Dieter Aurass

Verborgen


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in gebückter Haltung über den Rasen in Richtung Terrasse.

      Warum bücke ich mich so runter? Es ist doch stockdunkel und niemand kann mich sehen?

      Den Kopf über sich selbst schüttelnd streckte sie sich auf ihre vollen 1,75, nahm die Skimütze vom Kopf, schüttelte ihr halblanges blondes Haar kurz aus und ging dann erhobenen Hauptes auf die Terrasse zu. Erst unterwegs schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie gar nicht wusste, ob es Bewegungsmelder im Garten oder vielleicht sogar Überwachungskameras gab. Ohne darüber nachzudenken, setzte sie die Skimütze wieder auf, was nicht wirklich helfen würde, ihre Identität zu verheimlichen.

       Ach was, scheiß drauf. Ich will meinen Ruf wiederherstellen. Sollen sie doch sehen, wer da eingebrochen ist und sich die Beweise geholt hat. Das spielt dann wirklich keine Rolle mehr.

      Nachdem sie sich so Mut gemacht hatte, schritt sie weiterhin aufrecht und mit trotzigem Blick über den Rasen auf die Terrasse zu. Sie kämpfte die Zweifel und das mulmige Gefühl nieder und betrat die einen Meter über der Rasenfläche liegende Plattform, auf der die abgedeckten Gartenstühle und Tische standen.

      Direkt links neben der über vier Meter breiten Front aus Glasschiebetüren befand sich das elektronische Zahlenschloss, mit dem über einen Code die Verriegelung der Tür geöffnet werden konnte. Obwohl sie der Meinung gewesen war, das Tastenfeld wäre nachts erleuchtet, konnte sie in der dunklen Nacht lediglich die Umrisse des kleinen rechteckigen Kästchens erkennen. Widerwillig zog sie die kleine Taschenlampe aus der Seitentasche ihrer Trainingsjacke, schaltete sie ein und leuchtete das Tastenfeld an. Die Angst, die Familie hätte vielleicht die Ziffernkombination zwischenzeitlich geändert, ließ sie einen Moment zögern, aber dann gab sie beherzt die ihr in Erinnerung gebliebenen Zahlen ein: 5 - 4 - 2 - 8 - 8 - 1.

      Nichts!

      Kein Ton, kein Piepen oder auch nur Aufleuchten. Das Feld, in dem normalerweise ein Sternchen für jede eingegebene Ziffer erschien, blieb einfach dunkel.

       Was ist das denn jetzt für ein Mist?

      Langsam begann ihr zu dämmern, dass sie nicht etwa eine falsche Kombination eingegeben hatte, sondern die Apparatur einfach nicht funktioniert. Aber warum nicht? Konnte es etwas damit zu tun haben, dass auch die Straßenbeleuchtung in der Umgebung der Villa nicht mehr funktionierte? Ein Stromausfall! Ja, das musste es sein. Damit erklärte sich die Dunkelheit in der Umgebung des Hauses und auch, warum dieses blöde elektronische Teil nicht mehr funktionierte. Aber wie sollte sie nun in das Haus kommen? Ihre Kenntnis der Zahlenkombination war ihr einziger Trumpf gewesen und ihr fiel keine Alternative ein.

      Verdammt. Wütend trat sie gegen die Hauswand und fluchte im nächsten Augenblick, denn sie hatte sich den großen Zeh so fest angestoßen, dass sie einen Moment lang sicher war, er sei gebrochen.

      »Ouuu, ouuu, Scheiße, verdammt.« Sie taumelte, hüpfte auf einem Bein seitwärts und hielt den schmerzenden Fuß in beiden Händen. Für den Augenblick war ihr egal, ob jemand ihr Geheule hören könnte.

      Dann verlor sie das Gleichgewicht und drohte umzufallen. Ihr blieb keine Wahl, als den verletzten Fuß auf den Boden zu setzen und gleichzeitig nach einem Halt zu suchen. Ihre linke Hand griff blindlings zur Seite und bekam einen Griff zu fassen. Im gleichen Moment, als sie versuchte, sich an diesen Griff zu klammern und ein Hinfallen zu verhindern, bewegte sich ihr vermeintlicher Anker unter dem Gewicht ihres seitlich fallenden Körpers von ihr weg.

      Was zum Teufel …?, konnte sie noch denken, bevor sie schmerzhaft auf ihren Hintern fiel. Sie blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen und versuchte, durch tiefes Ein- und Ausatmen ihren Puls wieder auf ein erträgliches Maß hinunterzubringen. Mit beiden Händen tastete sie um sich herum den Boden ab, um die verlorene Taschenlampe zu finden, von der sie hoffte, dass sie noch funktionstüchtig war.

