Ava Lennart

Mädchenname


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um die Gunst von Mathieu gehen? Julia konnte die Augen ebenfalls nicht von Mathieu wenden. Dieser war ihnen jetzt näher und hob den Kopf. Ein Strahlen ging über sein Gesicht, als er Julia erkannte. Er trat zu ihnen.

      „Salut, Julia. Hast du einen schönen Tag?“, fragte er.

      Julia verlor sich kurz in seinem Lächeln. Gebannt von dem Grübchen auf seiner Wange, antwortete sie automatisch: „Oui, Mathieu. Sehr. Merci.“

      Salomé räusperte sich vernehmlich.

      Julia besann sich. „Ah, das ist Salomé de Bertrand. Salomé, das ist Mathieu ...“ Sie hielt inne. Unvermittelt wurde ihr bewusst, dass sie seinen Nachnamen gar nicht kannte. „Ach, ihr kennt euch doch sicher schon lange.“

      „Nein, wir kennen uns bisher noch nicht. Mathieu Fontaine, sehr erfreut, Salomé“, sprang Mathieu hilfreich ein und nickte Salomé zu. Da er mit der Rechten den Spaten hielt, fügte er hinzu: „Ich schüttele Ihnen lieber nicht die Hand. Zu erdig.“

      Salomé stutzte. „Mathieu Fontaine?“, überlegte sie. „Sind Sie hier aus der Gegend?“

      Mathieu nickte und neigte fragend den Kopf. „Ja, ich lebe in Roquebrune. Sind wir uns vielleicht früher doch schon einmal begegnet?“

      Salomé winkte ab und grinste ihn keck an. „Nein, nicht persönlich. Also, wenn überhaupt kennen wir uns nur vom Sehen. Aber ich muss zugeben, dass ich Ihren Namen in meiner Jugend öfter gehört habe.“

      Mathieus Gesichtsausdruck versteinerte. Mit einem Male schien er es eilig zu haben. Er nickte Julia und Salomé zu.

      „Also ... hat mich gefreut.“ Mathieu wandte sich bereits wieder Richtung Plattenweg. Dann hielt er kurz inne und sah Julia an. Sein Blick schweifte zu ihren Lippen. „Bis dann“, sagte er rau.

      „Bis dann“, wisperte Julia und blickte ihm nach.

      Kaum war Mathieu um die Ecke verschwunden, konnte Salomé nicht mehr an sich halten. „Oh, oh. Da hat es aber zwei ganz schön erwischt.“ Sie klatschte in die Hände. „Unsere Julia und Mathieu Fontaine, ich glaube es einfach nicht.“

      Julia holte tief Luft. Das konnte doch nicht so weitergehen, dass alle Welt sofort um ihre Gefühle für diesen Mann wusste. Hilflos zuckte sie die Achseln und grinste Salomé an.

      „Du kennst ihn ja doch! Er schien es jedenfalls nicht so toll zu finden, dass du seinen Namen kennst. Gibt es etwas, was ich wissen sollte?“

      Lachend hakte sich Salomé bei Julia unter und zog sie wieder ins Haus.

      „Ach was! Sein Name war nur einen Sommer lang bei einigen Mädchen meiner Clique sehr angesagt. Wie alt war ich da? … Ich glaube … siebzehn. Meine Freundinnen haben mich ziemlich genervt mit ihrer Schwärmerei für ihn. Ich hätte ihn eigentlich gleich erkennen sollen. Aber er war ein bisschen … erdig.“ Sie lachte laut auf.

      Julia konnte an ihren glasigen Augen sehen, wie sie in weit entfernten Erinnerungen kramte. Ihre Neugier war geweckt. Sie fand es hochspannend, zu erfahren, wie Mathieu wohl damals gewesen war.

      „Jetzt erzähl schon, Zaza!“

      „Hach. Er war ... war so anders. Er war wild und schroff. Ganz anders als die braven Jüngelchen, mit denen wir sonst so loszogen. Wenn er den Strand langging, seufzten alle Frauen auf. Und nicht nur die jungen! Es war so wie in diesem Girl from Ipanema-Song, nur halt mit Mathieu Fontaine.“

      „Und er? Hatte er eine Freundin?“

      „Eine?“ Salomé lachte laut auf. „Ach, Julia. Ich weiß ja nicht, wie er heute ist. Aber ich habe doch gesagt, dass er wild war. Das machte ja gerade seinen Reiz aus. Ich glaube, neunzig Prozent der Mädchen damals waren total in ihn verknallt.“

      Julia kaute nachdenklich ihre Unterlippe.

