Michael Wächter

Gulligold - Serienmorde in Münster


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den Wipfeln der Bäume am Aaseewäldchen auf. Als ich endlich das Naturkundemuseum am Aasee erreichte, hatten die Sternfreunde sich schon in den Vortragssaal zurückgezogen. Professor Henning Haber war zu Gast. Er hielt einen Vortrag über neuere Erkenntnisse der Planetologie, die sich aus den chemischen Analysen der Bodenproben von Mars- und Venussonden ergeben hatten. Ich war schon müde, als ich den Vortragssaal betrat, aber zum Glück fand ich in der letzten Reihe noch einen Platz zum Zuhören. Eine Notfall-Patientin hatte mich aufgehalten, und so hatte ich nicht mehr rechtzeitig aufbrechen können, um den Vortragsbeginn im Planetarium noch mitzubekommen. Haber referierte schon über die Argon-Isotopen der Mars- und Venusatmosphäre, und obwohl ich neugierig Neues zum Thema hatte hören wollen, musste ich nun gähnen und kämpfte im Hörsaal-Sitz mit der Müdigkeit. Ich stellte mir vor, die Sonde beim Analysieren der Gase sehen zu können, schloss die Augen und betrachtete den Greifarm, der ausfuhr, um eine Bodenprobe zu nehmen von dem Sand, den noch nie ein Mensch zuvor betreten hatte.

      „Titus Tenfelde, ich glaub’ es nicht!“ hörte ich plötzlich. Vor mir stand Sigmund Sicht, mein alter Studienkollege, lachte mich an und fasste mich dabei leicht an der Schulter. „Titus, du hier?“

       Betreten schaute ich drein. Ich war wohl eingeschlafen. Der Vortragssaal war leer, Titus hatte mich in der letzten Sitzreihe dösend gefunden und lachte sich fast schlapp vor Freude.

      „Titus, altes Haus, was machst du hier?“

      „Du, ich habe gehört, dass du hier bist. Du hast in deiner Praxis ein Semester Pause eingelegt, um als Assistent von Professor Haber umherreisen zu können, und bist unserer geliebten Psychotherapie somit untreu geworden?“

       Sigmund lachte erneut auf.

      „Titus, Mensch, ja, woher weißt du das?“

      „Petra, meine Kollegin, hat mir von dir erzählt. Wir sind nämlich auch unter die Hobbyastronomen gegangen und haben neulich noch am Kanal Sternbilder und Sternschnuppen beobachtet – natürlich nicht so Profimäßig wie du mit deiner Haber-Assistenz!“

      „Petra Pandora, natürlich, die rothaarige Studentin damals im Psychoanalyse-Seminar – mit der hast du noch Kontakt?“

      „Ja, sie praktiziert hier in Gievenbeck, einem Vorort von Münster. Und du?“

      „Ich bin mit Professor Haber gereist – seine Vortragsreihe in Süddeutschland. Nächste Woche geht es noch zur Sternwarte Bochum – dann kehre ich wieder in meine Praxis zurück.“

      „Mensch, du hast ein Leben!“, klopfte ich Sigmund auf die Schulter.

      „Ja, mal abschalten und was Anderes mitbekommen als immer nur Psychologie, das tut schon gut! Aber das merkst du ja auch, wenn du nun mit Petra in die Hobbyastronomie einsteigen willst.“

       Sigmund zwinkerte mich an. Wahrscheinlich stellte er sich vor, ich hätte noch engeren Kontakt mit ihr, aber Petra hatte nach dem Studium geheiratet, einen Informatiker aus Frankfurt. Der war nun an das Münsteraner Uni-Rechenzentrum versetzt worden. Sie hatte eine Praxis in Gievenbeck eröffnet, nahe der Michaeliskirche. Sigmund hörte sich an, was ich ihm erzählen konnte aus den letzten Jahren, seit wir uns gesehen hatten, und als er mich kurz über das verpasste Vortragsthema „Analyse von Bodenproben“ informiert hatte, kam er plötzlich auf einen Fall zu sprechen, der den Professor vor ein Rätsel stellte.

      „Stell dir vor“, platze es plötzlich aus ihm heraus, „Hat mich doch der Haber gefragt, ob ich an Wunder glaube – speziell im Hinblick auf Analysegeräte. Er hatte eine Studentin, die hieß Inga. Er hat sie damit beauftragt, per Atomabsorptionsspektrometer eine Metallprobe für eine Doktorarbeit in Eisenmetallurgie zu untersuchen – einige Körnchen Gusseisen, dass er von einem angerosteten Gullideckel abgefeilt hatte. Und die Studentin wollte ihm weismachen, sie habe in der Metallprobe Gold gefunden – etwa 12 ppm. Natürlich hat Haber sie zusammengefaltet, ist dann aber ins Unilabor gedüst, hat selbst das AAS-Gerät angeschmissen, gemessen und fast den Glauben an die Wissenschaft verloren: Das Material vom Gievenbecker Gullideckel enthielt tatsächlich 12 ppm Gold – ganze 0,0012 Prozent. Kannst du dir vorstellen, wie der Alte da geguckt hat?“

