Josephine Becker

Rakna


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Augen zusammen und erwartete einen harten Zusammenprall mit der glatten Oberfläche. Doch wie die körperlose Hand glitt ihr Leib mühelos durch den Spiegel hindurch. Als Rakna die Lider öffnete, fand sie sich auf der bunten Blumenwiese wieder. Es roch hier wunderbar süßlich, wie ein in voller Blüte stehender Rosenstrauch. Allerdings war der Genuss nicht von langer Dauer, denn die eben noch körperlose Hand zerrte sie ein weiteres Mal von den Füßen und zeigte jetzt, dass sie zu einem ebenso grässlichen Körper gehörte. Vor ihr stand ein grausig aussehendes Wesen, in Gestalt einer Frau, mit schwarzem Haar und gräulich weißer Haut. Ihre Augen waren pechschwarz und von dunklen Ringen umgeben, als hätte sie viele Jahre das Tageslicht nicht gesehen. Zum großen Schrecken von Rakna schwebte die Frau mit ihren nackten Füßen einige Zentimeter über den Boden. Ihre Zehennägel waren dunkel verfärbt und liefen zu einer scharfen Spitze zusammen. Um sie herum wand sich ein zerrissenes schwarzes Kleid. Manche Fetzen schwebten um ihren Kopf und ihren Leib, als führte sie ein unsichtbarer Fadenzieher. Ihre Haare wirbelten wild um ihr bösartig lächelndes Gesicht, obwohl kein Windhauch das Gras und die Bäume erfasste. Raknas angsterfüllte Augen, die sich mit Tränen gefüllt hatten, führten dazu, dass das grausige Wesen breiter grinste und schwarze spitze Zähne sich zwischen ihren Lippen zeigten. Rakna wurde von dem Geschöpf näher herangezogen. Sie erkannte deutlich, dass ihr Gebiss, wie bei einem Hai, in doppelter Zahnreihe angelegt war. Der widerliche Anblick des Wesens nahm ihr fast den Atem. Als es dann zu säuseln begann, war das Mädchen gelähmt vor Angst und Abscheu.

      „Solch ein hübsches Kind hab ich seit Jahrhunderten nicht mehr erblickt. Was für ein glücklicher Zufall, dass du gerade jetzt auf unsere Lichtung gekommen bist.“ Die pechschwarzen Augen wurden zu Schlitzen, sodass nur die Pupillen zu erkennen waren.

      „Aber sag mir, wie heißt du mein Kind?“ Die übermächtige Furcht ließ nicht zu, dass Rakna irgendein Wort über die Lippen brachte. Sie stammelte nur unverständliche Laute vor sich hin und das Geschöpf drang unerbittlich weiter auf das Mädchen ein.

      „Ich merke, meine Herrlichkeit und mein überragender Einfluss haben dir die Zunge verschlungen. Es stört mich nicht Kind. Schon tapfereren Kriegern erging es so wie dir. Und was macht es, wenn ich einmal nicht den Namen meines Morgenmahles kenne. Für dich werde ich eine Ausnahme machen.“ Auf diese Worte hin, folgten viele Dinge zugleich. Das bösartige Gesicht riss seinen Mund zu einem gewaltigen Schlund auf und vergrub die unzähligen Zähne in der Schulter des Kindes. Rakna spürte, wie sich die spitzen Hauer schmerzhaft in ihr Fleisch versenkten und warmes Blut an ihrem Schulterblatt herunter lief. Hinter ihr ertönte ein lauter Schreckensschrei und Rakna wurde mit einem kräftigen Ruck zu Boden gerissen. Der Schmerz des Aufpralls übermannte sie und nahm ihr die Sicht. Doch bevor sie die Sinne verlor, erblickte sie verschwommen eine schlanke Gestalt über sich. Ein leises Surren, begleitet von einem silbrigen Schweif, schwang durch die Luft. Dann wurde es um sie herum vollkommen dunkel und sie wurde ohnmächtig.

      Lynthriell

      Das Erste, was Rakna vernahm, war, wie der Schmerz in ihrer Schulter langsam nachließ. Sie vermochte es sich nicht zu erklären wieso. Lag es daran, dass sie im Sterben lag? Und war es so, dass im Tode, eine leise Stimme in einer fremden Sprache vor sich hin murmelte, bis der Schmerz nachgelassen hatte? Aber war es überhaupt möglich, im Tod noch was zu spüren? Rakna bemerkte, wie etwas Nasses auf ihre Stirn gelegt wurde. Wie merkwürdig! Nein, das konnte nicht Sterben sein. Sie versuchte, ihre Augen zu öffnen und sich aufzurichten, aber sie war zu schwach und so gelang es ihr nur, durch ihre zusammengepressten Augenlider hervor zu spähen. Sie erkannte eine Frau vor sich. Doch diese wirkte nicht angsteinflößend. Sie besaß ein hübsches, ebenmäßiges Gesicht mit langem, geschmeidigem, schwarzem Haar, das ihr bis zur Brust reichte. An beiden Seiten der Stirn hatte sie eine dünne geflochtene Strähne, welche sich am Hinterkopf verband. Ihre Augen waren von einem strahlenden Blau und von vollen langen Wimpern umgeben. Die Fremde, war deutlich größer als alle Frauen, die Rakna kannte. Sie trug ein weißes, transparentes Kleid über einem sonnengelben Unterkleid, welches eng um die Brust geschnürt worden war. Die Ärmel verliefen nach unten zu einer weiten Öffnung und zarte Hände ragten darunter hervor. Sie tupfte mit einem Tuch Raknas schweißnasse Stirn ab. Als sie bemerkte, dass das Kind wach war, sprach sie zu ihr mit besorgter Stimme:

      „Du hast wirklich großes Glück gehabt. Wäre ich einen Moment später gekommen, hätte ich dir nicht mehr helfen können.“ Rakna versuchte sich aufsetzen, doch die Frau drückte sie mit sanfter Gewalt wieder zurück auf das Kissen.

