Peter P. Karrer

Lord Geward


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»Ich wusste er lebt! Ich wusste es immer! Hab ich es Euch nicht gesagt? Er lebt! Ein Hoch auf Lord Geward!!!«

      Er setzt den vollen Becher Wein an und unter Aller Beifall leert er ihn in einem Zug, wobei eine gehörige Menge davon links und rechts aus den Mundwinkeln über sein kunstvoll besticktes Hemd läuft.

      Die ungezügelte Freude reißt auch mich mit. Ich genieße das Fleisch, den Wein und die Gesellschaft meiner neuen Freunde.

      An das Ende des Abends kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube noch zu wissen, die zarte Morgendämmerung erhellte längst die vergehende Nacht, als wir immer noch laut lachten und tranken.

      Gegen Mittag werde ich geweckt. Der Lagerplatz ist bereits geräumt, die Zelte abgebaut und mindestens fünfzig Packpferde beladen.

      Meine gestrige Einschätzung es mit zwanzig, höchstens dreißig Pferden zu tun zu haben, erweist sich als grundfalsch und ich muss beinahe laut lachen. Um mich herum bereiten sich geschäftig etwa vierzig schwer bewaffnete Reiter mit Pferden und sicher zweihundert oder wahrscheinlich sogar dreihundert Fußsoldaten mit Armbrust, Schwertern und kurzen Dolchen auf den Abmarsch vor.

      Die Staubwolke, die mich gestern so erschreckte, war offensichtlich nur die kleine Spitze einer riesigen Armee.

      Der ältere, narbengesichtige Krieger, dem zwei Finger der linken Hand fehlen und den ich schon von gestern kenne, reicht mir einen Becher Wasser und ermahnt mich gleichzeitig zur Eile.

      »König Aldara wünscht, dass Ihr mit ihm an der Spitze reitet. Ich habe Euch einen schwarzen Hengst besorgt. Er ist aus der gleichen Zucht wie jene, die Ihr gewöhnt seid, mein Lord.«

      Mit einer angedeuteten Verbeugung zieht er sich zurück und ein bleichgesichtiger Junge oder eher noch ein Kind bringt mir den versprochenen Hengst.

      Er übergibt mir mit unsicherem Blick die Zügel, zieht seine Hand sofort zurück, als befürchte er, ich würde ihn beißen und verlässt mich unverzüglich.

      Mein Gott, das Pferd ist hoch wie ein Haus!

      Nie in meinem Leben bin ich geritten, noch nie war ich einem Pferd so nahe, nie erkannte ich diese Größe. Wie soll ich bloß da hinaufkommen. Ich muss mich schon strecken um überhaupt den Sattelknopf zu erreichen.

      Unruhig sehe ich nach allen Seiten und erkenne, jeder ist mit allerlei Aufgaben beschäftigt und niemand hat Zeit, sich um mich zu kümmern.

      Ich versuche mich zu konzentrieren, versuche ruhiger zu werden, spreche mit dem Pferd, spreche mit Jalas.

      Ja, es ist Jalas, mein geliebter Jalas, dem ich vor Jahren geholfen habe auf die Welt zu kommen.

      Stopp, Stopp, was geschieht hier? Ich war noch nie bei der Geburt eines Pferdes dabei. Ich kenne auch keinen Jalas. Träume ich schon wieder? Aber ich kenne das Pferd!

      Jetzt erkennt auch Jalas mich. Sein zärtliches Schnauben und das zärtliche Stupsen mit seinem Kopf in meine Rippen...

      Ja, Jalas hat mich auch erkannt und ich bin froh darüber, meinen alten Freund wieder zu haben.

      Ohne Probleme, mit größter Selbstverständlichkeit, steige ich auf. Das Gefühl auf seinem starken Rücken zu sitzen ist überwältigend. Mit Mühe drücke ich eine Träne weg, dann preschen wir los, durch das Tal, in Richtung Spitze des gewaltigen Heeres.

      Die weitausladenden Königsbanner weisen uns den Weg und nach nur wenigen Minuten ereiche ich König Aldara, der mich freudig, aber auch mit stolzem Blick begrüßt.

      »Wie Ihr seht, Lord Geward, habe ich die Bergvölker aus dem Westen endlich davon überzeugen können, dass auch sie jederzeit das Schicksal von Konys treffen könnte und nur wir gemeinsam die Mitländer aus unserem Land für immer vertreiben können. König Barusy, der seit einem Jahr auch die Bergvölker befehligt, hat mir weitere zweihundert Bogenschützen, achtzig ausgebildete Kriegspferde und dreihundert Packmulis zugesagt. Er selbst wird sich mit sechzig Berittenen an der Grenze zu Konys mit uns treffen.«

      Ich nicke zustimmend, obwohl ich nicht begreife, worüber König Aldara spricht.

