Peter P. Karrer

Lord Geward


Скачать книгу

      Ja, in nicht einmal drei Jahren bin ich der Herrscher der Welt.

      In größenwahnsinnige Gedanken versunken, stolpere ich über eine flache Wurzel.

      Bäuchlings falle ich in eine von der Nacht noch feuchten Mischung aus Gras und Moos. Ein herrlicher Geruch.

      Der Geruch des Paradieses, das ich verloren habe.

      Oder ist auch hier das Paradies?

      Ich denke an den friedlichen See.

      Denke an...

      Denke an den Mord, Macht und Habgier, Krieg und wieder Tod.

      Nein, das ist kein Traum!

      Es ist die Wirklichkeit. Ich bin hier, um Krieg zu führen, um Länder zu erobern, bin sogar bereit eine Frau zu heiraten, die ich nicht kenne, nur um...

      Nein! Schluss! Ich verschwinde. Gehe weg von diesem blutigen Ort, bevor er mich ganz verschlingt.

      Ich bin der Wanderer, der einsame Wanderer und der Wanderer geht jetzt fort, geht zu seiner Hütte, zurück zu seinem kleinen Paradies.

      Ich gehe zur Koppel, sattle Jalas und führe ihn ohne beachtet zu werden in Richtung Dorfplatz. Scheinbar haben auch die Wachen längst jede Aufmerksamkeit verloren.

      Die ersten Händler bestücken bereits ihre Verkaufsstände und von Minute zu Minute steigt ihre Geschäftigkeit. An einem kleinen Stand fülle ich meine Satteltaschen randvoll mit Trockenbrot, Dörrobst, Nüssen und reichlich Salzfleisch.

      Dieses Mal vergesse ich nicht zu bezahlen und gebe, wahrscheinlich um mein Gewissen wegen meines Betruges an der alten Frau zu beruhigen, einen großen Goldtaler.

      Blitzartig erkenne ich, dass gerade der Goldtaler meine Flucht verrät, der mit den Worten empfangen wird: »Lord Geward, Ihr seid so großherzig zu dem niedrigsten Eurer Untertanen.«

      Ich versuche meinen Fehler damit zu korrigieren, indem ich dem Händler erkläre, in geheimer, diplomatischer Mission im Namen des Königs unterwegs zu sein und er über meinen Aufbruch schweigen müsse.

      Mit nicht enden wollenden Verbeugungen versichert er mir seine absolute Verschwiegenheit.

      Ich glaube ihm nicht, lasse es aber auf sich beruhen. Was sonst hätte ich auch tun können, ohne nicht noch mehr Aufsehen zu erregen?

      Im Versorgungslager fülle ich meine beiden Wasserschläuche und verlasse kurz nach Sonnenaufgang das Lager.

       10. Die Karawane

      Nach wenigen hundert Metern sporne ich meinen treuen Freund Jalas zu einem schnellen, aber immer noch leisen Schritt an und spüre mit jedem zurückgelegtem Meter mehr das wunderbare Gefühl der Befreiung.

      Langsam glaube ich wieder, ich selbst zu werden.

      Gegen Mittag rasten wir ausgiebig an einem Bach, der an einem kleinen Laubwald entlangfließt.

      Nachdem Jalas und ich den ersten Durst löschten - das Wasser schmeckt ausgezeichnet - bedient er, Jalas sich nun an dem üppigen, im Schatten immer noch frischen Gras und ich verschlinge in einem Anflug von Heißhunger und dem Gefühl, gerade noch rechtzeitig entkommen zu sein, einen halben Laib Nussbrot und drei armlange Streifen Salzfleisch. Zur Sicherheit, obwohl ich noch genügend Wasservorräte habe, gieße ich die Wassersäcke aus und fülle sie randvoll mit frischem Wasser.

      Am Abend bereite ich mir ein Nachtlager auf einem annähernd hundert Meter hohen Felsplateau und beobachte bis weit in die Nacht hinein, das hinter mir liegende Tal und zu meiner Zufriedenheit entdecke ich keine Verfolger.

      Nach einem üppigen Mahl aus Nüssen und getrockneten Früchten - ein Feuer für eine warme Mahlzeit wage ich noch nicht zu entfachen - schweifen meine Gedanken ab.

      Ich rieche den herben Duft der schwarzen Ledersitze meines Daimlers, spüre die Kälte im ewigen Eis Grönlands, höre das Knarren des alten Holzbodens bei den endlos monotonen Schlossführungen meines Großvaters, höre die Worte Abraham Lincolns: »Sicher bin ich schon tausende Male wiedergeboren!«, spüre das weiche Wasser meines Sees und fühle die Schmerzen der mit Sand gefüllten Augen in der tödlichen Welt der Wüste.

