Jürgen Ruhr

Final - Tanz


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mich informiert. Man hat uns beiden eine Waffe an den Kopf gehalten und wusste, dass man uns nicht zu nahekommen durfte, während die neun Zuschauer nur von einem einzigen Mann bedroht wurden. Außerdem hat uns Jeka beim Frühstück heute Morgen quasi nach unseren Waffen ausgequetscht. Nach der Entführung machte das ja Sinn, sofern sie es war, die die Gangster informiert hat. Allerdings dachte ich eher daran, dass Sergio und sie unter einer Decke stecken und diese ganze merkwürdige Tournee nur arrangiert wurde, um die Versicherungssumme zu kassieren.“

      „Immerhin fünfzig Millionen Euro, wenn Sergio stirbt“, spann Birgit meinen Faden weiter. „Dann müsste sie jedenfalls von vornherein geplant haben, ihn ermorden zu lassen. Allerdings glaube ich nicht, dass die Versicherung bei einem Mord die Summe so ‚mir nichts, dir nichts‘ auszahlen wird.“

      Ich nickte: „Das ist etwas, was nicht so recht zusammenpasst. Falls Sergio wirklich der Tote aus der Seine sein sollte. Ich hätte es eher wie einen Unfall aussehen lassen. Jetzt wird die Versicherung aber erst einmal die Ermittlungen abwarten. Und bei fünfzig Millionen, die Jeka Krynow bekommen könnte, steht sie natürlich ganz oben auf der Liste der Verdächtigen.“

      Es klopfte dezent an meine Tür. Ich öffnete.

      Die junge Dame von der Rezeption lächelte mich an: „Der Capitaine ist da, sie wollten doch mit ihm sprechen.“

      Der Polizist telefonierte gerade, als wir zu ihm traten. Er sprach noch ein paar Worte auf Französisch, dann beendete er das Gespräch. „Bertrand Ferylé“, stellte er sich vor und hielt Birgit die Hand hin. „Capitaine de Police, das entspricht dem Hauptkommissar in Deutschland.“ Er sprach mit einem leichten Akzent, der aber kaum zu hören war. Birgit stellte uns dem Mann vor, der genauso groß war, wie ich. Wir reichten uns die Hände. Ferylé machte einen sympathischen Eindruck. Sein Drei-Tage-Bart war gepflegt, dafür trug er auf dem Kopf keine Haare. Er war schlank und man sah ihm an, dass er regelmäßig Sport trieb.

      „Wir haben heute einen Mann aus der Seine gefischt, der Ballettkleidung trug. Aber das wissen sie ja schon, wie mir die Dame hier erklärte.“ Er zog ein Foto aus seiner Jackentasche und reichte es mir. Der Tote darauf war ganz eindeutig Sergio Palyska, der Balletttänzer.

      „Das ist Sergio Palyska“, bestätigte ich. „Ich würde mich gerne mit ihnen ungestört unterhalten“, fügte ich dann mit einem Blick auf die Frau hinter dem Empfangstresen hinzu. Es war nicht erforderlich, dass sie mehr als unbedingt notwendig von unserem Gespräch mitbekam. „Wir können auf mein Zimmer gehen.“

      „Sie reisten mit Herrn Palyska?“, fragte der Capitaine, als ich die Zimmertüre hinter uns schloss.

      „Frau Zickler und ich waren zum Schutz des Tänzers angestellt“, begann ich meine Erklärungen und der Polizist machte sich auf einem kleinen Block einige Notizen. „Sergio Palyska wurde heute Abend von vier bewaffneten und maskierten Männern während einer Tanzveranstaltung entführt. Seine Frau, Jekaterina Krynow, erhielt einen Zettel mit einer Lösegeldforderung. Eine Forderung über zwei Millionen Dollar, die bis morgen Mittag zu beschaffen seien.“

      „Und sie haben nicht sofort die Polizei verständigt?“

      „Nein, das wünschte Frau Krynow ausdrücklich so. Wir haben versucht, sie zu überzeugen, doch sie blieb hartnäckig.“

      Der Kommissar nickte, schrieb wieder etwas in sein Buch und meinte: „Wo fand die Veranstaltung denn statt? Ist Frau Krynow auch hier auf dem Hotelboot?“

      „Im Norden von Paris, in der Nähe von Sacré-Coeur.“ Ich nannte ihm die Adresse der Tanzschule. „Die Ehefrau des Tänzers müsste sich noch dort aufhalten. Wenn sie nicht zufällig die Nachrichten gesehen hat, dann weiß sie vermutlich noch nichts von dem Tod ihres Mannes. Allerdings sind die gesamten Umstände dieser Entführung mehr als merkwürdig ...“ Ich erklärte dem Polizisten in allen Einzelheiten von der abgeschlossenen Versicherung Sergios, sowie von der Tournee und den damit verbundenen Ungereimtheiten. Auch erwähnte ich, dass man Birgit und mich gezielt bedroht und an irgendwelcher Gegenwehr gehindert hatte.