      „Und du? Warst du auch in ihn verknallt?“

      Belustigt begegnete Salomé ihrem zaghaften Blick. Dann wurde sie schlagartig ernst. „Nein, ich war damals immun gegen ihn. Ich hatte einen Freund.“

      „Und das hat dich abgehalten?“

      Salomé zuckte die Achseln. „Tja. Was wieder ein Beweis dafür wäre, wie dumm man mit siebzehn sein kann.“

      Sie brach wieder in schallendes Gelächter aus, und Julia war erleichtert, dass ihr Anflug trüber Stimmung so rasch verflogen war. Kichernd betraten sie wieder den Essraum.

      Inès erhob sich. „Da seid ihr ja! Ihr zwei Kichererbsen. Ich warte schon auf euch. Alleine macht es einfach keinen Spaß.“

      Julia runzelte verwirrt die Stirn. Was meinte Inès?

      Salomé hingegen klatschte wieder begeistert in die Hände. „Au ja, ich fange mit der Maniküre an, Julia nimmt das andere.“

      Julia begriff, dass es sich also um ein Kosmetikprogramm handelte. Wow. Zuerst Massage, jetzt Kosmetik. Was für ein Leben. Aber was um alles in der Welt meinte Salomé mit „das andere“? Selbst Inès hatte bei Salomés Worten geschmunzelt. Salomé zog Julia am Arm hinter ihrer Mutter her, die den Speiseraum bereits verlassen hatte und dabei in unbestimmter Richtung mit den Fingern schnippte. Sogleich traten aus versteckten Ecken Fräulein Rottenmeier und ihr Gefolge zu ihr.

      „Was meinst du mit das andere, Zaza?“, fragte Julia.

      „Du wirst schon sehen.“ Salomé lächelte sibyllinisch und folgte der Prozession in Inès’ Gemächer.

      ÜBERRASCHENDE ZEILEN

      „Autsch!“ Julia biss sich auf die Unterlippe, um einen saftigen Fluch zurückzuhalten. Warum nur hatte sie dieses Waxing an Stellen ihres Körpers zugelassen, mit deren Behaarung sie die letzten zwanzig Jahre eigentlich ganz zufrieden gewesen war?

      Salomé grinste. „Wie heißt es so schön: Wer schön sein will, muss leiden.“

      Julia schnaubte. Salomé hatte gut reden. Ihr Leidensdruck bestand darin, ihre Hand ruhig zu halten, während dunkelroter Nagellack appliziert wurde.

      Die drei Frauen befanden sich bereits seit einer Stunde in Inès’ Räumen, die mit unzähligen Köfferchen, Tiegeln, Tüchern und Spiegeln eher einem Kosmetikinstitut glichen. Inès, an deren Kopf Alufolienpakete für frische Strähnchen baumelten, plauderte entspannt über einen Karibiktrip mit einer Freundin, von dem sie kürzlich zurückgekehrt war.

      Julia fragte sich, ob sie selbst es ertragen könnte, keine sinnvolle Aufgabe im Leben zu haben. Wie es wohl wäre, um die Welt zu jetten und zu setten? Ohne Termindruck, ohne Leistungsanspruch. Julia war überzeugt davon, sie würde bereits nach einem Jahr vor Unterforderung die Tapete der Hotelzimmer von den Wänden knibbeln.

      Inès hingegen machte nicht gerade einen depressiven Eindruck. Aber sie war ja wesentlich älter als sie selbst und hatte schon erwachsene Kinder, quasi „ihr Soll erfüllt“. Wer weiß, wie es ihr selbst in zwanzig Jahren ergehen würde. Und Julia musste zugeben, die Annehmlichkeiten des Luxus, die sie bislang erleben durfte, hatten auf jeden Fall einen großen Teil dazu beigetragen, dass der Druck der letzten Monate von ihr abgefallen war.

      Ihre Zeit mit Marcus, die enttäuschten Morgen vor dem negativen Teststäbchen, der Termindruck in dem Justiziariat des Konzerns, die gehetzten Mittagessen mit Kollegen waren ganz weit weg von ihrem jetzigen Leben auf Mirabel. Sie schienen in einen gnädigen Nebel der Erinnerung eingehüllt, und Julia hoffte, sie würden gefälligst dort bleiben.

      „Wie kommt es eigentlich, dass du Zaza genannt wirst?“, wandte sie sich an Salomé.

      „Den Namen hat ihr Philippe verpasst“, antwortete Inès an Salomés Stelle. „Er war damals ziemlich eifersüchtig, als seine kleine Schwester ihn vom Thron des Einzelkindes stieß. Salomé war schon recht früh sehr eigensinnig, und Philippe merkte, wie sehr sie sich ärgerte, wenn er absichtlich ihren Namen zu Zaza verstümmelte, indem er sie imitierte.