Janina Hoffmann

Sie war meine Königin


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habe. Er musste sich das alles ausdenken. Ich verstand nur nicht, wieso er diese Dinge über seine Mutter, die die netteste der Welt war, behauptete.

      Meine Großmutter nahm mich an der Haustür in Empfang und teilte mir mit, dass meine Mutter wegen der heutigen Aufregung um den Eindringling auf unserem Grundstück noch immer im Bett lag, um sich auszuruhen. Kurz darauf verzehrten sie und ich im Esszimmer unser Abendessen. Meine Großmutter wirkte nachdenklich und ungewohnt schweigsam. Sicher machte sie sich Sorgen wegen meiner Mutter, vielleicht auch wegen des Mannes namens Bruno Buhr, der es ja wohl anscheinend auf uns abgesehen hatte, wenn mir der Grund dafür auch nicht ansatzweise bekannt war. Nach einer Weile entschloss ich mich, meine Großmutter einfach danach zu fragen. „Oma, wer ist eigentlich Bruno Buhr?“

      „Was?“ Meine Großmutter, die mir gegenübersaß, sah mich schockiert an.

      „Na, wer Bruno Buhr ist, will ich wissen.“

      „Wie ... kommst du denn auf diesen Namen?“

      „Ich habe gehört, wie Mama gestern mit dir über ihn gesprochen hat“, gab ich zu.

      „Da musst du dich verhört haben“, widersprach meine Großmutter entschlossen und spießte, als wollte sie dieser Aussage Nachdruck verleihen, heftig einige Nudeln auf ihre Gabel.

      „Nein, ich habe mich nicht verhört. Ich weiß ganz genau, dass Mama diesen Namen gesagt hat. Und außerdem, dass alles wieder von vorn losgeht. Was geht denn wieder von vorn los?“

      „Nichts geht von vorn los. Überhaupt nichts.“ Meine Großmutter stopfte sich die Nudeln in den Mund, obwohl sie bei den vorherigen Mahlzeiten vorbildliche Tischmanieren an den Tag gelegt hatte, und kaute energisch, während sie mich geradezu wütend dabei ansah.

      „Was hast du denn auf einmal?“, erkundigte ich mich arglos.

      „Du sollst aufhören, solche Sachen zu behaupten“, antwortete meine Großmutter gereizt, nachdem sie den großen Bissen heruntergeschluckt hatte. „Hast du mich verstanden! Das ist genauso ein Unsinn wie die Kinderarbeit, von der du heute Mittag gesprochen hast! Du entwickelst dich noch zu einem richtigen Lügner!“

      „Ich bin kein Lügner!“, verteidigte ich mich erbost. „Dass mein Klassenkamerad viel im Haushalt helfen muss, hat er mir sehr wohl erzählt! Und das mit Bruno Buhr habe ich mir auch nicht ausgedacht!“

      „Erwähne diesen Namen nie wieder!“, schrie mich meine Großmutter an. „Deine Mutter ist schon unglücklich genug!“

      „Ich bin auch unglücklich!“, antwortete ich in nicht geringerer Lautstärke. „Und zwar weil Melissa tot ist!“

      Meine Großmutter sah mich betreten an. „Ja, ich weiß“, stimmte sie mir leise zu. „Wir sind alle traurig, sehr traurig sogar, weil Melissa tot ist. Komm, lass uns aufhören zu streiten. Aber versprich mir, dass du deine Mutter nicht aufregst, indem du sie nach dem Mann fragst, der auf euer Grundstück eingedrungen ist.“

      „Bruno Buhr“, beharrte ich.

      „Constantin.“ Im Tonfall meiner Großmutter schwang eine leise Drohung mit. „Mach es nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon ist.“

      Die abweisende Art meiner Großmutter und ihr bestimmender Tonfall ärgerten mich, und obwohl ich sie ganz gern hatte, wünschte ich in diesem Moment, sie würde nach Hause fahren und uns hier in Ruhe lassen.

