Reinhold Vollbom

Grüße von Charon


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ein Stein vom Herzen fiel.

      Nach einigen Routinefragen verabschiedeten sich die beiden Kriminalbeamten. Sie baten sie aber zuvor, dass sie zur Identifizierung der Toten, im Laufe des Tages ins Leichenschauhaus kommt.

      Helene Gratmeyer war mit sich zufrieden. Nun galt es Cyril abzuschieben. Am besten in ein Seniorenheim, grübelte sie. Die Kosten würde sie übernehmen. Auf jeden Fall galt es bei ihm kein Misstrauen zu erregen. Die Gefahr, dass alles auffliegt, wäre folgenschwer. Erst wenn Cyril auf seinem verdienten Altenteil war, fing das sorgenlose Leben der Margot Pulsek an, schmunzelte sie vor sich hin. Augenfällige Veränderungen würde sie mit dem plötzlichen Tod ihrer Schwester erklären. Sie hatte wohl mehr für sie übrig, als sie sich selber eingestand. Diese Ausrede klang logisch, fand sie.

      »Cyril, würden Sie in ein Seniorenheim gehen, wenn ich Sie darum bitte?«

      »Sie baten mich bereits darum, Madame. Ich dachte, es sei alles geregelt.«

      Helene Gratmeyer war aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihre Schwester hatte also schon erwogen, Cyril in einem Seniorenheim unterzubringen. »Wären Sie bereit in den nächsten Tagen diesen neuen Lebensabschnitt zu beschreiten?«

      Nun war er ein wenig erstaunt. »Ich war der Meinung, Madame wollte diesen Schritt zum Jahresende vollziehen.«

      »Der Tod meiner Schwester und …«

      »Ich verstehe, Madame braucht nicht weiter zu sprechen. Sie haben mein tiefes Mitgefühl. Ich mache mir wirklich große Sorgen, Madame.«

      Sie war ein wenig erstaunt, dass Cyril sie mitten im Satz unterbrach. »Danke«, entgegnete sie knapp.

      »Soll ich den Arzt rufen, damit er Ihnen eine Spritze gibt?«

      So benimmt man sich also, wenn man Geld hat, grübelte sie. Im Zweifelsfall kommt der Doktor. Im Fall der Fälle der Chefarzt vom Städtischen Klinikum. »Nein, lassen Sie nur, Cyril. Zukünftig werde ich auf den Arzt verzichten.« Die Gefahr bestand, dass jemand hierdurch ihre falsche Identität erkannte.

      »Ich verstehe, Madame«, unterbrach er sie.

      Erneut war sie über die Eigenwilligkeit des Dieners erstaunt. Hatte er einen Verdacht? Nein, wog sie ab, das war nicht möglich.

      »Soll ich Ihnen die Medizin bringen?«

      Mein Gott, was für ein jämmerliches Dasein hatte ihre Schwester in den letzten Jahren geführt?! »Cyril, ich werde zukünftig auch die Medizin nicht mehr nehmen. Ich hoffe, Sie verstehen mich?!«

      »Ich verstehe sehr wohl, Madame.« Mit einer vielsagenden Miene verließ der Diener das Zimmer.

      Es verging eine Viertelstunde bis er mit einem Glas Milch wieder hereinkam. Seine Hände zitterten und die Stimme vibrierte unnatürlich. Gleich darauf stellte er das Becherglas neben ihr ab.

      Helene Gratmeyer sah den Diener bestürzt an. »Herrje, was ist mit Ihnen? Fühlen Sie sich nicht wohl?«

      »Auch wenn ich seit Monaten darauf vorbereitet bin, aber trotzdem …, es ist nicht leicht den Tod ins Auge zu schauen.«

      Das also war der Grund ihn ins Seniorenheim zu schicken, schoss es ihr durch den Kopf. Damit er dort die letzte Ruhe findet. Sie fasste seine Hand. »Sie sollen wissen, Cyril, dass ich stets mit Ihnen zufrieden gewesen bin.« Gewiss hätte ihre Schwester ebenfalls ein paar tröstende Worte zu ihm gesagt. »Auch wenn uns der Tod in Kürze trennen sollte …«

      »Bitte sprechen Sie nicht weiter«, bat er sie. Mit feuchten, geröteten Augen verließ er unaufgefordert das Zimmer.

      Das war typisch für ihre Schwester, fand sie mit einem Mal. War es nötig, den Diener derart zu quälen? Warum hatte sie ihn nicht schon längst in Pension geschickt? Mitleidig sah sie ihm hinterher.

