Janina Hoffmann

Sie war meine Königin


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hoffe, du hast Hunger mitgebracht.“

      „Klar.“

      „Willst du heute oben in deinem Zimmer essen?“

      „Wieso?“ Sonst nahm ich mein Mittagessen immer in der Küche ein.

      „Nur so. Wäre mal was anderes.“ Frau Bäumler lächelte etwas gezwungen.

      Entschlossen ging ich an ihr vorbei, öffnete die Küchentür und sah in den großen Raum, der völlig im Dunkeln lag. Nicht nur die Vorhänge vor dem Fenster waren zugezogen, auch die Außenjalousien waren heruntergelassen worden. Ich drehte mich zu Frau Bäumler um und sah sie fragend an.

      „Deine Mutter wollte das so“, erklärte sie. „Weil sie vorhin jemanden im Garten herumstreunen gesehen hat. Die Polizei war deswegen erst hier, hat aber niemanden gefunden. Alle Fenster im Erdgeschoss mussten verrammelt werden.“ Mit einem verständnislosen Kopfschütteln fügte sie hinzu: „Da kann einem ganz anders werden. Nur durch die Scheiben neben der Haustür kommt noch Licht.“

      „Wo ist meine Mutter jetzt?“

      „Oben in ihrem Schlafzimmer. Oder bei deiner Großmutter in einem der Gästezimmer. So genau weiß ich das nicht. Bin ja schließlich hier nicht der Babysitter.“

      „Constantin.“ Meine Großmutter kam die Treppe herunter und strich mir zu Begrüßung über das Haar. „Wie war es in der Schule? Nimm doch den schweren Tornister ab, Junge.“

      Ich nahm den Schulranzen von meinem Rücken und stellte ihn ab. „Hier war ein Dieb auf dem Grundstück?“, fragte ich an meine Großmutter gewandt.

      „Ja ...“, bestätigte diese zögerlich. „Deine Mutter hat deswegen erst die Polizei gerufen.“ Sie strich mir wieder über mein Haar. „Aber du musst dir keine Sorgen machen. Die Polizei konnte niemanden finden.“

      „Und warum ist dann alles abgedunkelt?“

      „Ach.“ Meine Großmutter machte eine wegwerfende Bewegung. „Weil deine Mutter das erst so wollte. Alles halb so wild. Frau Bäumler, Sie können jetzt wieder überall Licht hereinlassen.“

      Frau Bäumler verdrehte kurz die Augen, als wollte sie fragen, was der ganze Zirkus solle, und verschwand in der Küche.

      „Dann kann ich auch wie immer in der Küche essen?“

      „Ja, sicher. Aber zuerst wäschst du dir die Hände.“

      „Wieso kommt Mama nicht nach unten?“, wollte ich wissen, als ich mir kurz darauf in Gesellschaft meiner Großmutter belegte Brote und Salat, die es bei uns gewöhnlich mittags gab, schmecken ließ.

      „Oh, deine Mutter ist noch etwas ... aufgewühlt wegen vorhin. Das wird sich bestimmt bald geben“, versicherte mir meine Großmutter aufgesetzt heiter.

      „Oma, gibt es Kinder, die zu Hause alles machen müssen?“ Diese Frage brannte mir schon die ganze Zeit seit dem verstörenden Gespräch mit Guido unter den Nägeln.

      „Was meinst du damit?“, fragte meine Großmutter freundlich.

      „Na, den Haushalt. Gibt es Kinder, die zu Hause den Haushalt machen müssen?“

      „Oh, es gibt sicher Kinder, die zu Hause mehr mithelfen müssen als du und ...“ Meine Großmutter presste ihre Lippen aufeinander. „Jedenfalls hast du es ziemlich gut, was deine Pflichten angeht, glaube ich“, fuhr sie schließlich fort.

      „Ja, aber gibt es Kinder, die alles machen müssen?“

      „Nein, ... ich denke nicht, dass das erlaubt ist. In Deutschland gibt es nämlich für alles Gesetze, weißt du?“

      „Ein Junge in meiner Klasse muss aber den ganzen Haushalt machen, weil seine Mutter lieber mit reichen Männern unterwegs ist.“

      „Was ...?“ Meine Großmutter sah mich vermutlich genauso ungläubig an, wie ich erst Guido bei seiner Schilderung angesehen hatte. Dann lachte sie heiter. „Da hat dir der Junge bestimmt einen Bären aufgebunden. So was gibt es doch wohl nur im Fernsehen.“

      „Mmh.“ Nachdenklich kaute ich auf meinem Brot herum. Doch wirklich überzeugt war ich nicht.

