Ava Lennart

Mädchenname


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strahlend in Inès’ Erläuterung ein. „Ja, und irgendwann habe ich begriffen, dass es ihn wurmt, wenn ich den Namen Zaza toll fände. Also habe ich aus reinem Trotz begonnen, mich selbst so zu nennen, auch als ich dann meinen Namen bereits sagen konnte, und es seitdem beibehalten. Der Einzige, der mich heutzutage nicht mehr gerne Zaza nennt, ist Philippe.“ Salomé klatschte belustigt in die Hände.

      Eine Geste, die Julia schon bei ihr aufgefallen war.

      Drei Stunden später verließ Julia rundum erneuert Inès’ Zimmer. Zufrieden betrachtete sie ihre korallenroten Zehennägel, die durch die silbernen Riemchen ihrer Sandalen blitzten, und freute sich über die lindernde Wirkung von Aloe vera an diversen wunden Stellen zwischen ihren Beinen. Es war bereits sieben Uhr abends. Unglaublich, dass schon wieder ein Tag verflogen war. Bis zum Abendessen blieb ihr nur wenig Zeit. Unschlüssig verharrte sie vor ihrer Zimmertür.

      Sie hätte eigentlich die Arbeitsergebnisse des Vormittags mit Charles noch ein wenig ordnen müssen. Andererseits spürte sie den unbändigen Drang, Mathieu zu suchen. Aufgeregt lief sie über die Plattenwege, vorsichtig darauf bedacht, ihr Nagelwerk vom Gestrüpp nicht zerstören zu lassen. Die Stelle, an der sie Mathieu am Morgen mit Charles angetroffen hatte, lag verlassen da. Julia suchte noch eine Weile, von Mathieu war allerdings nichts zu sehen. Enttäuscht kehrte sie zum Dahlienzimmer zurück und schaltete lustlos den Computer an.

      Wie Julia erwartet hatte, gestaltete sich das Abendessen mit der Familie de Bertrand heiter. Sie registrierte amüsiert, wie Philippe alle Register seines Charmes zog, um sie zu umgarnen. Er war sehr unterhaltsam und mit seinem unglaublich guten Aussehen eine Augenweide. Auch Salomé beteiligte sich rege am Gespräch, und ihre Schlagfertigkeit brachte die Runde öfter zum Lachen. Die jungen de Bertrands hatten von den Eltern sowohl Charme, Intelligenz als auch Schönheit geerbt. Inès hatte eine etwas zurückhaltendere Art, war jedoch sehr belesen und konnte neben dem üblichen Small Talk mit fundiertem Wissen über Kunst und Kunstgeschichte begeistern. Es war schön zu sehen, wie wohl Charles sich im Kreise seiner Familie fühlte.

      Julia zog sich dennoch früh zurück. Erschöpft – von was eigentlich? – sank sie in ihr Himmelbett.

      Für den nächsten Morgen hatte sich Julia zum ersten Mal einen Wecker gestellt, um nur ja nicht zu spät zu ihrem Schwimmtraining – und Mathieu – zu kommen. Doch diesmal musste sie sich selbst das Handtuch nehmen. Mathieu war nicht erschienen. Fröstelnd stand Julia am Beckenrand und schaute sich enttäuscht nach ihm um.

      Den restlichen Tag hielt sie nach ihm Ausschau, konnte ihn aber nirgends entdecken. Vermeintlich ohne Ziel schlenderte sie durch den Garten, passierte mit raschem Herzklopfen mehrfach die Gruppe von Arbeitern, die mit der Einfassung der Wege beschäftigt waren. Aber Mathieu war nicht unter ihnen. Seltsam, wie sehr sie sich in den Tagen vorher bereits an seine Anwesenheit und die lieb gewonnenen Treffen gewöhnt hatte.

      Die kommenden Tage blieben ebenfalls Tage ohne Mathieu. Julia musste sich auf die Zunge beißen, um Charles während ihrer gemeinsamen Arbeit an seinen Memoiren nicht nach ihm zu fragen. Ansonsten folgte ihre Zeit langsam einer eingespielten Routine.

      Das Manuskript über Charles’ Leben wurde immer umfangreicher. Nach einem leichten Lunch vertieften Salomé und Julia ihre neue Freundschaft. Allerdings ging sie auf Salomés neckende Anspielungen, was einen gewissen sexy Gärtner anging, nicht ein. Sie zog es vor, ihre Gefühle für sich zu behalten. Das stimmte allerdings nur zur Hälfte, denn ihrer Freundin Stella gab sie per SMS ein tägliches Mathieu-Sichtungs-Update.

      Wenn die Kosmetiktruppe von Inès nicht gerade neue Einsatzgebiete fand, führte Philippe sie in schicke Cafés nach Cap Martin, ins Monte Carlo Beach Hotel oder zum Shoppen in die Boutiquen von Monaco aus. Das heißt, Julia schaute in der Regel Salomé beim Shoppen zu. Bei der Fülle ihres Kleiderschranks und ihrer ungewissen Zukunft verspürte sie dann doch kein Bedürfnis, sich noch mehr Klamotten anzuschaffen.