      Minuten des Nachdenkens vergingen. Ihre Finger betasteten die Stirn. Ihr war heiß. Die Aufregung der letzten Stunden, zeigten ihre Wirkung. Sie ergriff das Glas Milch, das Cyril gebracht hatte und leerte es in einem Zuge. Erfrischend diese kühle Milch. Wenn nur nicht der komische nussartige Nachgeschmack wäre. Sie hatte die Absicht Cyril zu rufen und ihn zu fragen, was es damit auf sich hatte. Doch sie war nicht in der Lage ihn herbeizurufen. Ihre Lippen bewegten sich nicht. Aus welchem Grund auch immer. Es lag nicht an ihrem Mund, das merkte sie sofort. Nanu, weshalb keuchte sie plötzlich so beim Atmen? Wieso verkrampfte sich ihr Körper? Warum, verflixt …? Wenige Augenblicke später war Helene Gratmeyer tot.

      ◊

      Kommissar Steffen sah den Diener mit bitterem Gesichtsausdruck an. »Das hätte ich auch nicht erwartet, dass wir uns so schnell wiedersehen. Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sie sich umgebracht hat? Es ist doch bestimmt nicht üblich, dass eine Hausherrin ihr Personal so ins Vertrauen zieht.«

      »Madame Pulsek war schon seit einiger Zeit krank. Todkrank«, fügte er mit Nachdruck hinzu.

      »Darüber hat sie Sie informiert?«

      »Es bestand ein gewisses Vertrauensverhältnis. Zum anderen ließ sich ihre Krankheit mir gegenüber nicht verheimlichen. Sie litt an einem nicht operablen Gehirntumor. Außerdem nahm sie ein morphinhaltiges Medikament, um die Schmerzen zu unterdrücken. In letzter Zeit jedoch kamen noch Anfälle hinzu. Ich musste immer öfter den Arzt rufen.«

      Kommissar Steffen sah den Diener fragend an. »Und? Wie hat sie sich umgebracht?«

      Cyril räusperte sich betreten. »Madame fragte mich vor einiger Zeit, welche Möglichkeit ich nutzen würde, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden.«

      »Und?«, hakte Kröger nach.

      »Nun, ich sagte ihr, ich würde aus dem Schuppen hinter dem Haus das Unkrautvernichtungsmittel holen …«

      »Also Zyankali«, stellte Kommissar Steffen mit einem kurzen Blick zu seinem Assistenten fest. »Sie hat sich demnach das Giftzeug in das Glas mit der Milch gemixt und getrunken, nicht wahr?«

      Der Diener bejahte die Frage. Wohl wissend, dass es der letzte Wunsch seiner Hausherrin war, dass er ihr diese Arbeit abnahm.

      »Fiel Ihnen sonst irgendetwas Ungewöhnliches auf?« Kommissar Steffen beobachtete jede Reaktion des Dieners genau.

      »Ungewöhnliches nicht. Nur anfangs schien sie nicht mit einem so schnellen Krankheitsverlauf zu rechnen. Jedenfalls hatte sie vor, mich erst zum Jahresende in ein Seniorenheim zu geben.«

      »War der Suizid von vornherein geplant?«

      »Ja. Sobald die Schmerzen unerträglich werden würden, wollte sie aus dem Leben scheiden.« Mit dieser Antwort verschwieg er, dass es seine letzte Aufgabe war, ihr das Glas Milch mit dem Zyankali zu bringen. Bald kommt der Augenblick, wo Sie mir meine letzte Medizin bringen müssen. Ja, genauso sprach sie stets zu ihm. Und bei den Gedanken an diesen Satz röteten sich wieder seine Augen.

      »Wissen Sie genaueres über das Erbe?«, hakte Kröger nach.

      »Mein Lebensabend sollte gesichert sein, versprach mir Madame. Den Rest sollte ihre Schwester, Helene Gratmeyer, bekommen. Die tödlich Verunglückte. Sie wollte einiges an ihr gutmachen, sagte sie mir einmal, weil sie angeblich immer garstig zu ihr gewesen wäre. Um die Erbschaftssteuer zu umgehen, sollte schon in den nächsten Tagen eine größere Summe an ihre Zwillingsschwester überwiesen werden.«

      Ein zarter Hauch

      Moritz Arndt sah mit schaulustigem Blick in der Spielbank umher. Es waren bereits mehrere Jahre vergangen, seitdem der Vierzigjährige das letzte Mal hier war. Fernab seiner Heimat.

      Beschaulich dastehend sog er genüsslich die Atmosphäre in sich auf. Er gehörte zu den Personen, die ihre Umgebung zuerst einmal beschnupperte. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes: mit der Nase. Moritz Arndt war klar, dass auf seinem ausgeprägten Geruchssinn Verlass war.

      Augen ließen sich täuschen. Ohren hörten das, was einem gefiel. Hände waren zum feinfühligen Tasten zu klobig. Und zu häufig hatte man es geschafft seine Zunge zu überlisten. Nein,