Sören Kalmarczyk

Telepathenaufstand


Скачать книгу

genießen“, sagte er leise, als er sich ein Buch nahm, „Wer weiß, wie lange sie sowas noch haben.“

      Ein kalter Schauer fuhr ihm über den Rücken. Irgendetwas schlimmes war im Entstehen, aber er wusste noch nicht, was. Er ahnte nur, dass es mit der hysterischen Frau von vorhin zu tun hatte.

      Josephine packte ihre letzten Sachen. Für die kommenden drei Tage hatte sie Kleider von ihrer Cousine bekommen, sodass sie nichts zurücklassen musste. Ganz oben kam die Kuscheldecke in die Tasche. Am nächsten Morgen ging es zu ihrer Tante nach Bogotá. Ihre Eltern und ihre Cousine wollten sie begleiten, die Kinder blieben in der Zeit bei ihrer Großmutter.

      Ihr Onkel hatte ihr eine Powerbank gekauft, damit sie ihr Handy unterwegs aufladen konnte.

      Mariana betrat das Zimmer und stupste sie an.

      Josephine sprang hoch und schrie. Sie war inzwischen das reinste Nervenbündel. Mariana kicherte.

      „Hast du alles?“, fragte sie.

      Josephine nickte. „Alles da.“

      Mariana ging den Notizzettel durch: „Reisepass? Bordkarte? Flugticket? Mathetest?“

      Josephine wurde panisch und durchwühlte alles. Irgendwann hielt sie inne und sagte ganz langsam: „Mathetest?“

      Sie drehte sich zu Mariana um. Dann lachten beide und die Anspannung fiel von ihr ab.

      „Komm, alle warten schon.“, sagte Mariana und zog sie am Arm aus dem Zimmer. Sie fuhren mit einem Taxi zu ihren Eltern, wo sich alle aus der Familie versammelt hatten, die in der Gegend wohnten. Ein großes Fest zu ihrem Abschied.

      Ihr wurde etwas schwermütig ums Herz, als sie so viele Familienmitglieder sah, die sie wahrscheinlich lange Zeit nicht wiedersehen wurde.

      Dann gingen die üblichen Streitereien los und schon ging es ihr wieder besser.

      Während sich zwei ihrer Tanten gerade beharkten und sich gegenseitig irgendetwas aus grauer Vorzeit vorwarfen, näherte sich ihr Bruder von hinten und umarmte sie.

      „Du wirst mir fehlen, Hobbit!“, sagte er leise.

      Sie drehte sich um und drückte ihn. „Du mir auch, Hagrid!“, woraufhin er das Gesicht verzog und sie lachen musste.

      „Aber wir sehen uns ja bald wieder!“, kam seine Frau dazu. Eine Deutsche. Ein halbes Jahr nach Josephine wollten auch die beiden wieder nach Deutschland zurück.

      Einer ihrer Onkel stand plötzlich auf und rief: „Wie verabschiedet man sich auf Deutsch?“

      Ihre Schwägerin war schon wieder irgendwohin verschwunden, sodass diese ihr nicht helfen konnte. Also stand Josephine allein da, die Blicke aller Anwesenden auf sich gerichtet. Ihr Lampenfieber machte sich bemerkbar.

      Sie presste den Daumennagel fest gegen den Zeigefinger und atmete einmal tief ein.

      „Tschüss!“, sagte sie laut.

      Als alle Anwesenden merkten, dass da nicht mehr kommen würde, stießen sie mit den Gläsern auf sie an, wünschten ihr viel Glück, Gesundheit, Reichtum und was man noch alles wünscht. Vor allem viele Kinder wünschten ihr die älteren Frauen der Familie.

      Das war dann auch schon der Auslöser für den nächsten Streit, denn eine ihrer Cousinen war seit 4 Jahren verheiratet und das Paar hatte noch kein einziges Kind. Während die beiden sich darüber keine Gedanken machten, waren ihre Eltern schon wieder eifrig dabei, sie zu verteidigen.

      Josephine ging leise aus dem Raum und die Treppen hoch. Sie ging rechts entlang, bis sie links von sich die Tür sah, die ihr so vertraut war. Ihr altes Kinderzimmer. Hier hatte sie gewohnt, als sie sich kennen gelernt hatten.

      Die Tür war nur angelehnt und so zog sie sie ganz auf. Dieselbe Farbe an den Wänden und noch immer stand ihr Schreibtisch und ihr alter Kleiderschrank darin. Josephine sah sich etwas wehmütig um.

