ein - beziehungsweise er versuchte es. Er betätigte den Kippschalter dreimal in beide Richtungen, bis ihm siedend heiß einfiel, dass er ohne Strom diesbezüglich sehr schlechte Karten haben würde. Er fluchte leise, nahm dann seine Taschenlampe und stellte sie senkrecht auf ein kleines Tischchen und schaltete sie auf die stärkste Leuchtstärke. Der Strahl erhellte die weiße Stuckdecke und die Reflexion gab genügend Beleuchtung für den Raum, dass er nun seine beiden Geiseln in Ruhe und genauer betrachten konnte.
›Geiseln? Willst du sie gegen irgendwas eintauschen? Die Polizei ist doch noch nicht mal da. Passender wäre vielleicht - unvorhergesehene Konkurrenten.‹
Kalle ignorierte die Stimme und besah sich stattdessen erstmals die beiden … was auch immer. Er konnte sie nicht als Konkurrenten sehen, zumal er noch nicht wusste, was sie eigentlich in diesem Haus wollten oder suchten. Normale Einbrecher waren sie auf jeden Fall nicht.
Erstmals konnte er die junge Frau näher betrachten. Bereits als die beiden vor ihm hergegangen waren, war ihm aufgefallen, dass sie einige Zentimeter größer war als er. Er schätzte sie auf ungefähr einsfünfundsiebzig, also wäre sie mit hochhackigen Schuhen vermutlich gute zehn Zentimeter größer als er. Gegenüber dem riesigen Doktor, der sie beide um wenigstens zwanzig bis fünfundzwanzig Zentimeter überragte, wirkten sie klein - und er selbst beinahe zwergenhaft. Dabei wies die Frau eine durchaus reizvolle Figur auf. Ihre Brüste gefielen ihm, soweit er das trotz des Trainingsanzuges bewerten konnte. Sie hatte ein offenes und nicht unfreundliches Gesicht, wobei sie ihn genauso interessiert betrachtete, wie er sie. Gerade hatte sie sich die Skimütze vom Kopf gezogen und schüttelte ihre halblangen, blonden Haare aus. Wirklich sehr attraktiv, dachte Kalle.
›Fang jetzt nur nicht an, amouröse Gedanken zu spinnen, du alter Lustmolch.‹
»Die Vorstellung unseres lieben Doktors habe ich schon mit angehört, aber wir wissen wohl beide noch nicht, mit wem wir es bei dir zu tun haben, Schönheit«, richtete er das Wort an die Frau, statt auf seine lästige innere Stimme einzugehen.
Die Verachtung in ihrem Blick war unmissverständlich. Sie schürzte abschätzig die Lippen und zwischen ihren blauen Augen bildete sich eine Zornesfalte.
»Erstens kann ich mich nicht erinnern, dass wir im Sandkasten gespielt hätten, weshalb ich mir das dummvertraulich du verbitte. Zweitens geht es Sie einen Scheißdreck an, was ich hier zu suchen habe. Und drittens«, dabei warf sie einen Blick zu dem Doktor, wobei sie ihn kurz anlächelte, »stelle ich mich nur Leuten vor, die mir vorher gesagt haben, wer sie sind. Mein Name ist Katrin Schütte.«
Kalle saß den beiden mit offenem Mund gegenüber. So viel Selbstbewusstsein hätte er der zierlichen Frau nicht zugetraut. Gleichzeit kam ihm der Name bekannt vor, wie er überhaupt seit einiger Zeit das Gefühl hatte, sie schon einmal gesehen zu haben.
Da er ein aufmerksamer Beobachter war, war es ihm nicht entgangen, dass der Doktor sehr aufmerksam zwischen ihnen beiden hin und her gesehen hatte. Dabei war sowohl wieder einmal die Augenbraue mit überraschter Verwunderung nach oben gegangen und einmal hatte sein Mundwinkel in einem Anflug von Belustigung gezuckt. Zudem hatte er das unangenehme Gefühl, von diesem Psychoheini analysiert zu werden.
›Na vielleicht kann er dich wirklich von mir befreien. Das wäre doch was, oder?‹
Kalle achtete nicht auf die Stimme.
Den Namen habe ich irgendwo schon mal gehört. Sie kommt mir auch bekannt vor. Wo hab ich das Gesicht nur schon mal gesehen?
Er kam nicht darauf, so sehr er auch in seiner Erinnerung kramte.
»Okay, okay, is angekommen. Mein Name ist …«, er unterbrach sich kurz, um nachzudenken. »Na eigentlich tut er wenig zur Sache. Nennt mich einfach Kalle, das sollte für den Anfang genügen. Kalle, der Meisterdieb«, fügte er in einem Anflug von Galgenhumor hinzu.