      „Du solltest dich ausruhen! Wir haben heute einen anstrengenden Tag vor uns. Es ist wichtig, dass wir dich in deine Welt zurückbringen.“ Endlich hatte das verwirrte Kind, die Stimme wieder gefunden. Zu Beginn fiel es ihr schwer, einen Ton hervorzupressen, doch dann sprach Rakna zögerlich und brüchig:

      „Wer seid Ihr? Und wer war diese schreckliche Frau?“

      „Mein Name ist Lynthriell und ich bin Bewohnerin des Luftvolkes des Elfenlandes. Die Kreatur, der du armes Kind begegnet bist, war keine Frau. Sie ist eine Dämonenfürstin und ihr einziges Ziel ist es, dir deine Lebenskraft zu entziehen. Wenn ich sie nicht aufgehalten hätte, nicht auszusprechen, was dann mit dir geschehen wäre.“ Die sanftmütige Frau sah zu Boden und schüttelte leicht ihren hübschen Kopf. Ihr Blick wurde ernst:

      „Leider gibt es etwas, was ich dir sagen muss. Der Biss der Fürstin bringt grausame Begleiterscheinungen mit sich. Wird das Opfer dabei nicht getötet, so wird es doch mit dem gefährlichen Gift infiziert. Hindert man es nicht an seiner Ausbreitung, wird jedes Geschöpf, das damit befallen ist, in Ihres gleichen verwandelt. Ich habe es geschafft die Infektion in deiner Schulter einzuschließen, sodass sie sich nicht weiter ausbreitet und die Seele nicht verdirbt. Aber das Gift hat schon sein Mal hinterlassen und dagegen vermag ich leider nichts zu tun.“ Im selben Moment, als sie ihren Satz beendete, klopfte es laut an der Tür. Erschrocken wandte sie ihr elegantes Haupt in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Dann schaute sie wieder zu Rakna und legte einen Finger auf ihre Lippen, zum Zeichen, dass sie sich still verhalten sollte. Lynthriell schlich leise aus dem kleinen Raum und schloss die Tür hinter sich. Plötzlich wurde eine andere Tür aufgerissen und eine laute, tiefe Stimme ertönte. Sie sprach im strengen Ton:

      „Es wurde ein Fremdling, aus dem Menschenreich aufgespürt. Die höchste Alarmstufe wurde ausgerufen. Ist Euch irgendetwas aufgefallen? Ihr wisst, wir müssen sie auslöschen, bevor Schlimmeres passiert.“ Mit kräftiger, bestimmter Stimme antwortete Lynthriell:

      „Nein Herr, selbst wenn mir etwas ins Auge gefallen wäre, hätte ich gleich mit der Gebieterin gesprochen und nicht mit Euch. Ich kenne Euch! Ihr hättet, egal ob Freund oder Feind, Eure Lanze in den Menschen gebohrt! Das ist nicht meine Art, Valgas.“

      „Nicht so vorlaut! Ihr steht schon unter Beobachtung. An Eurer Stelle würde ich mich zurückhalten!“ Mit einem gewaltigen Krachen wurde die Eingangstür zugeschlagen und schnelle Schritte verrieten der ratlosen Rakna, dass jemand auf dem Weg zu ihr war. Lynthriell kehrte zurück und ihr Gesicht war in tiefe Sorgenfalten gelegt.

      „Beeilen wir uns! Sie verstärken schon die Wachen. Leider kannst du dich nicht länger ausruhen. Wir müssen dich hier wegbringen. Sonst ...“, sie unterbrach sich. Rakna verstand gar nichts mehr. Wieso erlaubte sie ihr nicht, hierzubleiben? Hier bei ihr, in Sicherheit! Warum versuchten alle, ihren Tod herbeizuführen? Sie hatte doch niemandem ein Leid zugefügt. Die Angst ergriff wieder von ihr Besitz. Die schöne Frau schien ihre Gedanken zu lesen, denn sie sagte:

      „Hab keine Sorge, ich werde dir helfen. Die Elfen meines Volkes sind von Furcht geplagt. Angst vor Veränderung, die mit Fremden einhergeht und sie haben kein Vertrauen in die, die von einem Dämon gebissen wurden. Diese werden von hier verbannt, nicht auszusprechen, was sie dir antun würden. Ich aber habe dein Innerstes gesehen und du trägst nichts Böses in dir, auch wenn du ein Mensch bist.“ Als sie endete, fragte sich Rakna, was dies zu bedeuten hatte? War es so wichtig, woher sie kam? Ja, es gab einige feindselige Leute wie Ulrich, denen es Spaß bereitete, andere zu quälen und dabei Genuss zu empfinden. Aber das war einer von einem ganzen Dorf. Doch, um weitere Fragen zu stellen, blieb keine Zeit mehr. Rakna hörte hektische Stimmen und irgendeine davon sagte Lynthriell etwas, denn mit einer schnellen