Ava Lennart

Mädchenname


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DVD-Abende zu zweit veranstaltete, hatte er nicht erwartet. Abstand zu Lisa zu schaffen, war auch eines der Motive gewesen, weshalb er sich für ein Auslandspraktikum bewarb.

      Charlotte war seine Chefin beim Gartenbaupraktikum im südenglischen Cheltenham gewesen. Sie war eine typische Engländerin, und zum ersten Mal war es ihm ergangen wie den Frauen anscheinend bei ihm. Sein Ehrgeiz, diese spröde Frau zu knacken und ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, war geweckt gewesen. Nächtelang hatte er Strategien ersonnen, wie er sie von sich überzeugen könnte. Merkwürdigerweise war seine Leidenschaft schlagartig abgekühlt, sobald er sie endlich erobert hatte. Das „Projekt Charlotte“ war, so sehr er sich auch dafür schämte, sie zu verletzen, rasch abgehakt. Erleichtert hatte er den Ablauf seiner Zeit in England vorgeschoben und Charlotte zurückgelassen.

      Seither waren immerhin zwölf Jahre vergangen, und er trat in der Liebe immer noch auf der Stelle. Fredo war seit einer Ewigkeit mit der drallen, rothaarigen Joline verheiratet und Vater von ebenso drallen, rothaarigen Zwillingen. Manchmal hatte Mathieu den Eindruck, Fredo bemitleidete ihn. Dabei fehlte Mathieu nichts. Im Gegenteil. Er hatte sich die letzten Jahre auf den Aufbau seiner Selbstständigkeit konzentriert. Oft hatte er alleine in den Abendstunden noch in den Gärten gearbeitet, während seine Kollegen zu ihren Familien heimgekehrt waren. Selbstständigkeit erforderte eben einen enormen zeitlichen Einsatz, und er war erleichtert, sich nicht gegenüber einer Frau rechtfertigen zu müssen, dass er diesen erbrachte.

      Zu Hause, in dem kleinen, von seiner Mutter Suzanne geerbten Haus, genoss er die stillen Abende bei einer Flasche Wein oder einem Buch auf der Terrasse mit dem schönen Blick auf das Meer. Ab und zu wärmte er einer attraktiven Frau das Bett. Was wollte er mehr?

      Und jetzt war da Julia. Er konnte sich nicht erklären, weshalb er von ihr so angezogen war. Wie magisch. Sie war weder spröde wie Charlotte noch so wild wie Lisa. Er konnte es kaum erwarten, mehr über sie zu erfahren. Ob sie studiert hatte, ob sie gerne las, ob sie ein ausgefallenes Hobby hatte? Sie sprach fließend Französisch und hatte einen entzückenden, kaum wahrnehmbaren deutsch-schweizerischen Akzent. Ihr Lächeln war sanft. Sie hatte kluge, wache Augen, in denen ein Anflug von Traurigkeit hing.

      Gerade diese Traurigkeit führte dazu, dass er den beinahe übermächtigen Drang verspürte, sie glücklich zu machen. Als er eben ihre vom Wasser kalten Wangen berührt hatte, hatte er ihr Frösteln gespürt. Mathieu hätte sie am liebsten in seine wärmenden Arme gerissen, um die Gänsehaut von ihrem Dekolleté zu vertreiben.

      Gleich würde er sie wiedersehen. Ein breites Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Gut gelaunt entnahm er dem Schuppen sein Werkzeug und machte sich an sein Tagwerk.

      ANKUNFT DER FAMILIE

      Sie hatte geduscht und verzweifelt versucht, ihren widerspenstigen Haaren einen pfiffigen Touch einzuföhnen. Aus Carmens Schatzkiste fischte sie ein weißes, schlichtes – wahrscheinlich dennoch höllisch teures – Sommerkleid heraus, zu dem sie silberne Riemchensandalen anzog. Mit leichtem Bedauern schickte sie den freundlichen Anatol weg, der ihr eine weitere Massage angeboten hatte. Kurz überlegte sie, ob sie sich noch ein Frühstück einwerfen sollte. Immerhin musste sie um zehn Uhr bei Charles im Büro sein. Allerdings war ihr Magen vor Aufregung so zugeschnürt, dass sie ohnehin nichts heruntergebracht hätte.

      Als sie eine nun den Plattenweg entlanglief, fühlt sich Julia wie ein junges Mädchen.

      Am Pool war Mathieu nicht mehr. Aber das hatte er ihr ja gesagt. Julia folgte dem Weg den Hügel hinunter, vorbei an der verwitterten Tennisanlage, bis die üppige Vegetation einen atemberaubenden Ausblick freigab. Hier war Julia bisher noch nicht gewesen.

      Vor ihr lag das Mittelmeer unter einem perfekten Himmel mit zarten Schäfchenwolken. Die Wasserfläche war noch spiegelglatt. Am Horizont konnte sie die Silhouetten von mehreren Frachtern erkennen. Weiter vorne, in der Bucht von Cap Martin, lief das Meer türkisfarben aus. Die roten Hausdächer, die Julia zwischen den Wipfeln der Zypressen, Pinien und Palmen ausmachte, schmiegten sich an die Küste.

