Sören Kalmarczyk

Telepathenaufstand


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Weg durch die Anden bis nach Bogotá war ihr jedes Mal ein Graus. Wenn sie müde genug zum Schlafen war, war das nur umso besser.

      Ihr Onkel fuhr vor und sie luden die letzten Taschen ein. Eine Reisetasche und ein großer Rucksack. Mehr war von Josephines Sachen nicht mehr da, der Rest war schon in Deutschland.

      Josephine, Mariana und ihre Eltern stiegen in das Auto und ihr Onkel fuhr los. Es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen war und nichts mehr von der Fahrt mitbekam.

      Etwa sechs Stunden später wurde sie von Mariana geweckt, die ihr mit der Fingerspitze in die Wange piekte.

      „Wir sind da, Dornröschen!“, rief sie fröhlich und zog sie aus dem Auto.

      Noch im Halbschlaf torkelte Josephine hinterher. Sie begrüßte ihre Tante und wollte ihr sofort helfen, aber diese winkte ab.

      „Du hast noch genug Arbeit vor dir. 36 Stunden vom Abflug hier bis zur Landung in Wo-auch-immer, das wird hart genug.“

      Josephine lächelte dankbar, rollte sich auf einem Ende der Couch zusammen und war schon wieder eingeschlafen, ehe der Rest der Familie im Haus war.

      Albträume plagten sie. Aber sie hatten nichts mit dem Flug zu tun. Sie träumte, dass sie ihren Vater zum letzten Mal sehen würde.

      Am anderen Ende des Hauses saßen ihre Eltern mit ihrer Tante, ihrem Onkel und Mariana am Küchentisch zusammen.

      „Habt ihr es ihr gesagt?“, fragte der Onkel gerade.

      Gabriela schüttelte den Kopf, aber es war ihr Ehemann, der antwortete: „Wir wollen, dass sie endlich glücklich wird. Wenn sie es wüsste, würde sie den Flug absagen und hier bleiben.“

      „Irgendwann muss sie es wissen.“, warf Mariana ein, „Ich kann meine Cousine nicht die ganze Zeit belügen.“

      Marianas Mutter warf ihr einen intensiven Blick zu: „Du belügst sie nicht, du erzählst ihr nur nicht alles. Und es ist besser so.“

      Josephines Vater nickte: „Es gibt nichts, was sie oder irgendwer noch tun könnten. Der Krebs hat gewonnen. Wenn es vorbei ist, dann könnt ihr es ihr sagen. Vorher nicht. So will ich es!“

      Und damit war das Thema erledigt. Der Patron hatte seine Entscheidung verkündet und jede weitere Diskussion erübrigte sich.

      Am Morgen des 13. Februar fuhren sie zum Flughafen El Dorado. Josephines Eltern erledigten die Gepäckaufgabe und den Zoll. Josephine zeigte ihren Reisepass und ihr Visum vor. Auch die Hochzeitsanmeldung wollte der Zollbeamte sehen, denn ihr Visum war zum „Zweck der Eheschließung“ ausgestellt.

      Als alle Formalitäten erledigt waren, trafen sie sich noch einmal im Wartebereich. Das Flugzeug stand bereits da.

      Nach einem emotionalen Abschied ging Josephine in den Check-In-Bereich des Flughafens. Nur ihre Cousine begleitete sie bis zum Schluss. Die letzten zwei Jahre hatte sie bei ihr gelebt.

      „Danke“, sagte Josephine mit trauriger Stimme, „Danke für alles!“

      Mariana umarmte ihre Cousine und drückte sie fest.

      „Es ist kein Lebewohl“, flüsterte sie, „Nur ein Bis bald.“, dann ließ sie Josephine los und gab ihr einen sanften Schubs in Richtung Gate.

      Mariana rief ihr noch hinterher: „Denke nicht an die, die du zurücklässt, Phina! Denke an die, zu denen du jetzt fliegst!“

      Josephine nickte, lächelte und schulterte ihren Rucksack. Der Stewardess gab sie ihre Bordkarte und wollte gerade weitergehen, als die Stewardess sie kurz aufhielt.

      „Viel Spaß in Deutschland!“, sagte sie auf Deutsch.

      Auf Josephines erstaunten Blick hin, ergänzte sie: „Ja, ich bin Deutsche.“

      Josephine bedankte sich und ging an Bord.

      Ihr Sitzplatz war A-47. Sie schmunzelte, als sie das sah. A für Alexander. Und er behauptete, dass sie genau 47 Sommersprossen im Gesicht hätte.

      Als der Kapitän mit seiner Ansage begann und sagte, dass die Passagiere die Handys ausschalten sollten, holte sie ihres heraus.

