Reinhold Vollbom

Grüße von Charon


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galt es die Geschwindigkeit zu drosseln, war die Meinung von Henning. Doch noch leuchteten die Bremslichter nicht auf. »Du bist ganz schön mutig, mein Junge«, sprach Henning halblaut vor sich hin. Die Bremslichter blieben weiterhin dunkel. »Verflixt«, fluchte er mit einem Mal, »das schafft der nie und nimmer.«

      Auch die nächsten Sekunden verstrichen, ohne dass Henning ein Aufleuchten der Bremslichter bemerkte. – Auf einmal war das grelle rote Leuchten zu sehen: Einen Moment lang, mehr nicht. Gleich darauf war das komplette Fahrzeug verschwunden. So, als wäre es von der Erde verschluckt worden. Er würgte, weil er befürchtete, was sich da soeben vor seinen Augen abspielte.

      Wenige Augenblicke später erreichte er die Stelle, an der der Wagen von der Bildfläche verschwand. Er sprang aus dem Auto und rannte zum Abgrund. In diesem Moment explodierte fünfzig Meter unter ihm der rote Jaguar: Da gab es nichts mehr zu helfen. Henning fuhr zur Villa zurück. Er würde den Vorfall von zu Hause aus melden.

      Der Täter bliebe unerkannt, das war ihm klar. Eine Identifizierung, von den Resten an der Unglücksstelle, käme jedenfalls nicht in Frage.

      Nahezu ungewollt ließ Henning Makroweit den Wagen mit einem Mal am Seitenrand ausrollen. Was für Gedanken tauchten auf einmal in seinem Kopf auf? Gab es hier eine Lösung für sein finanzielles Problem? Die Lebensversicherung würde auf jeden Fall ausreichen, um die Firma wieder auf die Beine zu bringen. Henning sah sich um. Die Gegend war wie tot.

      Mit quietschenden Reifen wendete er und fuhr zur Unglücksstelle zurück. Weiterhin niemand zu sehen. Eilig griff er in seine Hosentasche, holte die Brieftasche heraus und warf sie in Richtung des brennenden Wracks. Gleich darauf fuhr er die Strecke zur Villa so rasch zurück, wie es der Wagen erlaubte.

      Unauffällig parkte er den Leihwagen wieder in der Garage. Ein flüchtiger Blick in die Runde. Kein Mensch war zu sehen. Jenny war noch in der Bucht beim Baden. Nachdem er sich seinen Pass und einiges Bargeld aus dem Tresor geholt hatte, verschwand er zu Fuß, fernab der Straße.

      ◊

      Es war kurz vor Mitternacht. Jenny Makroweit stand auf der Terrasse und sah zu dem sternenklaren Himmel empor. Sie war in Gedanken versunken und erschrak, nachdem George Talgar seinen Arm zärtlich um ihre Schulter legte. »Ach, George, es kommt mir wie im Traum vor. Kaum das ich meine schnelle Hochzeit mit Henning bereue, tauchst du auf. Jetzt können wir endlich für alle Zeiten zusammenbleiben und brauchen auch auf das viele Geld nicht zu verzichten.«

      »Hat die Versicherung schon gezahlt?«, hakte George nach.

      »Nein, Hennings Unfall liegt ja erst eine kurze Zeit zurück. Die Polizei hat gestern die Untersuchungen abgeschlossen. Heute Mittag hat mich die Versicherung allerdings angerufen. Das Geld wird in den nächsten Tagen überwiesen.«

      »Ich verstehe das immer noch nicht, dass ein erfahrener Autofahrer wie Henning, mitten am Tag einfach den Abgrund hinunterfahren konnte. Aber, na ja, sonst wären wir jetzt nicht so glücklich, nicht wahr, mein Schatz?!« George Talgar schloss seine Geliebte in die Arme und küsste sie voller Hingabe.

      Erst das aufdringliche Klingeln des Telefons riss die beiden auseinander. »Ich komme gleich wieder«, sprach Jenny. »Mal sehen, wer da etwas von mir möchte.« Sie küsste ihn zärtlich auf die Wange und verschwand im Innern des Hauses.

      George Talgar leuchtete ein, dass Jenny ein prima Fang für ihn war. Sie sah blendend aus und hatte auch das nötige Kleingeld. Mehr benötigte er nicht.

      Es vergingen einige Minuten, bis Jenny kalkweiß im Gesicht zurückkam.

      »Mein Gott, wie siehst du denn aus?! Was ist mit dir?« George sah sie entgeistert an.

