Ava Lennart

Mädchenname


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Sie sind da!“

      „Ich hab’s gehört, meine Liebe.“

      Vor dem Haus hatte sich bereits das Empfangskomitee aufgestellt. Julia schmunzelte, als sie sich mit Charles neben Virginie stellte. War es tatsächlich erst knappe drei Wochen her, seit sie selbst hier angekommen war? Es kam ihr eher wie Monate vor.

      Einen Augenblick später bog auch schon Pierre mit dem Golfcart um die Ecke. Neben Pierre saß Philippe de Bertrand. Diesmal war er leger gekleidet in Jeans und weißem Hemd. Julia stellte anerkennend fest, wie gut er aussah. Als er Julia erkannte, lächelte er ihr vertraulich zu.

      Auf der Rückbank saß die perfekteste Frau, die Julia je gesehen hatte. Obwohl sie sicherlich schon knapp sechzig war, strahlte sie eine gepflegte Präsenz aus, die Julia den Atem verschlug. Wie eine Königin, so huldvoll blickte sie auf die Wartenden. Das musste Charles’ Frau Inès sein. Sie trug einen aprikotfarbenen Hosenanzug, unter dem ein goldfarbenes T-Shirt hervorblitzte. Neben Brillantohrringen gehörte eine edle Uhr zu ihren Accessoires. Ihr blond gesträhntes Haar war kunstvoll hochgesteckt.

      Neben ihr saß wohl die Tochter des Hauses, Salomé, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sie hatte wenig Ähnlichkeit mit dem frechen, bezopften Mädchen auf dem Foto, das Julia in Charles’ Büro betrachtet hatte. Im Gegensatz zu Inès waren ihre Haare nicht blond, sondern fast schwarz. Ihre Kleidung war mit Jeans und Bluse eher unauffällig. Als einzigen modischen Akzent machte Julia den modern geschnittenen Pony über dem stufigen Haarschnitt aus.

      Unter viel Hallo, begleitet von den obligatorischen Küsschen, wurden die Ankömmlinge begrüßt. Julia war ein wenig befangen, als sie Inès die Hand reichte. Diese betrachtete sie interessiert und ignorierte ihre förmliche Begrüßung, indem sie die verblüffte Julia herzlich an sich zog und ihr ebenfalls zwei Küsschen verpasste.

      „Ah, Julia. Wie schön, Sie endlich kennenzulernen. Charles und Philippe haben in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt. Und das will etwas heißen!“

      Julia spürte, wie sie leicht errötete.

      Salomé war neben ihre Mutter getreten und drängte sie spielerisch zur Seite. „Darf ich auch endlich mal die berühmte Julia begrüßen. Hallo, ich bin Salomé. Aber hier in Südfrankreich nennt mich eigentlich jeder Zaza.“

      Julia wurde noch verlegener. Ehe sie sich’s versah, fand sie sich in Salomés Armen wieder. Julia sah dabei in Philippes Augen, der entschuldigend die Schultern zuckte.

      „Ich bin nicht alleine daran schuld. Mein Vater hat auch seinen Teil dazu beigetragen.“ Wie zuvor Salomé bei ihrer Mutter, schubste Philippe Salomé energisch beiseite und riss Julia fast in seine Arme.

      Sie war so überrumpelt, dass sie kaum wusste, wie ihr geschah. Du meine Güte! So gut kannten sie sich nun wirklich nicht. Sie hatten sich doch erst einmal kurz getroffen. Julia verstand nicht, weshalb jeder so tat, als wäre sie ein lang vermisstes Familienmitglied. Aber sie hatte ja bereits bei Charles gesehen, wie herzlich und vertrauensvoll er sich ihr gegenüber verhielt. Ihr Vorurteil, reiche Leute wären eher blasiert und unnahbar, musste sie auf jeden Fall streichen.

      Philippe hielt sie länger als nötig in seinen Armen. Julia spürte, wie sich ihre Atmung gegen seine breite Brust hob und senkte. Sein herbes Aftershave stieg ihr in die Nase. Streichelten seine Hände etwa über ihren Rücken? Julia nestelte sich aus seiner Umarmung. Mit einem Anflug von Irritation schaute sie ihn an. Philippe überging ihren fragenden Blick und wandte sich herzlich an Estelle. Dann betrat die Gesellschaft munter plaudernd das Haus, und wenig später servierte Estelle einen aufwändigen Lunch.

      Julia genoss die angeregte Atmosphäre und war wieder erstaunt über den herzlichen Umgang miteinander. Unweigerlich dachte sie an ihre eigene Familie.