      Sie lag näher an ihrem Körper als vermutet und ließ sich ohne Probleme anschalten. Sie leuchtete in die Richtung, wo sie versucht hatte, sich an irgendetwas festzuhalten … und zog überrascht die Luft ein, als sie es sah:

      Es war der Griff der Terrassentür gewesen, an den sie sich geklammert hatte. Er war nicht etwa abgebrochen, sondern hatte sich - wie es seine Bestimmung war - zusammen mit der Tür bewegt. Diese stand nun in einer Breite von etwa vierzig Zentimetern offen.

      Sie war sich sicher, dass die Tür nicht offen gestanden hatte, als sie sich an der elektronischen Verriegelung zu schaffen gemacht hatte.

       Ob das mit dem Stromausfall zu tun hat?

      Egal, Hauptsache ich komme rein, dachte sie und rappelte sich mühsam auf. Dabei bemerkte sie erstmals wieder ihren schmerzenden rechten großen Zeh. Die Schmerzen hatte sie in ihrem Erstaunen über die offene Tür für einen kurzen Moment verdrängt. Humpelnd bewegte sie sich auf den Spalt zu, der ihr breit genug erschien, dass sie sich seitwärts hindurchdrücken konnte. Die Taschenlampe schaltete sie aus und verstaute sie wieder in ihrer Jackentasche.

      Den schweren Fehler bemerkte sie erst, als sie in der im Wohnzimmer vorherrschenden Dunkelheit schmerzhaft mit dem Schienbein gegen eine Tischkante stieß und erneut vor Schmerz aufheulte. Humpelnd bewegte sie sich seitwärts, um im nächsten Moment erneut gegen ein Hindernis zu stoßen. Nur eine Sekunde später hörte sie das krachende Klirren, als etwas auf dem Marmorfußboden zerschellte.

      O Gott, die chinesische Vase, die auf diesem Sockel steht, schoss es ihr durch den Kopf. Als ihr die Schuldgefühle bewusst wurden, die sie im Zusammenhang mit der Zerstörung dieses wertvollen Stückes ansprangen, musste sie laut auflachen.

      »Bin ich denn nur blöd?«, rief sie in die Dunkelheit. »Ihr habt mein Leben zerstört und ich mache mir Vorwürfe wegen so einer scheiß Vase. Das geschieht euch recht, hört ihr? Und ich werde noch mehr kaputtmachen, wenn ich nicht finde, wonach ich suche!«

      Zufrieden mit sich selbst, ihrem Wagemut, ihrem erfolgreichen Eindringen in das Haus und dem Umstand, dass bisher eigentlich nichts wirklich schiefgelaufen war, grinste sie in die Dunkelheit. Sie lauschte … und hörte das, was sie zu hören gehofft hatte: Nichts!

      Gut so, dachte sie und knipste die Taschenlampe wieder an.

      Kapitel 4 - im heißen Süden

      Heinz Helmholtz wälzte sich in dem verschwitzten Laken von einer Seite auf die andere. Zum hundertsten Mal in den vergangen zwei Tagen verfluchte er seine bescheuerte Tochter, die ihr Domizil ausgerechnet im Süden der USA aufschlagen musste.

      Er sehnte sich nach dem Bett in seiner Villa am Rhein, wo es reichte, wenn man ein Fenster öffnete, um eine angenehme Temperatur zu erreichen - auch im Juli. In New Orleans, der größten Stadt des amerikanischen Bundesstaats Louisiana, herrschten um diese Jahreszeit tropische Verhältnisse. Die Temperatur ging zwar selten über 33 Grad Celsius, aber die Luftfeuchtigkeit erreichte viel zu oft bis zu 95 Prozent - vor allem nach den Regenfällen, die zu dieser Jahreszeit ebenfalls sehr häufig vorkamen. Selbstverständlich lag die Villa im noblen ›Garden District‹, unweit des Stadtzentrums, und sie war vollständig klimatisiert. Aber er hasste Klimaanlagen. Genauso sehr, wie er diese schwüle, laute und in seinen Augen schmutzige Stadt hasste.

      Alles nur wegen ihrer bescheuerten Vorliebe für Jazz, den Karneval im Süden der USA, dieses wahnsinnige Mardi Gras, und die angebliche Beschaulichkeit des Lebens im Süden. Hat die blöde Kuh sich eigentlich vorher mal einen Atlas angesehen? New Orleans lag auf dem gleichen Breitengrad wie Marokko, Kairo oder Kuwait City. Aber das Fräulein Supermodel hatte sich in den letzten beiden Jahren vollständig abgenabelt und auch als ihr Manager hatte er nicht mehr den Einfluss auf ihre Entscheidungen, den er gerne gehabt hätte.

      Sie hatte sich nicht reinreden lassen, als sie vor einem Jahr diesen hirnlosen amerikanischen Rocksänger geheiratet hatte und inzwischen war sie die getrenntlebende Mrs. Gerritsson. Allerdings war sie mit beachtlichen Geldmitteln sowohl durch ihren Mann als auch aus ihren eigenen Verdiensten, ausgestattet, von denen sie sich diese Villa gekauft hatte.

      Alles, wobei Tatjana ihm noch freie