Frustration ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber, vor allem, wenn es um die Menge an Alkohol geht, die man besser nicht getrunken hätte.
Ich wachte mit einem solchen Brummschädel auf, dass ich glaubte, es könne meinen Kopf sprengen.
Die Sonne schien direkt durch das Fenster auf mein Gesicht und mit fest zusammengepressten Augenlidern tastete ich auf dem Nachttisch nach meiner Schlafmaske. Im nächsten Moment fuhr ich mit einem Satz auf, als ich feststellte, dass da kein Nachttisch war. Ein schneller Rundblick bestätigte meine Befürchtung: Ich befand mich nicht in meinem, sondern in einem fremden Schlafzimmer. Als ich die Decke zurückschlug, schockierte mich meine Nacktheit, obwohl ich sie bereits vorher gefühlt hatte. Die getrocknete weiße Substanz, die zwischen meinen Beinen und in meinen Schamhaaren klebte, war für mich der letzte Beweis dafür, was mir mit großer Wahrscheinlichkeit widerfahren war.
Als ich mit einem eng um mich geschlungenen Laken aus dem Zimmer flüchtete, stellte ich fest, dass es sich um den Schlafraum meines Arbeitgebers handelte.
Selbst nach einer halben Stunde unter der Dusche meines kleinen Appartments im Souterrain der Villa fühlte ich mich noch immer beschmutzt. Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben feststellen, dass man ein Gefühl nicht abwaschen oder wegrubbeln kann. Selbst wenn ich keine Erinnerung an das eigentliche Geschehen hatte, empfand ich es immer noch als Vergewaltigung und hätte schreien können vor Wut und Frustration. Aber zumindest meine rasenden Gedanken hatten sich ein wenig beruhigt und es gelang mir, mich auf eine Richtung zu konzentrieren und nicht immer wieder abzuschweifen. Ich entschloss mich, meinen Chef - nein, meinen Vergewaltiger - mit seiner Tat zu konfrontieren. Die möglichen Konsequenzen waren mir in diesem Augenblick absolut egal. Damit durfte das Schwein auf keinen Fall davonkommen, so viel stand für mich fest.
Nachdem ich mich halbwegs hergerichtet hatte, machte ich mich auf den Weg von meiner Souterainwohnung nach oben und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass das Ehepaar Helmholtz mit Töchterchen Tatjana beim gemeinsamen Frühstück auf der sonnenbeschienenen Terrasse in fröhlicher Runde zusammensaß. Schon im Wohnzimmer hörte ich das vereinzelt aufbrandende Gelächter des fürchterlichen Trios und mir schossen die Tränen in die Augen.
Ich zögerte nur kurz, bevor ich an den reich gedeckten Frühstückstisch herantrat. Mein Magen zog sich kurz zusammen, als ich sah, wie sich Tatjana aus einer Flasche Sekt der gleichen Sorte, die mir am Abend zuvor Heinz Helmholtz ausgeschenkt hatte, ein Glas füllte. Aber ich riss mich zusammen.
»Wir müssen reden, Herr Helmholtz!«
»Waren wir nicht gestern schon beim Du, Kleines?«, fragte er mich lächelnd.
»Nicht dass ich wüsste, Herr Helmholtz, können wir nun reden? Unter vier Augen?«
Er blickte seine Frau und seine Tochter an und zwinkerte ihnen lächelnd zu. Dann wandte er sich wieder in meine Richtung und antwortete in einem nicht mehr so freundlichen Ton: »Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Familie, Mädchen. Also los, raus mit der Sprache, was wollen Sie?«
Die Peinlichkeit der Situation war nicht mehr zu überbieten, aber jetzt war ich schon so weit gegangen, dass es keine Rolle mehr spielte, auch noch den letzten Schritt zu tun.
»Sie haben mich vergewaltigt!«, platzt es aus mir heraus, bevor ich Zeit hatte, darüber nachzudenken. Während ich versuchte, nicht haltlos zu schluchzen, fragte ich mich, was ich mit diesem Aufschrei wohl anrichten mochte?
Selbst in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich mir nicht vorstellen können, was im nächsten Moment passierte. Sowohl Helmholtz als auch seine Frau fingen an, schallend zu lachen und wollten sich nicht mehr einkriegen.