      „Breite deine Flügel aus und fliege, kleine Phina!“, hörte sie ihre Mutter von der Tür sagen.

      Sie drehte sich um und sah zu ihr, Tränen in den riesengroßen, dunklen Augen.

      „Zu Hause ist, wo man dich liebt und immer an dich denkt.“, sagte Gabriela, „Du verlierst dein Zuhause hier nicht. Du gewinnst eins hinzu.“

      Josephine stürzte ihrer Mutter in die Arme. „Ich komme wieder, mit den beiden, das verspreche ich dir!“, schluchzte sie.

      Gabriela fuhr ihr mit den Fingern durch die Haare und hob ihr Gesicht dann an. Sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn und schüttelte dann den Kopf.

      „Versprich mir nicht sowas. Versprich mir nur eins: Werde glücklich!“

      Josephine strahlte und weinte zugleich und als sie nickte, machte sie ein Geräusch, das an eine miauende Katze erinnerte.

      „Na komm“, sagte ihre Mutter, während sie ihr mit der Schürze die Tränen abwischte, „Die anderen wollen sich von dir verabschieden.“

      Als die Feier langsam zu Ende ging und sich alle verabschiedeten, kam Josephines Vater auf sie zu.

      „Würdest du mit deinem alten Herrn noch einen letzten Spaziergang machen, bevor du gehst?“, fragte er sie.

      Josephine strahlte und nickte heftig. Ihre Cousine und ihr Schwager, auch ihre Mutter, alle zogen sich an.

      Gemeinsam gingen sie zu Fuß zum Haus von Mariana, wo sie eine letzte Nacht verbringen würde, bevor ihr Onkel sie nach Bogotá mitnahm.

      An Schlaf war jedoch nicht zu denken. Sie redete die ganze Nacht mit ihrem Vater. Zumindest den Rest, der von der Nacht noch übrig geblieben war.

      Er war der letzte gewesen, der ihren Verlobten akzeptiert hatte. Jahrelang war er gegen die Beziehung gewesen und hatte alles versucht, um sie auseinanderzubringen. Er wollte einfach nicht, dass seine kleine Tochter so weit weg geht.

      Einmal hatte er es sogar geschafft. Er hatte Josephine gezwungen, sich von Alexander zu trennen. 3 Monate lang waren die beiden getrennt gewesen. Sie musste den Kontakt vollständig abbrechen und empfing nichts mehr von ihm, keine Anrufe, keine Briefe, keine Nachrichten.

      Sie verlor fast 20 kg Gewicht in dieser Zeit und irgendwann hielt es ihre Mutter nicht mehr aus. Sie weigerte sich, mit ihrem Ehemann zu reden, bis er ihr wieder den Kontakt erlaubte.

      Natürlich blieb er stur. Also zog Gabriela die Daumenschrauben an: Es gab kein Essen mehr. Sie kochte für ihre Kinder und für sich, aber nicht mehr für ihn.

      Irgendwann gab er auf und erlaubte den Kontakt wieder. Er ging sogar noch weiter und organisierte den ersten Besuch Alexanders und Adrianos in Kolumbien. Ohne seiner Tochter etwas zu sagen, arbeiteten mehrere Familien des Clans Hand in Hand, um die beiden ins Land zu holen.

      Eines Morgens saßen Alexander, Adriano und Josephines Eltern im Wohnzimmer. Genau dort, wo die Abschiedsfeier stattfand. Josephine wurde von den Stimmen wach und kam schlaftrunken die Treppen herunter.

      Sie sah ihn an. Die Luft schien zu knistern, so aufgeladen war die Situation.

      Josephine drehte sich wieder um und ging langsam die Treppen hinauf, ins Badezimmer und spritzte sich mehrfach kaltes Wasser ins Gesicht. Dann ging sie wieder hinunter.

      Als sie nun sicher war, dass sie wirklich wach war und da wirklich auf dem Sofa saß, wen sie da sitzen war, rannte sie los, sprang auf seinen Schoß und schlang die Arme um seinen Hals.

      Das Sofa mit den beiden darauf kippte um – Adriano war schnell aufgesprungen und hatte sich noch in Sicherheit gebracht.

      Josephine interessierte die Welt nicht mehr, sie hatte Alexander bei sich und begrub ihn unter Küssen und Tränen.

      Ihr Vater lächelte zufrieden. Die letzten drei Stunden hatte er ihn einem Verhör unterzogen, das jeden Kriminalbeamten neidisch gemacht hätte und war zu dem Schluss gekommen, dass es keinen besseren für seine Tochter gibt.

      Am nächsten Morgen sahen die beiden