Janina Hoffmann

Sie war meine Königin


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ich denke, es wäre an der Zeit, ... etwas dagegen zu unternehmen. Etwas ... in medizinischer Hinsicht.“

      „Annemarie, wie dir sicher nicht entgangen ist, steht deiner Tochter ein nicht unwesentlicher Bestand an diversen Beruhigungstabletten, die sie von unserem Hausarzt bezieht, zur Verfügung. Es ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass sie, wenn es nicht ganz nach ihren Vorstellungen verläuft, an ihre psychischen Grenzen gelangt. In medizinischer Hinsicht dürfte sie also mehr als ausreichend versorgt sein. Aber danke, dass du deshalb deinen Kopf angestrengt hast. Das war nicht nötig.“

      „Warte noch, Konrad ... Das meine ich nicht. Ich spreche nicht von Beruhigungsmitteln.“

      „Sondern?“

      „Ich denke, es wäre an der Zeit, dass Marianne sich ... in psychiatrische Behandlung begibt.“

      „Ich hoffe sehr für dich, dass du Marianne nicht so einen Floh ins Ohr gesetzt hast. Sonst verlässt du schon deshalb auf der Stelle mein Haus.“

      „Nein, nein ... Aber ich denke, dass Mariannes ... Probleme einer besonderen Behandlung bedürfen.“

      „Jetzt hör mir mal gut zu, Annemarie. Du hast anscheinend wieder nicht verstanden, was ich gerade gesagt habe: Es ist nicht das erste Mal, dass Marianne psychisch nicht auf der Höhe ist. Eigentlich ist sie das nie. Sie weiß wie ich am besten, was dann, wenn es ganz schlimm wird, für sie zu tun ist: ein Beruhigungsmittel nehmen und viel schlafen. Nach ein paar Tagen sieht die Welt dann schon wieder ganz anders aus. Also hör auf so zu tun, als wüsstest du es besser.“

      „Aber dieses Medium hat Marianne so verschreckt, dass sie sich nun fremde Männer auf dem Grundstück einbildet!“

      „Noch einmal: Das war kein Medium, sondern eine Betrügerin. Und danke, dass du es mir gegenüber zugibst, dass die Eindringlinge auf unserem Grundstück nur in Mariannes Fantasie existieren. Das habe ich mir gleich gedacht. Dann kann ich mir zum Glück das Durchsehen der Videoaufnahmen sparen.“

      „Aber so etwas muss man doch ernst nehmen!“, wandte meine Großmutter mit verzweifelter Stimme ein. „Wir können doch nicht dabei zusehen, wie Marianne vor Angst fast umkommt!“

      „Keine Sorge, Marianne kommt nicht um. Nicht einmal fast. Das weiß ich aus Erfahrung. Sie hat nur einen Hang zum Drama.“

      „Du willst ihren psychischen Zustand also nicht behandeln lassen.“

      „Doch. Aber auf meine Weise.“

      „Was soll das denn heißen?“

      „Das hat dich nicht zu interessieren. Denn obwohl du dir offensichtlich etwas anderes einbildest, bist du hier lediglich zu Gast und durch mich nur geduldet. Ich werde mich um Mariannes Problem kümmern. Deine weitere Anwesenheit ist dafür nicht erforderlich. Ich würde daher vorschlagen, dass du deine Sachen packst und dich von deinem Erich abholen lässt.“

      „Aber ...“

      „Nichts aber. Du reist jetzt ab und kommst auch so schnell nicht wieder hierher, verstanden? Und da Marianne vermutlich schläft, solltest du sie nicht durch unnötige Abschiedsworte stören. Ich werde ihr schon mitteilen, dass du leider kurzfristig wieder nach Hause musstest. Glaube mir, sie wird den Verlust verkraften.“

      „Was bist du nur für ein Mensch.“

      „Und jetzt entschuldige mich. Ich muss mich noch mit einem komplexen Mandat beschäftigen. Hinaus findest du gleich ja sicher allein.“

      Schnell zog ich mich in die Küche zurück. Frau Bäumler wartete darauf, den Tisch abräumen und Feierabend machen zu können. Normalerweise verließen sie oder Frau Hubertus das Haus, wenn das Abendessen zubereitet und der Tisch gedeckt war. Den Rest erledigte meine Mutter. Durch die frühe Rückkehr des Hausherrn sah sich Frau Bäumler offenbar veranlasst, länger als gewöhnlich zu bleiben. Vielleicht hatte sie mein Vater auch wegen irgendetwas kritisiert, und sie fürchtete nun um ihre Anstellung, an der sie sowieso nicht sonderlich hing. Bei meinem Erscheinen in der Küche sah sie mich verwundert an.