      Sie war ein Einzelkind und nach Auffassung ihrer Mutter viel zu selten „zu Hause“. Sie hatte es damals kaum übers Herz gebracht, ihren Eltern beizubringen, dass sie in die Schweiz ziehen würde. Ihre Eltern waren zwar auch herzliche Menschen. Allerdings nicht so offensichtlich wie die de Bertrands. Vielleicht lag es an der provenzalischen Umgebung, dass alles so unbeschwert schien. Zugegebenermaßen war das Reihenhaus ihrer Eltern in einem Kölner Vorort nicht mit diesem Ort vergleichbar. Dort gab es auch keine Estelle und keine Virginie, die wie gute Geister umherflatterten und alle lächelnd verwöhnten. Außerdem durfte man nicht vergessen, sie alle waren in Urlaubsstimmung.

      Salomé hatte sich den Platz neben Julia ergattert und Philippe dabei triumphierend angegrinst. Es fehlt noch, dass sich die Geschwister gegenseitig die Zunge herausstrecken, dachte Julia.

      Salomé war eine interessante Gesprächspartnerin. Julia betrachtete die Tochter des Hauses, die sie auf Anfang dreißig schätzte, aufmerksam. Ihre strahlend hellblauen Augen leuchteten, und sie gestikulierte leidenschaftlich, als sie von ihrem Leben in New York erzählte, wo sie zurzeit in einer Dependance des familieneigenen Bankhauses arbeitete.

      „Ich habe übrigens während des Sommers Geburtstag, und ich wollte eine kleine Party schmeißen. Hast du Lust, zu kommen?“, fragte Salomé.

      „Ja, selbstverständlich. Wann denn? Ich habe nämlich auch bald Geburtstag, am 4. August.“

      Salomé kreischte entzückt auf und klatschte begeistert in die Hände. „Das gibt es doch nicht. Das wird dann ja wohl die Party des Jahres! Philippe, hast du das mitbekommen? Julia hat am selben Tag wie ich Geburtstag.“

      „Moment mal, die Party des Jahres feiere ja wohl immer noch ich!“, warf Charles mit gespielter Empörung ein.

      Salomé und Julia grinsten ihn nachsichtig an. In diesem Moment klopfte es, und Pierre betrat den Raum. „Madame Inès, Gerard ist soeben mit dem Gepäck und Ihrem Personal eingetroffen.“

      Inès erhob sich und verließ den Raum. Salomé verdrehte schalkhaft die Augen. „Es ist unglaublich, wie viel Zeug Maman für den Sommer braucht.“

      Julia war verwirrt. Hatte Pierre „Personal“ gesagt? „Aber wofür braucht sie denn weiteres Personal?“

      Salomé lachte nur und winkte ab. „Das wirst du schon noch sehen. Eigentlich gar nicht schlecht, denn wir werden auch davon profitieren. Dir wird aufgefallen sein, wie gut sie aussieht. Das kommt ja schließlich nicht von ungefähr. Nein, da braucht es Trainer, Berater, Stylisten und, und, und.“

      Julia blieb schon wieder der Mund offen stehen.

      Salomé sprang auf und ergriff ihre Hand. „Komm, ich zeig dir, was ich meine.“

      Als sie den Eingangsbereich passierten, mussten sie eine stattliche Anzahl von Koffern und Kisten umrunden. Inès stand vor einer Gruppe junger Menschen. Neben ihr stand eine streng gekleidete, sehr schlanke Frau, deren Haare zu einem Knoten zusammengefasst waren. Sie erläuterte den anderen die Hausregeln. Unwillkürlich assoziierte Julia mit ihr das Fräulein Rottenmeier aus dem Roman Heidi.

      Auf Julias fragenden Blick rollte Salomé nur genervt mit den Augen und flüsterte: „Das ist Mademoiselle Courbier, die persönliche Assistentin meiner Mutter. Ich sage dir, die hat Haare auf den Zähnen.“

      Julia entwich ein Kichern, was sogleich mit einem strengen Blick von Fräulein Rottenmeier quittiert wurde. Selbst Inès schien in deren Gegenwart wie verwandelt und schnalzte tadelnd mit der Zunge. Salomé zog Julia aus dem Haus, und sie brüllten vor Lachen wie junge Mädchen, sobald sie außer Hörweite waren.

      „Oh mein Gott, die nimmt sich fürchterlich wichtig. Ich verstehe nicht, wie meine Mutter sich mit einer so spaßfreien Person umgeben kann. Da gibt es doch ...“

      Salomé stockte in ihrem Satz und blickte mit offenem Mund über Julias Schulter. Julia drehte sich, um zu sehen, was Salomé so abgelenkt hatte. Etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt war Mathieu aus einem Oleandergang getreten. Sein T-Shirt war verschwitzt und lehmverschmiert. Selbst sein Gesicht zierte ein breiter Erdstreifen. Den Spaten hatte er wie ein Wandersmann über die Schulter gelegt. Noch hatte er sie nicht entdeckt.

      „Oh. Mein. Gott“, entfuhr es Salomé leise, die ihren Blick nicht von Mathieu lösen konnte.

      Moment