      Julia holte tief Luft und genoss das Gefühl der Spannung und Vorfreude, das sie durchströmte. Lächelnd blickte sie sich um. Etwa einhundert Meter zu ihrer Rechten erkannte sie Mathieu, und ihr Herz klopfte bei seinem Anblick in ihrem Hals. Er hatte sie noch nicht entdeckt, und Julia nutzte die Gelegenheit, ihn wieder zu beobachten.

      Eine Locke hing in seiner Stirn, wurde jedoch just in diesem Moment von seiner Hand nach hinten geschoben. Sein Arbeitsoutfit, wieder Jeans und T-Shirt, sah unbeschreiblich lässig an ihm aus. Neben Mathieu stand Charles, und die beiden waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Charles stützte sich auf seinen Gehstock. Mathieus linke Hand ruhte auf dem Griff seines Spatens. Mit seiner Rechten deutete Mathieu ab und an im Garten umher. Als er in ihre Richtung zeigte und sie sah, hielt er kurz inne. Ein Lächeln huschte über seine Züge, und Julia lächelte automatisch zurück.

      Charles, der Mathieus Reaktion bemerkt hatte, drehte sich ihr nun ebenfalls zu. Er winkte sie erfreut heran. Julia räusperte sich und näherte sich den beiden Männern. Sie waren beide gleich groß und wirkten, als wären sie sehr vertraut miteinander. Sie erinnerte sich daran, wie verträumt Charles bei ihrer Hinreise nach Roquebrune sowohl von der Landschaft als auch von den Menschen der Region geschwärmt hatte. Offenbar kannten sich die beiden Männer schon lange.

      „Julia, bonjour. Das ist ja eine Überraschung, Sie hier anzutreffen. Machen Sie einen Spaziergang?“, begrüßte Charles sie überschwänglich.

      Julia lächelte ihn breit an und nickte nur. Sie wagte es kaum, Mathieu in die Augen zu schauen. Als sie doch den Kopf hob, begegnete sie seinem aufmerksamen Blick. Er lächelte sie verschwörerisch an. Julia schien es in diesem Moment, als würde die Welt nur aus ihnen beiden bestehen. Nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

      Charles schien etwas gesagt zu haben.

      Sie riss sich zusammen. „Wie bitte?“

      „Ich hatte Sie gefragt, ob Sie Mathieu bereits kennen? Aber mir scheint, Sie tun es.“

      Julia bemerkte, wie Charles schmunzelte. Oh nein, war ihre Verknalltheit so offensichtlich? Wie peinlich. So neutral wie möglich entgegnete sie: „Ja, wir haben uns bereits am Tag unserer Ankunft kennengelernt.“

      Charles wandte sich Mathieu zu. „Also, dann haben Sie ja bereits meine zauberhafte Assistentin Julia kennengelernt. Sie kommt aus Deutschland. Spricht sie nicht ein hervorragendes Französisch?“

      Mathieu nickte.

      Charles runzelte nachdenklich die Stirn. „Mathieu hat wunderbare Pläne für das Grundstück“, wandte er sich wieder an Julia. Da schien ihm etwas einzufallen. „Julia, wie gut, dass ich Sie schon so früh treffe. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne unser Treffen heute vorverlegen. Meine Familie wird gegen Mittag ankommen, und so bleibt uns wenig Zeit. Je früher wir heute anfangen, umso besser kommen wir voran.“ Er rieb sich mit leuchtenden Augen die Hände.

      Er schien sich auf seine Familie ebenso zu freuen wie auf die Fortsetzung seiner Memoiren. Doch sie seufzte innerlich: aus der Traum eines aufregenden Vormittags mit Mathieu. Wie bedauerlich. Sie blickte Mathieu mit einem Achselzucken entschuldigend an. An seinem Blick konnte Julia erkennen, dass er ebenfalls enttäuscht war. Charles hatte sich bereits abgewandt.

      Kaum hörbar flüsterte Mathieu: „Ein andermal dann.“

      Julia strahlte ihn an. „Oui, ein andermal.“ Sie nickte Mathieu zu und folgte Charles zum Haus.

      Julia erlebte gemeinsam mit Charles einen produktiven Vormittag, nur unterbrochen von einem phänomenalen Frühstück, das ihnen Virginie im Arbeitszimmer servierte. Charles schilderte Julia seine Zeit in der Schweiz bis zu dem Tag, an dem er ein Praktikum im bedeutenden Bankhaus de Bertrand in Zürich begonnen hatte. Wieder verging die Zeit wie im Fluge, und erst das Geräusch eines sich nähernden Helikopters riss beide aus ihrer Gedankenwelt.

      Charles lächelte freudig und erhob sich hastig. „Das werden sie sein.“

      Julia