Peter P. Karrer

Lord Geward


Скачать книгу

Geward, der Feldzug ist verloren, bevor wir ihn überhaupt begonnen haben. Wir sitzen fest. Alleine das Erlegen, Zubereiten und Verteilen der Verpflegung verschlingt den ganzen Tag. Die meisten meiner Vertrauensmänner und altgedienten Kämpfer sind Tag und Nacht nur noch auf der Jagd oder damit beschäftigt die immer häufiger auftretenden Streitereien zwischen den einfachen Soldaten und den Bauern zu schlichten. Auch die verschiedenen Clans geraten immer öfter aneinander.«

      Ich nicke zustimmend.

      »Auch haben sich immer mehr geschäftstüchtige Frauen ins Lager geschlichen und verkaufen meistbietend ihre fleischlichen Reize, was zu weiteren Streitereien führt. Mein eigener Friedensmann ist seit Tagen nur noch damit beschäftigt, die Söldnerinnen, welche die Dirnen verachten, von ihnen zu trennen. Letzte Nacht hat der Streit um eine Hure sogar das Lager meiner edlen Ritter erreicht. Dabei wurde ein Ritter getötet und der andere so verstümmelt, dass - sollte er überleben - er nur noch für die Feldküche taugen wird.«

      Lange fixieren mich die scharfen, aber jetzt traurigen Augen, dann fährt er zögernd fort. »Lord Geward, ich frage Euch jetzt, nicht als Euer König, sondern nur als bescheidener Bittsteller: Welchen Rat könnt Ihr mir geben?«

      »Mein König, wie könnte ich Euch raten?«, versuche ich so diplomatisch wie möglich zu antworten.

      König Aldara reicht mir, offensichtlich um Zeit zu gewinnen, einen frischen Becher Wein, seufzt und erklärt: »Lord Geward, wenn Ihr mir nicht raten wollt, bedenkt nicht nur Eure Zukunft, bedenkt auch die Zukunft meiner Tochter, Eurer Verlobten.«

      Das trifft mich wie ein Blitz!!! Damit habe ich nicht gerechnet. Ich bin mit der Tochter des Königs verlobt. Diese Welt scheint immer wieder eine weitere Überraschung für mich bereit zu halten.

      Jetzt begreife ich auch die Wärme und Nähe und das beinahe grenzenlose Vertrauen, das König Aldara mir von Anfang an entgegen brachte.

      Mich zur Ruhe zwingend, bitte ich den König um Bedenkzeit.

      Mit einem Anflug von Hoffnung in den Augen entgegnet er mir: »Ja, Lord Geward, bedenkt alle Möglichkeiten, aber überlegt nicht zu lange! Es gibt im Lager sicher genügend Spione, die den Mitländern längst mitgeteilt haben, welche träge Schnecke hier als leichte Beute auf sie wartet!«

      Er senkt seinen Kopf und weist mich an zu gehen, ganz wieder der König: überlegen, fehlerlos und der uneingeschränkte Herrscher über sein Land und seine Untertanen. Der Anflug von Vertrautheit und Unsicherheit ist wie ausgelöscht.

      Diese Tatsache akzeptierend, verbeuge ich mich tief und verlasse im Rückwärtsschritt das königliche Zelt.

      Um Ruhe zu finden oder nur der Situation zu entfliehen, gehe ich einige hundert Meter aus dem Camp und setze mich unter eine mächtige Eiche, als suchte ich unter ihr Schutz und Hilfe.

      Ich bin verwirrt und begreife nicht, was mich mehr beunruhigt, die anstehende Entscheidung als Stratege und Kriegsheld oder die Verlobung mit der Tochter des Königs, meines Königs.

      Immer wieder werde ich aus meinen Gedanken gerissen.

      Einmal fragt mich ein schleimiger, diensteifriger Lakai: »Mein Herr, wünscht Ihr noch Wein oder andere Speisen?« Ich verneine dankend und schicke ihn weiter.

      Kurz darauf pirscht sich ein sicherlich keine vierzehn Jahre altes, Abenteuerlustiges Mädchen an mich heran. Ich vermute, sie will die Trophäe des Triumphes, den obersten Kriegsherrn des Königs verführt zu haben, erringen. Ich wimmle sie höflich ab, ohne sie mehr als nötig zu enttäuschen.

      Zu meiner Schande muss ich mir dabei eingestehen, sie ist ein außerordentlich hübsches, wenn auch aus einfachsten Verhältnissen stammendes Bauernmädchen.

      Nur Augenblicke später, die für ihn richtige Gelegenheit abgepasst, überfällt mich ein hagerer Bauer. Er erzählt mir von seinem Großvater, der einst auch schon das Land verteidigt habe. Stolz zeigt er mir sein rostzerfressenes, vom Alter und der langen ungenutzten Liegezeit gezeichnetes Schwert.