Noch hatte er keine Ahnung, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Auf keinen Fall wollte er sich von den beiden Anfängern die Tour vermasseln lassen. Und schon gar nicht wollte er ihnen seine Pläne im Detail verraten.
Verdammt – was soll ich nun mit den beiden machen?
Kapitel 7 - Abtasten
Typisch, dachte Katrin, ein Krimineller heißt entweder Ede, Kalle, Bruno oder Jonny. Was für ein Klischee.
Er war zwar klein für einen Mann und im Vergleich mit dem Doktor - Benjamin - wirkte er wie ein Zwerg, aber er machte einen durchtrainierten, kräftigen Eindruck und sie wollte sich auf keinen Fall mit ihm anlegen. Wer weiß schon, wozu so ein Krimineller fähig ist.
Sie wandte sich Benjamin zu und betrachtete ihn das erste Mal genauer. Abgesehen von dem Umstand, dass er keine Schuhe trug, war er makellos gekleidet: Ein anthrazitfarbener Anzug mit Nadelstreifen, ein weißes Hemd und eine rotblau gestreifte Krawatte.
Das ist ja nun wirklich nicht das richtige Outfit für einen Einbruch, dachte sie belustigt. Sie sah ihm direkt ins Gesicht und stellte verwundert fest, dass er ihrem Blick nicht auswich, wie es die meisten Männer taten. Im Gegenteil, er duldete ihre Inspektion mit einer spürbaren Erheiterung und ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen - schöne, volle, sinnliche Lippen. Seine braunen Augen betrachteten sie und ihm war nichts davon anzumerken, dass er sich etwa über sie amüsierte. Seine kurzen, braunen Haare standen ein wenig wirr vom Kopf ab, und er hatte einen offensichtlich gepflegten Drei-Tage-Bart. Sie schätzte ihn auf ungefähr vierzig, obwohl er etwas jünger aussah. In einer anderen Situation wäre das genau der Typ Mann, mit dem sie sofort zu flirten angefangen hätte.
»Darf ich fragen, Herr Doktor - oder darf ich sie Benjamin nennen? - was Sie ausgerechnet zu dieser Zeit in dieses Haus geführt hat?«
Sie rechnete nicht wirklich mit einer Antwort, weshalb seine Reaktion sie sehr überraschte.
»Selbstverständlich dürfen Sie mich Benjamin nennen, Katrin. Was allerdings mein Hiersein betrifft, so muss ich für den Moment ins Feld führen«, er machte eine Pause, als müsse er in sich hineinhorchen, »dass wir uns noch bei Weitem nicht gut genug kennen, als dass ich Ihnen das anvertrauen würde. Es sei nur so viel gesagt: Ich habe private Gründe, die nichts mit materiellen Gütern zu tun haben. Ich suche in diesem Haus etwas, das ich für die Wiederherstellung meines Rufes benötige. Das muss zunächst genügen.«
Bei seiner Formulierung ›Wiederherstellung meines Rufes‹ war sie zusammengezuckt. Es konnte doch kein Zufall sein, dass er aus ähnlichen Gründen wie sie in die Villa eingebrochen war. Sie hätte es zwar nicht mit so wohlformulierten Worten ausgedrückt, zumal bei ihr der Gedanke an Rache dominierte, aber letztendlich ging es doch um das Gleiche.
Ihre Gedanken schienen ihr anzusehen zu sein, denn er neigte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete sie aufmerksam.
»Ihre Intention scheint eine ähnliche zu sein, Katrin, oder liege ich da völlig verkehrt?«
Erschrocken rückte sie ein wenig von ihm ab. »Ist das so offensichtlich? Oder können Sie vielleicht Gedanken lesen?«
»Nein«, lachte er, »das nun wirklich nicht … leider. Aber ihre Gedanken stehen Ihnen quasi auf die Stirn geschrieben. Die Familie Helmholtz hat Ihnen ein Unrecht angetan und das ist der Grund dafür, dass Sie nun hier sind.«
»Verdammt will ich sein«, unterbrach ein Ausruf von Kalle ihre Gedanken, »jetzt weiß ich, woher ich dich kenne. Der Name kam mir sofort bekannt vor. Du warst doch wochenlang in der Klatschpresse, Mädchen.«
Katrin befürchtete, dass nun genau das zur Sprache kommen würde, was sie nicht mehr hören konnte.
»Du bist doch die kleine lesbische Erpresserin, die der Familie die ganze Kohle abluchsen wollte, oder?« Er klatschte sich lachend auf die Schenkel. »Was für eine geile Idee, ein Verhältnis mit der lesbischen Ehefrau anzufangen und dann den Ehemann zu erpressen. Eine Million, mein lieber Alter, wenn das geklappt hätte, nicht schlecht, Herr Specht.«
»Das