Ich blickte entgeistert von einem zum anderen, immer wieder zwischen den beiden hin und her. Mir wollte partout nichts Sinnvolles einfallen, was ich hätte sagen können. Was wäre die richtige Reaktion in dieser Situation? Ich hatte keine Ahnung.
Das Letzte, was mir auffiel, bevor ich mich hastig umdrehte und in Panik wegrannte, war das entsetzte, schockierte und hasserfüllte Gesicht von Tatjana.
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»Das ist ja alles wirklich spannend und interessant, aber ich hab echt was Besseres zu tun, als mir die tragische Lebensgeschichte eines gescheiterten Hausmädchens anzuhören.«
Kalle hatte die Nase voll. Draußen begann es hell zu werden und er hatte vor, das Tageslicht zu nutzen, um zu finden, was er suchte.
Es störte ihn wenig, dass die junge Frau ihn mit fest zusammengepressten Lippen und einer steilen Zornesfalte zwischen den Augen ansah. Sehr viel schlechter konnte er mit dem Blick des Doktors umgehen. Am liebsten hätte er sich vor diesen prüfenden Augen, die ihn in kleinste Einzelteile zu zerlegen schienen, weggedreht. Aber irgendwie war er wie festgenagelt.
›Du meinst wohl eher aufgespießt - so wie eine hässliche Motte in einem Schaukasten. Er analysiert dich, das ist dir doch klar, oder?‹
»Darf ich fragen, was genau Sie in dieser Villa suchen oder zu finden hoffen?«, unterbrach die ruhig und sachlich gestellte Frage des Psychologen seine beginnende innere Zwiesprache. Nun bewegte er sich wieder auf gewohntem Terrain.
»Na was wohl? Kohle natürlich, Schmuck nehm ich allerdings auch - kann man ja zu Geld machen, nicht wahr?«
Er sah die beiden prüfend an: »Ich hab zwar erst eine ungefähre Vorstellung, was die Kleine für ein Motiv hat, hier zu sein«, er schüttelte verwundert den Kopf, »aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was du hier finden willst.« Er hatte sich in Richtung des Psychologen umgewand und sah ihn einen Moment lang prüfend an.
»Es ist mir zwar schleierhaft, Doc, aber ehrlich gesagt, ist es mir auch schnurzpiepegal - solange ihr zwei mich in Ruhe meine … Arbeit … machen lasst.«
Er grinste die beiden offen an.
»Zur Polizei werdet ihr ja wohl kaum gehen können, schließlich sitzen wir ja im selben Boot. Hä hä, oder in derselben Villa.«
Er schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel und stand auf. »Nachdem die Fronten nun geklärt sind, gehe wir am besten alle unserer Wege. Ihr könnt machen, was ihr wollt, solange ihr mir nicht in die Quere kommt.«
Hastig verließ er den Raum und löschte beim Hinausgehen die Beleuchtung aus. Inzwischen hatte die Morgendämmerung eingesetzt, und wenn man den Rolladen wieder hochzog, würde es hell genug in dem Raum sein. In wenigen Minuten würde die Sonne aufgehen. Direkt hinter der Tür wandte er sich nach rechts …und blieb mit dem Rücken zur Wand stehen. Er war einfach zu neugierig, wie die beiden reagieren würden und was sie für Pläne hatten.
›Der Lauscher an der Wand, hört …‹, begann seine innere Stimme. Ach sei doch ruhig, dachte er. Darum geht es doch gar nicht.
Da er die Tür nicht ganz geschlossen hatte, konnte er die Stimmen von drinnen noch immer gut verstehen.
»Ich kann Sie besser verstehen, als Sie sich vermutlich vorstellen können«, sagte der Doc gerade, »was es um so wichtiger macht, dass Sie die Geschichte nun zu Ende erzählen. Danach werden wir sehen, wie ich Ihnen helfen kann.«
Kalle konnte sich vorstellen, wie die Kleine ihn nun dankbar anlächelte oder vielleicht sogar anschmachtete.
Er spitzte die Ohren, als sie erneut begann, ihre Erinnerungen wiederzugeben.
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Ich weiß nicht, wie ich die nächsten beiden Tage überstand. Da ich alle Beweise, die für den Übergriff vorhanden gewesen waren, gründlich weggeduscht hatte, stand Aussage gegen Aussage und ich hatte keine Vorstellung, wie ich die Polizei von der Wahrheit meiner Behauptung überzeugen sollte.
Das Verhalten von