      „Guten Abend.“ Als hätte mein Vater, der plötzlich in der Tür aufgetaucht war, meine Gedanken gelesen, ging er mit ein paar großen Schritten auf meine Großmutter zu und fragte sie ohne Umschweife: „Was bildest du dir eigentlich ein, meinem Sohn vorzuschreiben, was er in meinem Haus sagen darf und was nicht?“

      „Konrad, ich ...“

      „Gib dir keine Mühe. Ich bin an deinen Ausreden nicht interessiert. Setzt dich hier an den gedeckten Tisch und spielst die Hausherrin, während deine Tochter vermutlich wieder mit den Nerven am Ende im Bett liegt. Kann ich verstehen, dass dir das gefällt. Aber mir nicht. Und zwar ganz und gar nicht. Es ist das Beste, wenn du wieder abreist, und zwar sofort.“

      „Aber Konrad, du weißt ja nicht, was heute Vormittag passiert ist.“

      „Was für ein tragisches Ereignis hat sich denn während meiner Abwesenheit zugetragen?“ Der Sarkasmus in der Stimme meines Vaters war nicht zu überhören.

      „Marianne hat wieder einen Mann auf eurem Grundstück herumstreunen sehen und die Polizei gerufen.“

      Mein Vater schien nicht sonderlich beeindruckt. „Und? Hat die Polizei einen Mann auf unserem Grundstück gefunden, der hier nichts verloren hat?“

      Meine Großmutter schwieg betreten.

      „Gut, dass ich heute extra früher nach Hause gekommen bin, um mir die Bilder der Überwachungskameras anzusehen. Ich werde zweifelsfrei herausfinden, ob hier jemand unbefugt das Grundstück betreten hat oder nicht.“

      „Konrad, ich würde gern vorher mit dir über diese ... Vorfälle sprechen.“ Mit einem Blick auf mich fügte meine Großmutter hinzu: „Unter vier Augen.“

      „So lange, dass ich vorher noch etwas essen kann, hat es hoffentlich noch Zeit.“ Mein Vater setzte sich auf den Platz neben mir, der ebenfalls eingedeckt war, und bediente sich an dem Nudelgericht. „Und Constantin wird auch in Ruhe zu Ende essen, bevor ich mir deine wichtige Mitteilung anhöre.“

      „Dass du immer so garstig sein musst“, erwiderte meine Großmutter eher bekümmert als verärgert.

      „Ich kenne dich nun einmal und weiß, dass das der geeignete Umgangston für dich ist“, teilte ihr mein Vater ganz selbstverständlich mit. „Und wenn er dir nicht passt: Da vorn ist die Tür.“ Dann leerte er mit gutem Appetit seinen Teller, während ich angesichts der schlechten Stimmung am Tisch keinen Bissen mehr herunterbekam und nur aus Anstand sitzen blieb, bis mein Vater zu Ende gegessen hatte.

      „Darf ich in mein Zimmer gehen?“, erkundigte ich mich.

      „Wenn du willst, nur zu“, lautete die gönnerhafte Antwort meines Vaters. „Du kannst dir aber auch gern die wichtigen Dinge anhören, die deine Großmutter mir zu sagen hat.“

      „Konrad, bitte ...“, warf meine Großmutter fast flehentlich ein.

      „Ich habe bereits versucht, dir zu vermitteln, dass du in meinem Haus nichts zu entscheiden hast“, unterbrach mein Vater sie in kühlem Tonfall. „Anscheinend hast du es nicht verstanden. Also noch einmal: Wenn Constantin bei unserem Gespräch anwesend sein will, dann ist er anwesend. Hast du das jetzt verstanden.“

      Meine Großmutter schwieg betreten.

      Ich hielt es für besser, das Zimmer zu verlassen. Zwar interessierte es mich brennend, was meine Großmutter mit meinem Vater besprechen wollte, aber ich vermutete, dass sie in meiner Gegenwart nicht so offen sein würde. „Ich gehe in mein Zimmer“, bot ich an.

      Mein Vater nickte nur.

      Ich schloss die Tür hinter mir und blieb im Flur horchend davor stehen.

      „So, dann lass mal hören, was du für wichtige Neuigkeiten hast“, begann mein Vater sarkastisch. „Ich kann es kaum erwarten. Aber komm bitte ohne lange Vorreden zum Punkt, denn Zeit ist Geld.“

      „Konrad ...“, begann meine Großmutter zögerlich, „ich glaube, dass ... das alles in letzter Zeit einfach zu viel für Anni ... für Marianne war.“

      „Was du nicht sagst. Und ich muss dich korrigieren: Es war zu viel für uns alle.“

      „Natürlich, so habe ich das auch nicht gemeint. Was ich damit sagen will, ist, dass der ganze Stress und dann auch noch der Besuch des Mediums ...“

      „Das war eine Betrügerin“, stellte mein Vater klar.

      „Ja, wahrscheinlich hast du Recht“, lenkte meine Großmutter ein.

      „Nicht nur wahrscheinlich. Ich habe Recht. Punkt.“

      „Ja.