Peter P. Karrer

Lord Geward


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bin ein kleiner Angestellter in einem kleinen Büro und kein Krieger in einem Krieg, den ich nicht verstehe. Ich habe noch nie einen Menschen getötet, außer in Gedanken meinen Boss aus einer anderen Welt. Jetzt soll ich einen Feldzug vorbereiten, der sicher Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen, die ich auch nicht kenne, das Leben kosten wird oder sie für immer verstümmelt, verurteilt ein Leben lang dahinzuvegetieren und auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.

      Nein, das kann ich nicht, das darf ich nicht!

      Oder doch, ist das mein neues Leben, mein nächstes Leben? Bestand mein Leben bisher nur aus einzelnen Episoden? Ist dies hier nur eine neue Episode?

      Bin ich unsterblich, ein Wanderer durch die Zeit? Aber ich altere doch.

      Was soll ich tun?

      Ins Paradies zurück kann ich nicht. Zurück in die tödliche Wüste will ich nicht und zu meinem Daimler finde ich nicht zurück.

      Ich bin hier, auf einem Hügel, eine riesige Armee unter mir, die meine Befehle erwartet.

      Aber ich will nicht hier sein! Ich will nicht befehlen!

      Wie kommt es eigentlich, dass ich mich mit allem so leicht zurechtfinde. Ich kann besser reiten als jeder andere hier, kenne alle Verhaltensweisen und den Ehrenkodex der Ritter. Tag für Tag werde ich mehr ein Krieger dieser Welt und werde der Mensch, der ich nicht sein will. Ich lebe mich immer mehr in die Rolle des Kriegsschergen ein.

      Aber ich will das alles nicht... niemals!

      Ein kräftiges Rütteln an meiner Schulter holt mich in die Realität oder was ich momentan dafür halte zurück.

      »Lord Geward, entschuldigt die Störung, König Aldara hat mir aufgetragen Euch mitzuteilen, dass er Euch bei Sonnenaufgang in seinem Zelt erwartet.«

      Ich danke dem Boten, der mir die angsteinflößende Botschaft überbrachte und stehe müde und unsicher auf.

      Wie lange musste er nach mir gesucht haben, bis er mich hier fand?

      Langsam, jeden Schritt bedächtig vor den anderen setzend, gehe ich in der ersten Morgendämmerung zurück zum Lager.

      Es riecht bereits wieder nach kandierten Früchten, Honig und Nüssen. Der Duft nach frisch gebackenem Brot lässt meinen Mund wässrig werden und wieder überrascht es mich, obwohl ich es längst besser wissen müsste, wie früh die Bäcker ihr Handwerk beginnen.

      Ja, das Lager ist weiß Gott zu einer kleinen Stadt angewachsen; verdammt, Aldara hat wirklich Recht. Die durchwachte Nacht und die wunderbaren Gerüche wecken meinen Appetit und wie auf Befehl, zupft mich eine vom Alter gekrümmte Frau am Ärmel: »Herr, wollt Ihr mein frisches Nussbrot probieren? Es ist ganz frisch und noch warm. Ich habe es selbst gebacken, bitte nehmt!«

      Im Vorbeigehen nehme ich das Brot aus einer unendlich alten Hand, die von Jahren schwerster Arbeit tief gezeichnet ist, die mir die Köstlichkeit eifrig und zitternd entgegenstreckt, dann gehe gedankenverloren weiter.

      Ich erschrecke bei dem Gedanken, der alten Frau nicht einmal die kleinste Gabe oder Freundlichkeit, geschweige denn, den ihr zustehenden Lohn gegeben zu haben.

      Die Feuerröte steigt mir ins Gesicht und ich schäme mich bodenlos. Was ist bloß aus mir geworden?

      Ein schmarotzender, auf Kosten anderer lebender, Möchtegern-Adeliger, ohne Skrupel eine arme Frau zu bestehlen, die sicher nur aus Angst die Bezahlung nicht einforderte.

      Traurig gehe ich weiter.

      Der schwere Gang Richtung Königszelt erinnert mich an den letzten Weg eines zum Tode Verurteilten. Ein Verurteilter, der nur noch wenige Minuten hat, sein Leben Revue passieren zu lassen und es irgendwie, auch wenn er nicht weiß wie, abzuschließen versucht. Förmlich rieche ich den süßwürzigen Geruch des dunklen, im kalten Morgen noch feuchten Holzes, der schweren... mein Gott, das Fallbeil ist noch größer, als ich dachte; ich höre das helle, schabende Sirren des Testes und sehe den zufriedenen Gesichtsausdruck des Henkers: »Ausgezeichnet, alles in Ordnung.« Ich sehe den Henkersgehilfen das Fallbeil neu spannen. Entdecke die hölzerne Bank und den Halteriegel. Der Korb, der meinen blutspritzenden Kopf auffangen soll, steht ebenfalls schon bereit. Mein Gott, es gibt kein Entrinnen. Keine Möglichkeit der Flucht. Mein Kopf wird wild rollend, mit einem leisen Plop in den Weidenkorb fallen und Hunderte begeisterte Zuschauer werden klatschen und johlen. Väter werden ihre Kleinsten auf die Schultern nehmen, um nichts zu verpassen. Kinder werden vergnügt gebrannte Mandeln kauen und junge Frauen werden kokett kichern und meine toten Augen werden in den Morgennebel starren oder vielleicht im dunklen Boden des Korbes ertrinken und dann...

