Janina Hoffmann

Sie war meine Königin


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ebenfalls.

      „Es ist am besten, wenn du jetzt schlafen gehst“, forderte mich meine Mutter unvermittelt mit leiser Stimme auf, ohne auf meine Frage einzugehen. „Morgen fängt die Schule wieder an.“

      „Was, jetzt schon?“, protestierte ich. „Ich bin doch kein Baby und außerdem überhaupt nicht müde! Ich will noch aufbleiben und fernsehen!“

      „Du sollst leise sein, habe ich gesagt!“, zischte meine Mutter. „Und jetzt gehst du nach oben und machst dich fürs Bett fertig!“

      „Mann!“ Wütend stapfte ich die Treppe hinauf. Ich hatte keine Ahnung, was auf einmal in meine Mutter gefahren war, sah aber ein, dass Diskussionen sinnlos waren. Ich hoffte inständig auf die sofortige Rückkehr meines Vaters. Vielleicht könnte er ein zweites Mal an diesem Tag zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und mich vor einer viel zu frühen Bettruhe bewahren.

      Ich war im Badezimmer und putzte mir die Zähne, als ich meine Mutter kurz darauf die Treppe hinaufkommen hörte. Meinen Schlafanzug hatte ich mir noch nicht angezogen, weil ich das einfach zu blöd fand. Wahrscheinlich hatte meine Mutter nun ihren Irrtum eingesehen und wollte sich bei mir entschuldigen und mich auffordern, wieder nach unten zu kommen, um weiter fernzusehen. Bei dem Gedanken spülte ich schnell meinen Mund aus. Doch meine Mutter kam nicht zu mir ins Badezimmer. Ich hörte, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Es konnte doch nicht wahr sein, dass meine Mutter jetzt auch schon schlafen ging! Dann wäre sie bald wieder in genauso einem schlechten Zustand wie direkt nach Melissas Tod. Dabei hatte ich angenommen, dass es ihr von Tag zu Tag langsam besser ging. Diese verdammte Frau Knop war schuld an alledem! Sie hatte meine Mutter mit ihrem dummen Geschwätz vom Jenseits ganz verrückt gemacht! Ich verließ das Badezimmer und war im Begriff, die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern zu öffnen, um nach dem Rechten zu sehen, als ich die Stimme meiner Mutter hörte, die offenbar telefonierte. Ich ließ die Türklinke los und horchte angespannt.

      „Mami?“, sagte meine Mutter und klang dabei wie ein kleines Mädchen. „Hat Erich dich endlich gefunden? Wo warst du denn?“ ... „Er ist wieder da, Mami.“ ... „Na, wer wohl?“ ... „Bruno Buhr!“ Meine Mutter klang schrecklich verängstigt, als sie den Namen, der mir nicht das Geringste sagte, aussprach, und begann zu weinen. „Es geht alles wieder von vorn los, Mami! Bruno hat unsere Melissa überfahren, und jetzt hat er es auf uns alle abgesehen!“ ... „Weil mir das ein Medium heute gesagt hat!“ ... „Aber ich habe ihn doch gesehen! Heute Abend! In unserem Garten! Er stand nur da und hat mich angestarrt!“ ... „Das weiß ich doch nicht! Er wird wohl irgendwie hinübergeklettert sein!“ ... „Was soll ich denn jetzt machen, Mami?“ ... „Konrad? Auf gar keinen Fall! Der weiß das doch alles nicht! Kannst du nicht zu uns kommen, Mami, und für eine Weile bei uns wohnen? Ich habe Angst allein. Morgen muss Constantin wieder zur Schule, und Frau Bäumler fühlt sich schnell gestört, wenn ich mich dort aufhalte, wo sie saubermacht.“ ... „Ja. Ja, ist gut. Auf dich ist Verlass, Mami. Was sollte ich nur ohne dich machen? Dann bis später.“

      Ich zog mich zurück in mein Zimmer, legte mich sicherheitshalber in mein Bett und zog die Decke hoch bis unter mein Kinn, falls meine Mutter nach mir sehen sollte, obwohl mir das unwahrscheinlich schien, denn offensichtlich beschäftigten sie zurzeit ganz andere Dinge. Bruno Buhr. Wer mochte das nur sein? Und es hatte sich während des Telefonats meiner Mutter so angehört, als würde meine Großmutter diesen Bruno Buhr ebenfalls kennen. Wieso kam meine Mutter auf einmal darauf, er könnte Melissa überfahren haben? Ich verstand das alles nicht.

      Es war draußen immer noch hell, als ich die Klingel der Pforte hörte. Kurz darauf vernahm ich die Stimme meiner Großmutter und schlich zum Treppenabsatz, um zu lauschen.

      „Mami, endlich!“, schluchzte meine Mutter.