      Sie wollte es gerade ausschalten, da fiel ihr noch etwas ein.

      „Schatz, ich komme nach Hause!“, schrieb sie Alexander. Dann schaltete sie das Handy aus.

      „Schatz, ich komme nach Hause!“, sagte die Nachricht, die Alexander las. Er schaute auf die Uhr. Abflugzeit. Er schickte ihr ein Herz, das nicht mehr zugestellt wurde.

      Jetzt wusste er, wie er sie am Flughafen begrüßen würde.

      Als er gerade einen Kontrollgang durch die Wohnung machte, um sicherzustellen, dass alles perfekt und sauber war, klingelte sein Handy. Merlin rief ihn an.

      „Das ist ja mal ungewöhnlich“, meldete er sich.

      Er hörte kurz zu, als ihm Merlin etwas erzählte und auflegte, dann nahm er langsam das Handy herunter. Sein Blick ging ins Leere, als er die Information verarbeitete und sich fragte, was er damit anfangen sollte.

      Merlin hatte ihm mitgeteilt, dass auf der Passagierliste für Josephines Anschlussflug ein Telepath aufgetaucht war. Das war an sich noch nichts ungewöhnliches. Auch Telepathen durften frei reisen. Aber dieser besondere Telepath war ungewöhnlich. Ein diözesaner Ermittler.

      Während seiner Ausbildung in Telepathie hatte Alexander gelernt, dass allen Zirkeln ein Guardian vorstand, ein Wächter, der von der Kirche in Rom ernannt wurde. Diese Wächter waren die einzigen, die untereinander Kontakt aufnehmen durften. Dem Rest des Zirkels war es grundsätzlich verboten, Kontakt zu Telepathen anderer Zirkel aufzunehmen. Wenn sie sich zufällig trafen, gab es ein festgelegtes Protokoll. Sie mussten sich einander zu erkennen geben und durften keine weiteren Kontakte haben.

      Den Sinn dahinter hatte Alexander nie verstanden und Merlin konnte oder wollte es ihm nicht erklären. Bei seinen Recherchen stieß Alexander auf noch mehr seltsames. Anscheinend reichte dieser Arm der Kirche sogar bis in Gebiete und Länder, in denen sie sonst überhaupt nicht vertreten war. Ein Netz, das die ganze Welt umspannte und anscheinend nur dafür da war, die Telepathen daran zu hindern, miteinander zu reden.

      Einige dieser Guardians waren mit besonderen Aufgaben betraut. Ein diözesaner Ermittler war dafür zuständig, Verstöße zu ahnden und abtrünnige Telepathen einzufangen. Und so ein Typ saß ab Amsterdam im selben Flugzeug wie Josephine.

      Alexander wusste nicht, was er davon halten sollte. War er wegen Josephine an Bord? War irgendwas passiert, was dem Zirkel entgangen war? Oder war alles nur Zufall? Ihm blieb nur, abzuwarten und zu sehen, was passieren würde.

      Merlin hatte ihm nur Bescheid gesagt, dass er und Magdalena auch am Flughafen sein würden, da sie die Führungsriege des Zirkels waren.

      Alexander legte das Handy weg, beendete seine Runde und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er fand es wenig zielführend, sich jetzt den Kopf zu zerbrechen. Also rief er die Webseite der Airline auf, mit der Josephine flog. Sie würde in 20 Minuten in Cartagena zwischenlanden.

      Er stellte sein Handy so ein, dass es sich meldete, wenn seine letzte Nachricht zugestellt wurde. Dann setzte er sich das Headset wieder auf und konzentrierte sich darauf, seinen Sohn aus dem Weltall zu pusten. Sie hatten inzwischen das Spiel gewechselt und beharkten sich nun in einem Onlinespiel, das in der Zukunft spielte.

      Mitten auf dem Alexanderplatz stand eine Frau. Sie wusste nicht, warum sie hier stand. Weder wusste sie, wo sie gerade herkam, noch wohin sie eigentlich wollte. Angestrengt dachte sie nach.

      Sie hatte Feierabend gemacht und die Arztpraxis abgeschlossen. Irgendwas war mit einem Buch. Wollte sie ein Buch kaufen gehen? Nein, sie hatte sich kürzlich ein Buch gekauft. Sie griff in ihre Handtasche und zog es heraus. „Die moderne Praxishilfe im 21. Jahrhundert“, stand auf dem Einband.

      „Klingt interessant“, murmelte sie leise.

      Plötzlich fuhr sie hoch und schrei kurz auf. Eine Hand hatte sich auf ihre Schulter gelegt.