      Ferylé überlegte einen Moment, dann kam er zu dem gleichen Schluss, den ich vorhin Birgit mitgeteilt hatte: „Ihren Worten nach klingt das so, als würde die Frau hinter der Sache stecken. Nur der Mord an dem Balletttänzer passt nicht dazu. Der Mann wurde in den Rücken geschossen, was vielleicht auf einen Fluchtversuch hindeuten könnte.“

      „Wo haben sie Sergio denn gefunden?“, fragte Birgit, die sich bisher zurückgehalten hatte.

      „Bei Saint-Ouen. Dort teilt sich die Seine und die Leiche wurde an einer Insel, der Ile des Vannes, angespült. Jedenfalls hat sie noch nicht lange im Wasser gelegen. Hier“, er drückte mir seine Visitenkarte in die Hand, „die Anschrift und Rufnummer vom Revier. Wenn sie mich nicht persönlich erreichen, hinterlassen sie bitte eine Nachricht. Ich werde jetzt erst einmal mit der Ehefrau sprechen. Sie haben mir jedenfalls schon sehr geholfen. Falls ihnen noch etwas einfällt, oder sie in der Sache etwas Neues hören, dann rufen sie mich bitte an.“

      Ferylé verabschiedete sich und verließ das Zimmer. Mittlerweile war es fast halb Zwölf nachts und Bernd würde sicherlich nicht erfreut sein, doch ich musste ihn anrufen und über die neue Entwicklung informieren.

      Bernd klang weder verschlafen, noch müde und doch musste ich ihn aus dem Schlaf gerissen haben. Er war einer der wenigen Menschen, die ich kannte, die geweckt werden konnten und sofort hellwach waren. „Jonathan. Ich nehme an, dass es Neuigkeiten gibt. Ist der Tänzer wieder aufgetaucht?“

      „Ja, im wahrsten Sinne des Wortes“, antwortete ich und musste trotz der Situation über meine Worte schmunzeln. „Man hat ihn mit einer Kugel im Rücken aus der Seine gefischt.“

      „Das hört sich nicht gut an. Im Rücken? Vielleicht ein Fluchtversuch. Was sagt seine Frau dazu?“

      „Wir haben noch nicht mit ihr gesprochen. Birgit und ich sind zum Hotelboot zurückgefahren und Jeka wollte noch in der Tanzschule bleiben. Wir haben dann hier von Sergios Tod erfahren, da es wohl schon eine Meldung in den Nachrichten gab. Ein Kommissar der hiesigen Polizei hat uns das Foto des Toten gezeigt, es ist eindeutig Sergio, daran besteht kein Zweifel. Wir haben ihm alles mitgeteilt, was wir wissen und er scheint Jeka Krynow auch zu verdächtigen, in der Sache mit drin zu stecken.“

      „Gut, Jonathan. Oder eher: nicht gut. Aber wir können jetzt wohl nichts mehr unternehmen. Ich denke einmal, dass eure Aufgabe damit erledigt ist. Braucht die Polizei euch noch? Wegen irgendwelcher Aussagen oder so?“

      „Davon hat der Capitaine nichts gesagt. Auch nicht, dass wir die Stadt nicht verlassen dürfen.“

      „Dann sprecht bitte morgen mit der Ehefrau von Sergio und kommt so bald wie möglich zurück. Wenn die Polizei sie ebenfalls verdächtigt, wird sie Paris nicht verlassen dürfen. Meldet euch kurz bevor ihr abfliegt, dann holt Christine euch wieder vom Flughafen ab.“

      „In Ordnung. Schlaf noch gut.“ Ich legte auf und sah Birgit an. „Und wir sollten jetzt vielleicht auch schlafen gehen. Morgen sprechen wir mit Jeka und dann kümmern wir uns um den Rückflug. Gute Nacht, Birgit.“

      Am nächsten Morgen dachte ich noch im Bett darüber nach, was ich Jeka fragen sollte. Mir fiel nicht wirklich etwas ein und ich wollte auch nicht, dass sie bemerkte, welchen Verdacht ich hegte. Ich kam schließlich zu dem Schluss, ihr lediglich mein Beileid auszusprechen und alles Weitere der Polizei zu überlassen. Dieser Fall ging uns jetzt nichts mehr an.

      Als ich aus dem Nebenraum das Geräusch der Dusche vernahm, erhob ich mich und folgte dem Beispiel meiner Kollegin. Ich duschte recht kühl und das kalte Wasser verschaffte mir einen klaren Kopf. Hatten wir einen Fehler gemacht? Hätte der Tod des Tänzers vermieden werden können? Ich stellte mir verschiedene Szenarien in der Tanzschule vor, kam aber immer zu dem Schluss, dass im günstigsten Fall nur Birgit und ich gestorben wären, im ungünstigsten Fall allerdings neben Frau Routon auch die Zuschauer erschossen worden wären. Und natürlich Birgit und ich. Aber eine Gegenwehr war ohnehin nicht möglich gewesen, da die Gangster zu weit von uns fort gestanden hatten. Und dass die Männer skrupellos vorgingen, sah man ja an dem toten Sergio.

      Birgit