      „Anni, mein Mädchen. Was ist denn nur los?“

      „Das habe ich dir doch schon am Telefon gesagt! Bruno Buhr ist wieder hier! Hast du ihn denn nicht im Garten herumlungern sehen?“

      „Nein, mein Kind“, erwiderte meine Großmutter mit beschwichtigender Stimme. „Da war niemand. Soll ich auch noch im Rest des Gartens nachsehen?“

      „Um Gottes willen, Mami! Das ist viel zu gefährlich! Wenn Bruno dir nun etwas antut! Er ist doch viel stärker als du und kann dich ohne Schwierigkeiten überwältigen!“

      „Wann erwartest du Konrad denn zurück?“ Die Stimme meiner Großmutter klang, als wäre ihr die Situation unangenehm. „Und wo ist Constantin?“

      „Constantin habe ich in sein Zimmer geschickt. Oben ist er am sichersten. Und Konrad? Was weiß ich, wann der nach Hause kommt! Das kann bei ihm spät werden! Dafür taucht er in den unpassendsten Momenten auf! Frau Knop, das Medium, das uns helfen wollte, hat er heute Nachmittag vertrieben! Einfach vom Grundstück gejagt hat er sie! Dabei hätte sie uns vor dem Unglück bewahren können, das nun im wahrsten Sinne des Wortes vor der Tür steht!“

      „Nun beruhige dich erst einmal“, schlug meine Großmutter vor. „Komm, wir setzen uns in Ruhe ins Wohnzimmer und warten auf Konrad.“

      „‚In Ruhe?‛“, fragte meine Mutter fassungslos. „Wie soll ich da ruhig bleiben, wenn Bruno Buhr draußen herumstreift?“

      „Du solltest mit Konrad darüber sprechen.“ Die Stimme meiner Großmutter wurde leiser. Ich schlich die Treppe hinunter, um weiterhin zu verstehen, was im Wohnzimmer gesprochen wurde.

      „Damit mich Konrad auslacht, oder was? Und dann müsste ich ihm auch von früher erzählen, was Bruno Buhr mit Dodo gemacht hat. Das weiß er doch alles gar nicht. Wahrscheinlich würde ich mich sofort verlassen.“

      Wer um Himmels willen war Dodo? Ich hatte den Namen noch nie zuvor gehört.

      „Ich spreche mit Konrad“, entschied meine Großmutter. „Lass dir helfen, Anni.“

      „Nein! Mami, ich flehe dich an! Kein Wort zu Konrad! Wir tun einfach so, als hättest du dich spontan entschieden, uns zu besuchen und ein paar Tage zu bleiben. Ja, Mami?“

      Meine Großmutter schwieg.

      „Ja?“, drängte meine Mutter beinah verzweifelt. „Wir lassen uns Konrad gegenüber nichts anmerken und halten in den nächsten Tagen zusammen Ausschau nach Bruno Buhr. Und wenn wir ihn auf frischer Tat ertappen, wie er hier ums Haus schleicht, rufen wir die Polizei, damit sie ihn festnehmen kann. Ja, Mami? Ja?“

      „Meinetwegen“, gab sich meine Großmutter geschlagen. „Aber wenn wir ihn nicht sehen, hörst du auf damit, Anni.“ Sie klang plötzlich streng. „Hast du mich verstanden! Dann siehst du ein, dass du dich geirrt hast, und gibst Ruhe von dem Thema!“

      „Aber ich habe mich nicht geirrt, Mami. Nie im Leben! Ich kenne doch Bruno Buhr! Bis an mein Lebensende werde ich sein Gesicht nicht vergessen! Bis an mein Lebensende!“

      In dem Moment wurde die Haustür aufgeschlossen, und mein Vater betrat den Flur. „Nanu, Constantin. Was stehst du denn hier herum?“ Dann hörte er die Stimmen aus dem Wohnzimmer und betrat den Raum, wobei ich ihm folgte. „Annemarie.“ Die sachliche Feststellung ließ nicht die geringste Freude über den Besuch seiner Schwiegermutter, die neben meiner Mutter auf dem schwarzen Ledersofa gesessen hatte und sich nun erhob, erkennen.

      „Ja, Konrad. Ich habe mich spontan entschlossen, euch für ein paar Tage zu besuchen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.“

      „Für ein paar Tage gleich?“ Mein Vater gab sich nicht die geringste Mühe zu verbergen, dass er davon alles andere als angetan war.

      „Hallo Constantin.“ Meine Großmutter kam auf mich zu, statt auf die Bemerkung meines Vaters einzugehen, und drückte mich an sich. „Wie geht es dir? Morgen beginnt wieder die Schule, nicht war?“

      Ich nickte nur. Dabei hätte ich am liebsten gefragt, wer Bruno Buhr und Dodo seien.

      „Wieso habt ihr die Vorhänge zugezogen und sitzt hier im Dunkeln?“, wollte mein Vater verwundert wissen.

      „Wir dachten, das wäre gemütlicher“, lautete die wenig überzeugende Antwort meiner