      Wie bin ich in die Höllenglut geraten und wie bin ich daraus entkommen?

      Die Erinnerungen daran erschrecken mich und ich fühle das Brennen der verbrannten Haut und beginne den trockenen Staub zu riechen.

      Seit langem habe ich wieder Angst vor der Nacht. Wache ich morgen neben Jalas auf oder in einer tödlichen Welt oder in den Fängen König Aldaras, der mich für meinen Verrat sicher eigenhändig erschlagen wird?

      Ich habe Angst einzuschlafen, versuche wach zu bleiben, denke an schöne Dinge, an mein Schloss, meine Hütte, mein Reich, in dem ich so glücklich war. Erinnere mich an...

      Weit weg, ein knirschendes und polterndes Geräusch.

      Verteufelt, Aldara hat mich entdeckt!

      Wie hat er das nur geschafft? Wie konnte er mir folgen, ohne von mir im Tal entdeckt zu werden?

      Jetzt bin ich hell wach, keine Spur mehr von Müdigkeit. Auch Jalas muss sie gehört haben. Um ihn zu beruhigen, tätschle ich seinen Hals und er quittiert es mit einem unterdrückten, leisen Schnauben.

      Es ist nichts zu sehen. Nur das deutliche Geräusch von schweren Fuhrwerken und Stimmen, die ich nicht verstehen kann.

      Aldaras Truppen? - Unmöglich!

      Aldara würde eine Schar schneller Reiter hinter mir her senden und keine Ochsenkarren. Auch wenn meine Flucht sofort entdeckt worden wäre... und Fuhrwerke hätten mich sowieso noch nicht eingeholt. Das ist absolut unmöglich!

      Aber was höre ich dann?

      Den ganzen Tag über sah ich keine Felder, keine Bauern und keinen Hof. Auch wenn ich sie übersehen hätte, kein Bauer fährt seine Ernte in stockfinsterer Nacht ein.

      Wieder höre ich vereinzelte Stimmen. Verstehen kann ich sie immer noch nicht. Sicher sind es nur die leisen Worte der Kutscher, die ihre Gespanne durch die beinahe mondlose Nacht dirigieren.

      Sicher bin ich mir nur, schwere Fuhrwerke mit eisenbelegten Rädern, die sich ihren Weg auf dem steinernen Weg unter mir bahnen, zu hören. Das Geräusch wird deutlicher. Immer öfter höre ich das Murren der unwilligen, mit der schweren Last überforderten Zugtiere.

      Es müssen mehrere Gespanne sein.

      Jetzt werden die Geräusche leiser und ich erkenne die ersten Fackeln.

      Die Fuhrwerke müssen gestoppt haben und in der eintretenden Stille gelingt es mir, einige Wortfetzen zu verstehen: »Wir... kein Weiterkommen... verdammte Nacht... Pferde... alle Knochen... Ruhe wollt ihr... sie uns... entdecken... halt sie still... nicht mit der Fackel... was geht mich der scheiß Krieg an.«

      Ich lege, ohne das geringste Geräusch zu verursachen, mein Schwert, das mich nur behindert hätte, neben Sattel und Satteltasche, dann schleiche ich leise nach unten.

      Auf halber Strecke rutsche ich aus, Steine rieseln, ich erstarre, lausche, aber das Stimmengemurmel hat seinen Klang nicht verändert. Noch vorsichtiger, jeden Schritt genau prüfend, bevor ich mein ganzes Gewicht darauf lege, bewege ich mich weiter in Richtung der unheimlichen Besucher.

      Bis auf fünfzig Meter kann ich mich anschleichen, dann beginnt eine breite, strauchlose Geröllgasse, die mir keine Deckung mehr gibt. Erst nach mehreren Minuten beruhigen sich Puls und Atmung und ich kann die Stimmen wieder deutlicher verstehen.

      Ein knappes Dutzend Männer richten sich ein offenes Lager ohne Zelte ein. Genauso wie ich, verzichten sie auf ein offenes Feuer und löschen auch die wenigen abgedunkelten Fackeln. Ich gewinne den Eindruck, auch sie möchten nicht entdeckt werden.

      Inwieweit das gut für mich ist, traue ich mich nicht zu fragen: Ich habe Angst vor der Antwort!

      Ich nehme