      Nach dem Essen machte ich mich mit dem Fahrrad auf zum Friseursalon, nachdem mir meine Großmutter die Erlaubnis dazu erteilt hatte. Meine Mutter hatte ich nicht zu Gesicht bekommen, da diese sich nach der Aufregung hingelegt habe, wie mich meine Großmutter informierte.

      Guido hockte wieder einmal auf den Steinplatten vor dem Friseursalon und kullerte Murmeln hin und her. Als ich von meinem Rad abstieg, bemerkte er mich und sah mich lächelnd an. „Du durftest ja doch kommen.“

      „Ja, meine Großmutter hat es erlaubt.“

      Wir spielten eine Weile mit den Murmeln, wobei ich immer wieder zu der Tür des Friseursalons lugte in der Hoffnung, Angelina möge eine kurze Pause machen und mir sagen, dass das alles nicht stimme. Dass sie ihren Sohn nicht sämtliche Hausarbeiten erledigen lasse, während sie sich mit reichen Männern vergnügte. „Wollen wir deine Mutter im Salon besuchen?“, fragte ich schließlich, als es fast Zeit für mich war, zum Abendessen nach Hause zu fahren.

      Guido schüttelte den Kopf. „Lieber nicht.“

      „Wieso nicht?“, wollte ich wissen. Angelina hatte mir doch gesagt, wie sehr sie sich freuen würde, mich wiederzusehen.

      „Weil ich Mist gebaut habe und meine Mutter noch sauer auf mich ist.“

      „Wieso, was hast du denn gemacht?“

      „Ich habe gestern das Bügeleisen zu heiß eingestellt und Mamas Strandkleid, das sie sich selbst genäht hat, verbrannt. Das hat sie herausgefunden, und heute Mittag hat sich mich deswegen ausgeschimpft und mir das Taschengeld für diesen Monat gestrichen.“

      Jetzt fing Guido schon wieder von diesen Geschichten an. Das war für mich unerträglich. „Das glaube ich nicht“, erwiderte ich gerade trotzig, als die Salontür geöffnet wurde und Angelina nach draußen trat. „Hallo Constantin“, begrüßte sie mich wie immer mit dieser warmherzigen Stimme.

      Ich stand auf. „Hallo Angelina. Wie geht es dir?“

      Angelina lachte. „Oh, mir geht es sehr gut.“ Sie drückte Guido, der sich ebenfalls erhoben hatte, an sich und küsste sein Haar. „Uns geht es beiden sehr gut, nicht, mein Schatz?“ Dann wurde sie ernst. „Aber das, was mit deine Schwester passiert ist, ist schlimm. Das tut mir sehr, sehr leid.“

      Ich blickte betroffen zu Boden und versuchte so, die Tränen, die mir bei der Erwähnung von Melissa sofort in die Augen gestiegen waren, zu verbergen.

      „Komm mal her.“ Angelina nahm mich in die Arme. Ich roch ihr wunderbares Zitronenparfum und wünschte, dieser Moment möge nie vergehen. Viel zu schnell ließ sie mich wieder los. „Guido und ich gehen jetzt nach Hause“, erklärte sie mir. „Ich habe heute etwas früher Feierabend gemacht. Willst du noch mit uns kommen?“

      Wie gern hätte ich das Angebot angenommen. Stattdessen schüttelte ich den Kopf. „Ich muss jetzt nach Hause. Vielleicht ein andermal.“

      „Ja, sicher.“ Angelina lächelte mich an. „Irgendwann wird es schon besser passen.“ Sie wandte sich an Guido. „Dann gehen wir beide jetzt nach Hause und spielen nach dem Essen auf dem Balkon Memory. Das magst du doch so gern. Oder möchtest du heute lieber Mikado spielen, amore?“

      Guido stand nur da und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Angelina drückte ihn übermütig an sich. „Wenn du nicht antworten willst, entscheide ich, verstanden?“, neckte sie ihn lachend und küsste ihn mehrmals hintereinander auf die Wange. „Dann entscheide ich, amore, hörst du?“

      Immer noch lachend nahm sie Guido an die Hand. „Tschüss, Constantin“, rief sie mir fröhlich zu. „Und vergiss nicht, uns mal wieder zu besuchen, ja? Wir könnten ja auch mal zu dritt Mikado spielen oder was immer ihr wollt.“

      Auf meinem