      »Henning«, stotterte sie, »Henning lebt …«

      »Quatsch, der ist bei dem Autounfall ums Leben gekommen. Die Polizei hat doch seinen Führerschein am Abhang gefunden. Da erlaubt sich jemand einen blöden Scherz.«

      »Nein, es war Hennings Stimme«, flüsterte sie kaum hörbar. »Ich habe die Sprechweise genau erkannt.«

      »Aber, warum?« George sah sie entgeistert an.

      »Er hat es mir erklärt«, sprach sie sanft. »Für die Firma benötigt er das Geld von der Lebensversicherung. Es gibt da wohl einige finanzielle Schwierigkeiten.«

      »Und wie stellt er sich alles Weitere vor? Er kann doch nicht irgendwann wieder wie aus dem Nichts auftauchen.«

      »Mit dem Geld von der Versicherung will er die Firma sanieren. Das heißt, ich soll das veranlassen. Wenn es dem Unternehmen wieder besser geht, kann ich mir die Anteile für unseren Lebensunterhalt hierher überweisen lassen. Da käme, seiner Meinung nach, genug zusammen. Er selber würde später, mit ein wenig verändertem Aussehen, als mein neuer Geliebter auftauchen.«

      George Talgar stieß lautstark einen Fluch aus.

      Jenny sah ihn besorgt an. »Sollte der Traum von unserem Glück nur so kurz gewesen sein?«

      Der Blick von George Talgar verlor sich irgendwo in der Tiefe der Dunkelheit. »Wie seid ihr verblieben?«, fragte er flüsternd.

      »Ungefähr eine Autostunde von hier entfernt liegt eine alte Westernstadt, wo früher viele Wildwestfilme gedreht wurden. Auf dem Weg dorthin gibt es einen kleinen Abzweig. Von dort aus ist es nicht mehr weit zu einer Ansammlung von großen Felsbrocken. Wir waren vor ungefähr einem Jahr dort und fanden es damals sehr romantisch. Er will mich morgen Abend, sobald es dunkel ist, dort treffen.«

      »Wie kommt er da hin? Mit einem Auto?«

      »Nein, natürlich nicht. Er will sich so wenig wie möglich öffentlich sehen lassen.«

      Auf einmal formten sich die Augen von George Talgar zu dünnen schmalen Schlitzen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Ich werde mitkommen. Wir werden ihn beide aufsuchen.«

      Jenny sah ihn erstaunt an. »Aber …«

      »Ich lasse es nicht zu, dass unser Glück wieder zerstört wird«, sagte er mit eisiger und bitterer Miene. »Du hast mir doch vor einiger Zeit mal erzählt, dass du in seinen Sachen durch Zufall eine Pistole gesehen hast. Weißt du, ob die da noch liegt?«

      Jenny sah ihn mit angstvoll geweiteten Augen an. Gleich darauf nickte sie kaum merklich.

      ◊

      »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?« George Talgar sah ungläubig von seinem Beifahrersitz zu Jenny hinüber.

      »Ja, gewiss«, entgegnete sie überzeugt.

      »Da! Dahinten ist er. Halt an und geh das letzte Stückchen zu Fuß. Den Rest mache ich. Bis gleich, Kleines.« Nachdem Jenny zu zögern schien, flüsterte er sanft: »Du tust es für uns.«

      Kurz darauf warf sie ihm ein zartes Lächeln zu und verschwand im Mondlicht hinter einem klobigen Felsbrocken.

      Wenige Minuten später verließ George Talgar den Wagen. Er brauchte die beiden nicht lange suchen. Nachdem er auftauchte, verstummte ihr Gespräch.

      »Du?!« Henning Makroweit sah den anderen ungläubig an. »Was macht mein Tennispartner hier?« Mit einem Mal riss er den Kopf herum und sah Jenny kopfschüttelnd an. Nachdem er sich wieder George zuwandte, sah er in den Lauf einer Pistole.

      »Es ist deine Waffe, Henning. Du bist der Verlierer dieses Spiels.« George Talgar schmunzelte sein Gegenüber an.

      »Meine Pistole …?!«

      Gleich darauf zerriss ein dumpfer furchtbarer Knall die Stille der Nacht.

      Der Gesichtsausdruck von Henning Makroweit wechselte von einem Lächeln zu einer schmerzverzerrten Miene. Sofort darauf griff er sich mit beiden Händen an den Bauch, drehte sich um seine Achse und blieb mit dem Gesicht auf dem Boden liegen.

      »Los weg hier.« George sah zu Jenny hinüber, die bestürzt auf den am Boden Liegenden herabsah. »Keine Angst«, sprach er beruhigend auf sie ein, »den findet hier niemand. Und selbst wenn, dann wird man ihn nicht identifizieren können.« Achtlos warf er die Pistole