wolfgang Kunze, zog die Aufmerksamkeit der Umstehenden an. »Ich soll Heike getötet haben?«, rief er. »Ich?! Der Mörder ist noch in der Wohnung! Karsten Höppner hat Heike erschossen. Vor meinen Augen. Und dann wollte er mich auch noch erschießen. Ich habe Glück gehabt, dass er mich nicht erwischte. Wie ein Verrückter bin ich die Treppen hinuntergerannt. Was macht der Kerl jetzt da in der Wohnung? Trinkt er seelenruhig einen Kaffee?«
»Nun«, sprach der Kommissar, »Herr Höppner behauptet, dass Sie Heike Greve getötet haben. Sicherlich können wir mehr sagen, wenn wir die Tatwaffe gefunden haben.«
Wolfgang Kunze atmete kräftig durch. »Die Pistole …«
»Revolver! Unsere Spurensicherung und der Arzt vermuten, auf Grund der Form der Einschussstelle, als Tatwaffe einen Revolver«, korrigierte ihn der Kommissar. »Das sind die Dinger, mit denen in den Western herumgeballert wird.«
»Meinetwegen«, entgegnete der andere genervt. »Dieser Revolver muss schließlich noch in der Wohnung sein. Der kann sich nicht in Luft aufgelöst haben, nicht wahr?«
Kommissar Steffen winkelte den Kopf an, nickte und sah dem anderen grübelnd ins Gesicht. »Nur«, äußerte er sich ein wenig genauer, »wenn wir in der Wohnung keinen Revolver finden, was dann?«
Mit einem Mal fielen dem Kommissar zwei zehnjährige Jungen auf, die ungehalten mit einigen Polizeibeamten sprachen. In der Hand trugen sie einen Baumwollbeutel.
»Da kommt Herr Höppner!« Kröger zeigte mit dem Finger in Richtung Haustür. Gleichzeitig wies er zwei Beamte an, Wolfgang Kunze in einen der Streifenwagen zu setzen.
Über sein Funksprechgerät hörte der Kommissar einen Mitarbeiter der Spurensicherung sagen: »Nichts, Herr Steffen! Wir haben die komplette Wohnung durchsucht. Nichts. Die Hunde von der Spurensicherung waren sehr schnell vor Ort. Eine Witterung der Waffe haben sie nicht aufgenommen. Die Schusswaffe ist mit Sicherheit nicht mehr in der Wohnung.«
Und bevor Kommissar Steffen antworten konnte, kam ein weiterer Mitarbeiter auf ihn zu. »Nichts, Herr Steffen! Wir haben den Rasen der Balkonseite mit den Spürhunden abgesucht. Absolut Nichts. Die Tatwaffe liegt nicht auf dem Rasen hinter dem Haus. Auch die Bäume haben wir uns näher angesehen.«
Kommissar Steffen sprach mit dem Verantwortlichen für die Sicherung des Tatortes. »Nachdem Herr Kunze aus dem Haus kam, wo ist er als erstes hingegangen?«
Der Angesprochene zuckte