      Er hantiert damit derart ungeschickt, dass ich es ihm am liebsten abgenommen und gegen eine ihm vertrautere Mistgabel ausgetauscht hätte.

      Ich bekunde ihm meine Dankbarkeit für sein Kommen, erinnere ihn nachdrücklich an die morgen früh stattfindenden Waffenübungen und belehre ihn, er müsse unbedingt daran teilnehmen.

      Stolz marschiert er zurück zum Lager der Neuankömmlinge. Ich sehe ihm nach und überlege, ob ihn meine Worte tatsächlich um einige Zentimeter wachsen ließen oder ob ich mir das nur einbilde.

      Eindeutig ist, dieser Bauer hat noch nie ein Schwert getragen. Belustigt beobachte ich ihn. Bei jedem zweiten Schritt verheddern sich seine dünnen Beine in der langen Waffe. Er muss sein ganzes Geschick aufbringen, um nicht zu stolpern. Schmunzelnd erinnere ich mich an meine eigenen Probleme, mit der unhandlichen Waffe zu gehen.

      Laut lache ich auf. Jetzt ist er tatsächlich über sein geliebtes Erbstück gestolpert und zappelt wie ein auf den Rücken gefallener Käfer, um sich wieder aufzurichten.

      Als mich jetzt auch noch ein übereifriger, profilierungssüchtiger Soldat - der mich sehr an meine ständig mobbenden Arbeitskollegen aus meinem klimatisierten Büro erinnert - nach meinem werten Befinden fragt, platzt mir der Kragen. Ich scheuche ihn mit ungewollter Schärfe von mir weg an seine Aufgaben.

      Offenbar beleidigt oder sich ertappt fühlend, schleicht er gebückt und leise fluchend zurück ins Lager.

      Erst weit nach Mitternacht beruhigt sich das Lager unter mir.

      Ich kann König Aldara nur Recht geben. Das Lager ähnelt wirklich mehr einer Kleinstadt als einem Heereslager.

      Immer weniger Fackeln brennen im Lager. Aber sicher brennen in noch vielen Zelten die Kerzen und Öllampen, die nur zu schwach sind, die Zeltwände soweit zu erhellen, um ihren Schein bis zu mir zu tragen.

      Allmählich komme auch ich zur Ruhe.

      König Aldara hat Recht: Der Feldzug ist tatsächlich zum Stillstand gekommen. Zwischen den einzelnen Zeltlagern wuchsen in den letzten Tagen wie aus dem Nichts Verkaufsstände für alles Nötige und auch Unnötige.

      Ich erinnere mich daran, am Nachmittag einen Eselskarren voller Stoffballen für die edelste Abendgarderobe betuchter Ladys gesehen zu haben und kurz darauf eine vielleicht vierzigjährige, kleine Frau in einfacher aber gepflegter Tracht, die ein riesiges Sortiment an Damenkämmen, Haarspangen und bunten Tüchern durch die Zeltgassen schleppte, immer auf der Suche nach Soldaten, die noch ein kleines Geschenk für die Geliebte, die Frau, Schwester oder Mutter benötigten.

      Das Lager gleicht wirklich einer kleinen Stadt.

      Ich erinnere mich zurück:

      Richtig, schon vor Tagen ist der Feldzug zum Stehen gekommen. Ich hatte bereits da den schleichend wachsenden Dorfplatz in der Mitte der verschiedenen Zeltlager beobachtet, ohne die Konsequenzen zu erahnen. Sogar Kinder liefen alsbald kreuz und quer und vergnügten sich mit Fangen oder allerlei sonstigen Spielen. Andere drängten sich um einen Stand mit gerösteten Nüssen in süßem Honig. Ich hörte sogar das Gerücht, ein Puppenspieler und einige Artisten hätten ihre Kunststücke für die nächsten Tage angesagt.

      Ich seufze deutlich auf, denn damals hatte ich die Tragweite dieser Entwicklung noch nicht begriffen.

      Lachend sage ich laut zu mir selbst: »Es würde mich nicht wundern, wenn morgen Bauern die ersten Felder pflügen würden.«

      Ich gewinne langsam den Eindruck, das ganze Land versammelt sich, einer unbekannten Kraft folgend, in unserem Lager. Ich, ja ich, muss einen Weg finden, diese Menschenmasse wieder in Bewegung zu bringen, oder der Krieg ist verloren, bevor er überhaupt begonnen hat.

      Mein Gott was tue ich da, was denke ich da?

      Ich bereite einen Krieg gegen einen Feind vor, den ich nicht einmal kenne; einen Feind, der vielleicht gar kein Gegner ist. Ich sonne mich als oberster Kriegsherr und zukünftiger Schwiegersohn eines Königs, den ich erst seit kurzem kenne und der vorgibt, oder es wirklich glaubt, mich zu kennen.

      Wie