      „Nein, ist nicht wahr? Hat die Studentin ihren Ehering mit angefeilt und der Bodenprobe beigemischt? Oder was?“

      „Haben wir auch erst gedacht, aber sie trug keinen Schmuck. Und es war auch kein Schmuck- oder Münzgold – es gab Begleitspuren von Platin, Palladium, Zink und sogar 0,3 ppm Iridium. Auch ein Arbeiter am Schmelzofen kann also nicht einen Ring verloren und in das Gusseisen fallen lassen haben!“

      „Zink und Platinmetalle? Zink tut nun wirklich keiner in Schmuckmetall. Komisch…“, rätselte ich. „Ich weiß zwar, dass der Meteorit, der vor 65 Millionen Jahren im heutigen Mexiko niederging und die Dinosaurier auslöschte, erhöhte Iridiumspuren aufwies, aber mit irdischen und außerirdischen Metallproben kenne ich mich dann doch nicht so gut aus.“

      „Titus, lass gut sein,“ meinte Sigmund, „wir müssen nicht jedes Rätsel lösen. Uns genügen die Rätsel der menschlichen Seele!“, lachte er, „Und es ist schon spät. Ich wollte nur verhindern, dass du hier im Votrtragssaal übernachtest!“

      „Danke!“, lächelte ich zurück, „Vielleicht sollten wir uns mal ein andermal zum Fachsimpeln treffen, wenn du noch ein paar Tage in Münster bist?“

      „Sicher, Professor Haber ist noch bis Donnerstag hier – dann düsen wir nach Bochum.“

       Sigmund reichte mir seine Visitenkarte.

      „Hier hast du meine Handynummer! Meld’dich mal!“

      „Danke“, meinte ich erneut. Wir verabschiedeten uns und ich fuhr nachdenklich mit der Frage des Professors heim, wie denn Gold und Platinmetalle in einen Gullideckel kommen könnten, wenn es kein Schmuck oder Münzgold gewesen sein kann. Daheim angekommen streckte ich mich auf der Couch ein und träumte weiter – von einer Robotersonde, die auf dem Marsboden in goldhaltigem Sand schürfte und ein paar ppm Iridiumanteile analysierte.

      

      Er verließ das Beachotel am Lilly-Marleen-Brunnen. Endlich Feierabend!, jubelte er vor sich hin.

      Er passierte die Buchhandlung, stieg zum Wasserturm hoch und schlenderte an ihm vorbei in die Dünen. Rechts ließ er das Langeooger Hallenbad liegen, links herum ging er zum Strand.

      Die Abendsonne strahlte ihm entgegen.

      Er setzte sich in die Dünen. Ein paar Möwen kreischten und der Wind fuhr ihm durchs Haar.

      Plötzlich kam eine Erinnerung in ihm hoch, eine dunkle Unruhe ergriff ihn wie ein Strudel.

      Dreimal gequirlte Hundekacke: die Freundin von dem Miststück!, tobte er wütend. Ihr Handy! Was wenn die Bullen die sms lesen und Hinweise bei ihr finden – hatte das Miststück ihr nicht von ihm geschrieben?

      Die Mühlmann hatte doch diese Freundin, und die wusste von ihrer Beziehung zu ihm. Die Polizei könnte sie befragen und sogar Hinweise auf ihn finden, weil die Mühlmann ihr über ihn gesimst hatte! Sie hatte ihm da sowas geschrieben, bevor sie mit ihm Schluss gemacht hatte …

      Er musste diese Freundin finden – VOR den Bullen! Er überlegte fieberhaft, was er von ihr wusste: Sie war Tierpflegerin, hatte die Mühlmann gesagt, bei Seerobben oder Seehunden – wohl im Münsteraner Zoo. Sie hatte vorher ein Praktikum auf der Seehundstation bei Norddeich gemacht.

      Er musste sie finden. Er musste nach Norddeich fahren und suchen. Und dann nach Münster, in die Höhle des Löwen. Er wusste: Das war ein Risiko. Aber er musste es riskieren. Er konnte nicht mehr abgetaucht auf Langeoog bleiben – auch ein Seehund muss mal wieder auftauchen und Sauerstoff tanken. Er musste diese Freundin beseitigen. Spurlos. Wie die Robbe den Fisch. Nur so konnte er auf Nummer sicher gehen. Nur so konnte er Petermann beeindrucken und Pluspunkte bei Gerd sammeln, seinem ABD-Gruppenchef. Dadurch bekam er später wieder Zugang zu weiteren, lukrativen ABD-Beteiligungs-Vermittlungen.