      „Das Nudelgericht war heute sehr lecker, Frau Bäumler“, behauptete ich. „Das wollte ich Ihnen nur sagen.“ Ich hörte, wie die Esszimmertür geöffnet wurde, und die Schritte meines Vaters im Flur, der sich vermutlich in sein Arbeitszimmer begab, wo er den restlichen Abend verbringen würde.

      „Danke ...“ Frau Bäumler war mit dem Lob sichtlich überfordert. „Das ist aber nett von dir, das zu sagen.“

      „Gern geschehen“, beendete ich das Thema rasch, verließ die Küche und ging nach oben in mein Zimmer.

      Meine Großmutter klopfte einige Minuten später an meine Tür, als ich gerade die Schubladen auf der Suche nach Murmeln durchwühlte, die ich Guido schenken könnte. Sicher würde das Angelina sehr gut gefallen.

      „Was machst du denn da?“, wollte meine Großmutter in argwöhnischem Tonfall wissen.

      „Ich räume auf.“

      „Ach so.“ Sie klang erleichtert. Dann teilte sie mir mit trauriger Stimme mit, dass sie leider schon wieder nach Hause fahren müsse, da es Erich nicht gut gehe.

      „Was hat er denn?“, stellte ich mich dumm.

      „Ach, ich glaube, er vermisst mich einfach nur sehr“, lautete die nicht gerade überzeugende Ausrede meiner Großmutter.

      „Na, dann ...“

      Meine Großmutter drückte mich an sich. „Es hat mich jedenfalls sehr gefreut, hier sein zu dürfen. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“

      „Ja, hoffentlich.“

      Sie strich mir über mein Haar. „Pass gut auf deine Mutter auf. Versprichst du mir das?“

      Ich fand, dass das etwas viel von einem noch nicht einmal zehn Jahre alten Kind verlangt war, und nickte nur. „Sagst du Mama noch tschüss?“

      „Nein, ich will sie nicht stören.“

      Ich tat so, als bemerkte ich die Tränen, die meiner Großmutter bei diesen Worten in die Augen stiegen, nicht. „Okay.“

      Sie nickte nur und schloss die Tür hinter sich.

      Ich blieb zurück und fragte mich, wie mein Vater den Zustand meiner Mutter behandeln wollte. Denn so etwas in der Art hatte er doch gesagt. Dabei war mein Vater ja gar kein Arzt, aber auf jeden Fall sehr schlau. Ihm würde sicher etwas einfallen, wie es meiner Mutter schnell wieder besser ging. Die Vorstellung, sie könnte sich den Mann in unserem Garten nur eingebildet haben, war für mich, ähnlich wie die Vorstellung, dass Guido bei sich zu Hause den gesamten Haushalt erledigen musste, äußert unangenehm, und ich versuchte, sie für den Rest des Tages so gut es ging zur Seite zu schieben. Mein Vater würde schon eine Lösung finden, sagte ich mir immer wieder an diesem Abend. Schließlich war er ein sehr kluger Mann, viel klüger als meine Mutter und ich.

      Tatsächlich fiel meinem Vater etwas ein, und zwar schon am darauffolgenden Tag. Ich verbrachte den Vormittag in der Schule, nachdem ich mein Frühstück wieder einmal allein mit meinem Vater eingenommen hatte. Als ich zum Mittagessen nach Hause kam, war mein Vater seltsamerweise immer noch da und nahm mich im Flur in Empfang.

      „Wieso bist du denn nicht bei der Arbeit?“, fragte ich alarmiert. „Ist was mit Mama?“

      „Nein, nein, alles in Ordnung.“ Mein Vater lächelte bei diesen Worten sogar leicht. „Ich bin heute zu Hause geblieben, um mich ein wenig um sie zu kümmern. Das können wir nicht alles Frau Hubertus und Frau Bäumler zumuten. Und es geht deiner Mutter auch schon viel besser. Sie kommt gleich nach unten, um mit uns zu essen.“

      „Toll!“

      Wie auf ein Stichwort kam meine Mutter die Treppe herunter. Sie hatte sich eine braune Hose und ein T-Shirt in derselben, nicht gerade sommerlichen Farbe angezogen. Sicher waren beide Kleidungsstücke aber sehr teuer gewesen. Meine Mutter hatte sich sogar dezent geschminkt, das erste Mal seit Melissas Tod. Das musste etwas zu bedeuten haben.

      „Hallo Mama.“ Ich