      ... Finde ich endlich wieder aus meinen Ängsten zurück.

      Überall in den Zeltgassen ist Leben. Leben, das mir die Angst nimmt; Leben das mich zurückholt, aber diese Kleinstadt wird sicher in keinen Krieg ziehen, nie mehr, niemals!

      Es hat sich tatsächlich ein Dorfplatz gebildet. Jetzt im Morgengrauen sind noch viele Buden geschlossen, aber in Kürze, nach Sonnenaufgang, werden die eifrigen Handwerker und Händler lautstark ihren Geschäften nachgehen.

      Das Gerücht hatte also gestimmt: Keine fünfzig Schritte vor mir sehe ich drei Fuhrwerke mit über zwei Meter hohen, knallbunt bemalten Aufbauten. Eindeutig Gaukler, Artisten oder Puppenspieler.

      Immer näher komme ich dem Zelt des Königs, ohne eine Lösung für den Krieg gefunden zu haben. Meine Schritte verlangsamen sich immer mehr. Wie der Feldzug komme auch ich zum Stillstand.

      Ich drehe um. Schließlich habe ich bis zum Sonnenaufgang, noch etwas Zeit. Ich bin fest entschlossen meine Gnadenfrist bis zur letzten Minute zum Nachdenken zu benutzen. Vielleicht geschieht ein Wunder, vielleicht finde ich eine Lösung für mich und meinen König.

      Halt Stopp! Nein, nein, was rede... was denke ich da: »Mein König«. Unsinn! Ich bin kein Sklave, kein Diener irgendeines Königs, auch nicht, wenn dieser mich als Schwiegersohn auserkoren hat.

      Was interessiert mich seine Tochter? Ich kenne nicht einmal ihren Namen. Eine namenlose Braut, was für ein Witz. Sicher ist sie hässlich, dumm und verzogen. Sonst hätte er sicher eine bessere oder reichere Partie für sie gefunden und nicht mich, Lord Geward, der nur der Sohn König Abis, dem Bruder König Aldaras ist.

      Zwei Königreiche, die zusammen sicher größer und mächtiger als das ganze Mitländerreich mit seinen unzähligen, untereinander verfeindeten Kleinstkönigreichen wäre.

      Meine Heirat mit der Tochter Aldaras wäre doch eine lohnende Verbindung, welche die zwei größten Reiche für immer verbinden könnte. Nach Vaters und Onkels Tod wäre ich der Herrscher über ein Megareich, das zu durchwandern Monate des intensiven Reitens erfordern würde.

      Mein Gott, welche Macht werde ich besitzen.

      Im Grunde ist es doch gleich, wie die Prinzessin, deren Name ich immer noch nicht kenne, aussieht. Wie sagte einmal ein weiser Trunkenbold: »In der Nacht sind alle Katzen grau.«

      Die Prinzessin wird mich so wenig lieben, wie ich sie, aber ich müsste meine Kammer ohnehin nur so lange mit ihr teilen, bis mindestens ein Erbe geboren ist. Kein Problem und sicher kein großes Opfer für das größte Reich aller Zeiten. Die beiden Reiche zusammen könnten in nur wenigen Wochen die Mitländer überrollen und restlos für alle Zeiten auslöschen. Ihre fruchtbaren Felder im Mittelland werden uns dann vorzüglich ernähren. Alleine die Felder im Süden Mittlands ernähren leicht dreißigtausend Soldaten.

      Mit einer derart gut genährten Armee, die nicht von Nachschubproblemen behindert ist, beherrsche ich dann in spätestens zwei Jahren, auch die Länder am See und die Bergländer im Osten werden sich, ohne die Lebensmittellieferungen aus den Tälern, sicher kampflos ergeben.

      Den Seenomaden mit ihren riesigen Handelsschiffen ist es egal, wer ihr Herr ist, solange sie nur ihren einträglichen Geschäften nachgehen können.

      In weniger als dreißig Monaten bin ich der uneingeschränkte Herrscher über das ganze Land.

      Mit meinem Vater und meinem Onkel werde ich nach meiner Hochzeit schnell fertig. Ein Becher vergifteten Weines,