Peter P. Karrer

Lord Geward


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ein kurzes Zittern nach jedem Donner, der das Trommelfell zu zerreißen droht, rührt sich Jalas, obwohl ich ihn seit Tagen keine Fußfesseln mehr anlege, nicht von der Stelle. Er ist wirklich ein außerordentliches Tier.

      Die Morgensonne vertreibt die letzten Wolken und verwandelt meine Umgebung in ein türkisches Dampfbad.

      Ich bin fest entschlossen, das Geheimnis noch heute zu lüften.

      Ein kurzer Blick zeigt mir die längst wieder aufgebrochenen Männer, die aber immer noch Meilen entfernt sind.

      Warten, wieder Stunden der Langeweile.

      Am frühen Nachmittag erreichen dann doch die ersten Reiter den Eingang zur Schlucht. Nachdem sie beginnen ein Lager aufzubauen, bin ich mir sicher, sie heute nicht mehr durch die Schlucht kommen zu sehen.

      Ärgerlich kehre ich zu Jalas zurück. »Verdammt, wieder ein Tag verloren,« fluche ich laut und ernte den verständnislosen Blick Jalas.

      Ich muss noch einen Tag warten.

      »Falsch!« korrigiere ich mich laut.

      Wenn die Leute tatsächlich vor der Schlucht lagern, kann ich in der Nacht über den schmalen Seitenweg, ungesehen, bis auf wenige Meter an das Lager heran kommen.

      Die Unachtsamkeit dieser Männer, die offensichtlich nicht entdeckt werden wollen, verstehe ich nicht und sehe es als Warnung, noch vorsichtiger zu sein.

      Wer sind diese Männer?

      Zusammen mit der Abendsonne erreicht mich der traumhafte Geruch von gebratenem Wild. Die Leute müssen sich aufgrund der Berge sehr sicher fühlen.

      Wieder begreife ich das Verhalten dieser Männer nicht.

      Ich wage kein Feuer zu machen und kaue in endloser Langeweile an einem zähen Stück Dörrfleisch, das ich mit lauwarmem, fade schmeckendem, abgestandenem Wasser hinunterspüle. Wäre ich gestern nicht so hemmungslos über meine letzten Käsevorräte hergefallen, hätte ich wenigstens etwas zu meinen trockenen Brotresten. Beschämt über meine gestrige grenzenlose Gier, kratze ich mit Mittel- und Zeigefinger die letzten Honigvorräte aus einem Holzbecher. Gedankenverloren verschließe ich den leeren Honigbecher mit einem Lederfleck und warte auf die absolute Dunkelheit.

      Gegen Mitternacht brennen nur noch zwei Fackeln und das Feuer ist einem kleinen Gluthaufen gewichen, der nur noch etwas Wärme, aber kein Licht mehr spendet.

      Vorsichtig mache ich mich auf den Weg nach unten.

      Bereits auf halber Höhe bestätigt sich noch einmal, dass diese Leute, sich hier sehr sicher fühlen müssen, oder zumindest nicht mit jemandem von oben rechnen. Nur in der Schlucht und weit außerhalb davor sind Posten aufgestellt. Im Lager selbst schlafen, bis auf zwei Ältere und einen Jungen, alle am ausgehenden Lagerfeuer.

      Von den Dreien, die noch nicht schlafen, geht keine Gefahr aus. Sie sind derart betrunken, dass ich mir sicher bin, sie hätten nicht einmal aufstehen können, wenn der Teufel persönlich sie beehrt hätte.

      Die drei sitzen sich mit den Händen im Sand stützend und mit den Knien balancierend auf dem blanken Boden. Plötzlich rutscht dem Jüngeren die Hand im Sand weg und er stürzt, wie in Zeitlupe, mit dem Gesicht flach in den Sand. Als er jetzt auch noch den anderen Arm, senkrecht wie eine Fahnenstange, den Weinbeutel fest umklammernd, nach oben streckt, können sich die beiden anderen vor Gegröle kaum mehr im Sitzen halten. Ich muss mich beherrschen, nicht lauthals mitzulachen; der Anblick ist wirklich unvergleichlich.

      Nachdem das Gebrüll der beiden Anderen nicht so schnell aufhören dürfte, ergreife ich meine Chance und schleiche gebückt zu dem mir am nächsten stehenden Wagen.

      Unter das Fuhrwerk geduckt, halte ich kurz inne, schaue mich um und lausche. Zu meiner Erleichterung stelle ich fest, dass einige der Männer durch das Gegröle der Betrunkenen geweckt wurden und die durch mich unruhig gewordenen Pferde jetzt den betrunkenen Kameraden zugeschrieben werden.