      Julia nahm staunend die Atmosphäre des unbeschwerten Lebens an der Côte d’Azur in sich auf: die dünnen Models, die teuren Outfits, die hohen Absätze, die imposanten Sportwagen, die Menge der Yachten, die weißen Tischdecken in den designten Lokalen. Aber auch die zauberhafte Landschaft, die charmanten Menschen, die Strände und das imposante Blau des Mittelmeeres.

      Sie absolvierte unzählige Begrüßungsküsschen, als sie Freunden von Philippe und Salomé vorgestellt wurde, deren Namen sie sich anfangs noch zu merken versuchte, es irgendwann jedoch aufgab, denn es waren einfach zu viele.

      Philippe führte sich bei diesen Ausflügen auf wie ein Prinz. Nach Julias Geschmack kam er ihrem Körper dabei zu häufig viel zu nah. Wie selbstverständlich legte er seine Hand um ihre Schultern und an ihre Hüfte, ergriff ihre Hand, umarmte sie zum Abschied. Auf ihren strengen Blick hin hob er mit einem entwaffnenden Grinsen die Schultern. „Was soll ich tun? Bei schönen Frauen kann ich halt nicht widerstehen.“

      Julia und vor allem Salomé rollten nur mit den Augen. Aber Philippes jungenhafter Charme schaffte es, dass Julia ihm nicht ernstlich böse sein konnte. Es gab Schlimmeres, als von attraktiven Männern berührt zu werden. Innerlich seufzte sie jedoch, denn der eine Mann, dessen Berührung sie herbeisehnte, war weit und breit nicht zu sehen.

      Nach einer Woche dachte Julia schon fast, sie hätte sich Mathieu und seine blitzenden Augen nur eingebildet. Es war Freitagabend, kurz vor dem Abendessen. Julia trocknete ihr Haar und trat währenddessen auf ihre Terrasse, um einen abendlichen Gruß an das Meer zu senden. Sie genoss dieses kleine Ritual und liebte die Stimmung des frühen Abends und vor allem das Licht, das den Garten und die Bucht in eine orange angehauchte Kitschpostkarte verwandelte. Während sie die Haarspitzen mit dem Handtuch knetete, schaute sie entspannt auf ein großes Kreuzfahrtschiff, das vor der Küste aufgetaucht war.

      Da berührten ihre nackten Füße auf einmal einen Gegenstand. Erstaunt erblickte sie auf dem Terrassenboden einen Papierflieger. Sie hob ihn lächelnd auf und wollte ihn gerade wieder segeln lassen, da hielt sie in der Bewegung inne. Auf dem einen Flügel des Fliegers erkannte sie ihren Namen. Julia sah sich herzklopfend nach dem Absender des Fliegers um, konnte jedoch niemanden entdecken. Behutsam entfaltete sie das Blatt Papier. Auf diesem standen nur wenige Zeilen, aber Julia wusste sofort, von wem diese waren.

       Julia,

       ein andermal kann morgen sein. Ich erwarte dich nachmittags um vier vor dem Tor.

       M.

      Julia spürte, wie sich ihre Atmung beschleunigte. Unwillkürlich hielt sie ihre Hand an die Brust. Hatte sie jemals etwas so geheimnisvoll Romantisches erlebt? Freude breitete sich in ihr aus und ließ sie innerlich ganz warm werden. Wie einen kostbaren Schatz faltete sie das Schreiben zusammen und kehrte mit einem leisen Lächeln in ihr Zimmer zurück.

      Charles senkte seufzend das Blatt Papier, das er zum hundertsten Mal in den letzten Monaten gelesen hatte. Tief in Gedanken verloren, starrte er auf das große Kreuzfahrtschiff, das seit gestern vor der Bucht lag, ohne jedoch wahrzunehmen, was er sah. Er erinnerte sich genau an den Moment, als er den Brief zum ersten Mal gelesen hatte.

      Ein Windstoß hatte einen Schwall vertrockneter Oleanderblätter vor die Steinbank geweht, auf der er gesessen hatte. Seufzend erwachte er aus der Starre, die ihn befallen hatte, und er konnte sich endlich überwinden, den Brief zu öffnen, den er seit einer gefühlten Ewigkeit nur angestarrt hatte.

      Mit dem Zeigefinger bohrte er am oberen Rand des Umschlags behutsam ein Loch und erweiterte dann vorsichtig die Öffnung. Als der Briefumschlag offen war, dauerte es wieder eine Weile, bis er sich in der Lage sah, fortzufahren. Was würde er zu lesen bekommen? Mit zittrigen Händen entnahm er die Zeilen und entfaltete das Blatt Papier. Die feinen, leicht nach rechts geneigten Buchstaben ließen seine Hand noch stärker zittern. Ihre Schrift war ihm so vertraut, und ihm war, als flüsterten die raschelnden Oleanderblätter in diesem Moment mit ihrer Stimme und mit der ihr eigenen Zärtlichkeit seinen Namen. Er riss sich zusammen und heftete seinen Blick auf das Schreiben.

      Es war still um ihn herum. Wie immer hier um die Mittagszeit. Vor allem aber an diesem durch