      »Ich habe heute Morgen einen Boten zu ihm gesandt, der ihm die Nachricht Eurer Rückkehr bei bester Gesundheit mitteilt. Ich bin sicher, er wird mit der Nachricht - mein oberster Kriegsherr lebt - weitere Gefolgsleute in den unzähligen Bergtälern für unsere Sache gewinnen können!«, strahlt er.

      Ein Reiter schießt mit scharfem Galopp auf uns zu und teilt mit: »Alles ist zum Aufbruch bereit!«

      König Aldara gibt mit einer knappen Kopfbewegung den Befehl und der riesige Tross setzt sich in Bewegung. Es ist erstaunlich, wie das Fußvolk mit dem Tempo der Pferde mithält.

      Die nächsten Stunden bis zum Abend vergehen zum Glück in Schweigen und es gibt mir etwas Zeit über alles nachzudenken. Um Jalas muss ich mich nicht kümmern, der ist es scheinbar gewohnt an der Seite des königlichen Tieres zu laufen, einem ebenfalls glänzenden schwarzen Hengst.

      Wie es aussieht, kann ich meine Tagträume dazu benutzen, mich in andere Welten zu integrieren.

      Oder bin ich oder war ich einmal Lord Geward?

      Keiner der Männer hätte je daran gezweifelt, dass ich Lord Geward, der Kriegsheld des Königs bin, sondern nur der schlechtbezahlte Sachbearbeiter aus einer anderen, einer kalten, sterilen, vollklimatisierten Welt.

      Auch das Reiten fällt mir so leicht und bereitet mir mindestens soviel Freude wie die sonntäglichen Ausflüge mit meinem Daimler.

      Selbst mein Herr, König Aldara...

      Mein Gott, jetzt sehe ich in ihm schon meinen Herrn! Lebe ich doch in dieser Welt? Gehöre oder gehörte ich schon immer hier her?

      Ich weiß es nicht. Egal, ich kann es nicht ändern.

      Selbst König Aldara ist fest davon überzeugt, seinen für tot erklärten obersten Kriegsherrn wieder an seiner Seite zu haben.

      Mehr und mehr finde ich Gefallen an meinem neuen Leben.

      Die nächsten Tage enden immer mit einem üppigen Mahl an der königlichen Tafel, Seite an Seite mit König Aldara.

      Tag für Tag erfahre ich mehr über mich:

      Ich bin tatsächlich ein Kriegsheld. Alleine die Nachricht meiner Rückkehr veranlasst immer mehr Leute sich uns anzuschließen. Selbst Bauern, nur mit Dreschschlegel oder Axt bewaffnet, schließen sich uns begeistert an.

      Am sechsten Tag unseres Marsches entscheidet König Aldara, ab sofort immer nur zwei Tage zu reiten und den dritten Tag zum Ausbilden der im Kriegshandwerk unerfahrenen Bauern zu verwenden.

      Immer wieder hält er mich an, die Ausbildungsplätze zu besuchen und die Waffenübungen zu überwachen. Ich kann es mir nicht erklären, aber Tag für Tag fällt es mir leichter, die Fehler in den Übungen zu erkennen und die Leute in der Ausbildung zu unterstützen.

      Mehr und mehr genieße ich das berauschende Gefühl, wenn ich beobachte, wie die Bauern nur durch meine Anwesenheit ihre Bemühungen verdoppeln.

      In nur wenigen Tagen hat sich das Fußvolk mehr als verdreifacht. Stündlich treffen weitere Gefolgsleute ein. Vom achtjährigen Knaben mit einem Holzschwert, bis zum greisen Veteran auf Krücken. Selbst junge Frauen, die sich als Männer verkleiden, wollen in den Krieg ziehen!

      Mit der anwachsenden Zahl der Köpfe verlangsamt sich unser Marsch immer mehr. Die meisten Reiter sind nur noch damit beschäftigt das Fleisch für die hungernden Mägen zu jagen, während andere es sofort weiterverarbeiten und im Lager verteilen.

      Am Abend, am Ende der dritten Woche, bittet mich König Aldara in sein prunkvolles Zelt.

      Beim Betreten sehe ich ihm die Sorgen und Nöte deutlich ins Gesicht geschrieben. Der stolze, uneingeschränkte Herrscher sitzt wie versteinert, den Kopf gesenkt, lange schweigend vor mir. Er gibt mir ein Zeichen mich zu setzen und reicht mir stumm einen Becher Wein.

      Schweigend setzt er immer wieder, einen kleinen Schluck Wein nehmend,