      Von mir nimmt keiner Notiz.

      Ich taste nach der Baumwollplane und klappe sie eine Armlänge zurück. Vorsichtig taste ich nach dem Inhalt. Ich fühle kalte Stahlstangen oder ähnliches. Meinen ersten Gedanken an Lanzen oder an das Quergestänge von Ochsenkarren verwerfe ich sofort als ich mehrere, ebenfalls metallische Seitenteile ertaste. An einer glatten, runden Stelle greife ich fest zu und versuche den Gegenstand vorsichtig, ohne den geringsten Laut zu verursachen, zu bewegen. Ich erstarre, als ich das Nachrutschen anderer Teile spüre und das metallene Klirren in meinen Ohren wie ein Gewitter nachhallt.

      Wieder habe ich Glück. Niemand hat in dem Aufruhr, die stampfenden Pferde zu beruhigen, etwas gehört.

      Aus den Augenwinkeln beobachte ich den sinnlosen Versuch des jungen Burschen sich aufzurichten. Gerade noch auf zwei Beinen stehend, mit beiden Armen wild rudernd, den Weinbeutel immer noch fest in der Hand, fällt er vorwärts, mit lautem Fluchen, mitten in die neben dem Feuer abgestellten Kupferkesseln und Kochutensilien.

      Mit Gepolter und wildem Geschrei versucht er sich aus dem Gewirr aus Töpfen und Pfannen zu befreien. Der Henkel des großen Kessels will ihn gar nicht mehr loslassen und er stürzt wieder.

      Das ist meine Chance. Ich packe den seltsamen Gegenstand mit aller Kraft und reiße ihn, mit einem Ruck, aus dem Wagen. Bewegungslos lausche ich. Keiner hat mich entdeckt.

      Im Wegschleichen ziehe ich die Decke, über die Seitenhölzer, wieder zurück.

      Immer noch kann ich meine Beute nicht erkennen. Oder glaube ich nur nicht, was ich erfühle?

      Das kann nicht sein. Das darf nicht sein!

      Nein, nicht in dieser Welt, nicht in dieser Zeit. Nein!

      Die letzten Meter zu Jalas laufe ich, fast stolpere ich nach oben, werfe die Satteltaschen und Wasserschläuche auf Jalas Rücken, springe in den Sattel und reite einige Schritte leise, dann in rasendem Lauf weg, nur weg, weg von diesem Horror!

      Nach dreißig Minuten wilder Hatz bin ich sicher, mein Feuerschein wird nicht mehr gesehen:

      Ich entzünde eine Pechfackel, in der Hoffnung etwas anderes zu sehen, als ich vermute.

      Mit dem Aufflammen der Fackel wird meine Hoffnung jäh zerschlagen.

      Immer noch kann ich es nicht glauben, will es nicht akzeptieren.

      Schwer halte ich in meiner rechten Hand eine Panzerfaust, wie ich sie bisher nur aus Kriegsfilmen kannte.

      Ich stecke die Fackel in das weiche Gras neben mir, greife mit beiden Händen meine Beute, greife immer fester zu. Die Gelenke schmerzen schon und ich drücke weiter; beinahe glaube ich die Waffe aus dieser Welt quetschen zu wollen, will sie nicht sehen und wünsche einfach, sie weg zu haben.

      Aber die Panzerfaust liegt fest, bedrohlich und bösartig in meinen Händen.

      Zornig brülle ich mit Tränen in den Augen die Waffe an: »Verschwinde Du Scheißding, Du gehörst hier nicht her!«

      Mein Zorn wird zur Raserei.

      Sogar Jalas, der weder Blitz noch Donner fürchtet, scheut und springt einige Meter zur Seite.

      Ich werfe die Waffe weit von mir weg in den losen Sand. Sie überschlägt sich beinahe, aber sie verschwindet nicht. Nicht aus meinen Augen und nicht aus dieser Welt.

      Sie liegt nur bösartig grinsend, den Sprengkopf im Sand begraben, stumm da.

       11. Tod

      Diese Nacht schlafe ich keine Minute. Immer wieder betrachte ich diese Waffe aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Welt.

      Sie zu berühren wage ich nicht mehr. Hier liegt das Böse, die Ausgeburt der Hölle. Von Menschenhand gebaut, um Menschen zu töten. Von Menschen entwickelt, die den Feind nicht kennen. Für Menschen, die einen Feind töten, den sie nicht kennen, den sie nicht hassen, aber auch nicht lieben.

      Ich glaube der Albtraum, diese Nacht endet nie!

      Sehe