Dieter Aurass

Verborgen


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hatte vergessen, dass er es gewesen war, der sie groß herausgebracht hatte. Ihm alleine hatte sie es zu verdanken, dass sie zu den am besten verdienenden Supermodels gehörte und sich all das leisten konnte, wovon er eigentlich ebenfalls vorgehabt hatte, zu profitieren.

      Und nun lag er in der beschissensten Jahreszeit in dieser Sauna, die sich als Stadt ausgab, wälzte sich um halb elf Uhr nachts schwitzend in seinem Bett herum und fand keinen Schlaf. Von nebenan hörte er überdeutlich das Summen der Klimaanlage und das Schnarchen seiner Frau Tanja, die nach dem Genuss mindestens einer halben Flasche Scotch so tief schlief, dass nicht einmal eine Bombe sie hätte wecken können.

      Er hasste sie genauso wie seinen Aufenthalt hier in den USA, aber die geschäftlichen Verpflichtungen ließen ihm keine andere Wahl, als ein paar Mal im Jahr für ein bis zwei Wochen seine Tochter hier zu besuchen und mit ihr die weiteren Pläne abzusprechen, Vertragsverhandlungen zu führen und den blöden Papierkram zu erledigen. Seine Frau Tanja lebte schon seit einigen Jahren ihr eigenes Leben und er ließ sie gewähren.

      Soll sie sich doch zu Tode saufen oder ficken, mir ist es egal.

      Er überlegte einen Moment lang, ob er aufstehen und seinen Laptop anwerfen sollte, um die neuesten Nachrichten und Aktienkurse zu kontrollieren, entschied sich aber dagegen. Zu Hause war es jetzt 03:30 Uhr und er würde schon lange tief und fest schlafen. Um den Jetlag zu bekämpfen, sollte er auch hier langsam Schlaf finden, sonst würde er noch länger tagsüber schlaff und müde sein. Das konnte er sich angesichts der bevorstehenden Vertragsverhandlungen nicht leisten.

      Kapitel 5 - Überraschung!

      Er wusste nicht, wie er auf das Geräusch reagieren sollte, das er soeben gehört hatte. Auf jeden Fall konnte es nur ein Fehler sein, hier im begehbaren Kleiderschrank des Schlafzimmers zu bleiben. Nun war Beweglichkeit und eine irgendwie geartete Reaktion gefragt. Er war sich sicher, dass das Geräusch aus dem Untergeschoss gekommen war. Also verließ er eilig den Schrank und schlich auf Socken aus dem Schlafzimmer und zur ausladenden und in einem Halbkreis geschwungenen Treppe. In der Villa war es stockdunkel und von draußen drang lediglich ein diffuser Schimmer herein, der vermutlich von dem auf die Wolkendecke scheinenden Halbmond verursacht wurde. Er tastete sich mehr die Treppenstufen auf Marmor hinunter, als dass er sie hätte erkennen können. Ihm kam nun zugute, dass er ohne Schuhe unterwegs war. Seine bestrumpften Füße verursachten auf diesem Untergrund kein Geräusch. Zudem konnte er weitaus besser die Stufenkanten erfühlen.

      Er hatte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke nach unten zurückgelegt, als er ein Lachen hörte. In dem Bestreben, ganz leise zu sein, war auch sein Gehör aufs Äußerste geschärft und das Geräusch erschien ihm unnatürlich laut. Noch während die Stimme, die vermutlich einer Frau gehörte, etwas rief, dass er nur in Bruchstücken verstand, bewegte er sich weiter die Treppe hinunter und orientierte sich an den Geräuschen. Er verstand nur Wortfetzen wie »scheiß Vase«, »kaputtmachen« und »finden«. Aber es reichte aus, um sich in die richtige Richtung zu bewegen und er war sich sicher, dass die Stimme aus dem Wohnzimmer kam. Seine Augen hatten sich zumindest so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass er den Umriss des bogenförmigen Zugangs zu diesem Raum erkannte. Bevor er sich allerdings dem Raum weiter näherte, zog er seine Waffe und die mitgebrachte Meg-Lite Taschenlampe hervor und betrat dann, beide Hände mit seinen Mitbringseln nach vorne gestreckt vorsichtig den Raum.

      Je näher er dem Durchgang zum Wohnzimmer kam, um so deutlicher vernahm er ein leises Gemurmel der mutmaßlichen Frau. In dem sicheren Glauben, dass er mit der Dunkelheit im Rücken aus dem Raum heraus nicht zu sehen sein würde, betrat er, mit ausgestreckten Armen voran, das Wohnzimmer. Die Waffe hielt er ein wenig verkrampft in der rechten, die noch ausgeschaltete Meg-Lite in der linken Hand.

      Es mochte ein unbewusstes Räuspern oder sein hektisches Atmen gewesen sein, aber auf jeden Fall musste er sich verraten haben, denn kaum hatte er das Zimmer betreten, als eine in seine Richtung gehaltene Taschenlampe aufleuchtet, ihm direkt in die Augen schien und ihn sofort blendete.

      In dem reflexartigen Versuch, seine eigene Lampe anzuknipsen, vertat er sich in der Aufregung und anstatt den Schalter der Meg-Lite zu betätigen … zog er den Abzug der Waffe durch. Sein Fehler wurde ihm einen Bruchteil einer Sekunde zu spät bewusst und er konnte die Krümmung des Zeigefingers nicht mehr bremsen.

      Mit einer Mischung aus Schock und Erleichterung registrierte er mit einer gewissen Verspätung das kalte Klicken, als der Hammer der Pistole ins Leere schlug … er hatte vergessen, die Waffe durchzuladen.

      Noch immer geblendet nahm er die Hand mit der Waffe schützend vor die Augen und knipste nun seine Taschenlampe an.

      »Wer sind Sie?«, erklang seine Frage fast zeitgleich mit der gleichen, von der Frau gestellten Frage.

      »Sie zuerst!«

      Das gibt’s doch gar nicht, dachte er erschrocken. Wiederum hatte die Frau die gleiche Aufforderung wie er fast zeitgleich ausgestoßen. Seine Gedanken überschlugen sich in dem Bestreben, etwas Sinnvolles zu einer, wenn sie so fortgeführt würde, zum Scheitern verurteilten Konversation beizutragen. Was er auf die Schnelle hatte erkennen können, war, dass es sich um eine noch recht junge, schlanke Frau zu handeln schien, die in einer Hand die Taschenlampe hielt, aber die andere Hand, wie abwehrend mit der geöffneten Handfläche nach vorne hielt.

      Er entschied sich für einen drastischen Schritt. Nachdem er die Taschenlampe ausgeschaltet hatte, steckte er die sowieso unnütze Waffe in den Hosenbund. Die Lampe landete in der dafür vorgesehenen Halterung am Gürtel und er streckte beide Arme mit den Handflächen nach vorne zur Seite von sich.

      »Ich gehe davon aus«, begann er ganz langsam und bedächtig, »dass Sie, Gnädigste, sich in gleichem Maße unberechtigt in diesem Anwesen aufhalten, wie ich. Deshalb scheinen wir zumindest …«, er machte eine kleine Sprechpause, » … na sagen wir mal … ähnliche Ziele zu verfolgen.«

      Er kniff die Augen gegen die blendende Helligkeit ihrer Taschenlampe zusammen. »Würde es Ihnen viel ausmachen, mir mit ihrem Scheinwerfer nicht direkt in die Augen zu leuchten? Sie sehen ja, dass ich meine Waffe weggesteckt habe.« Er zuckte wie entschuldigend mit den Schultern. »Ich denke, unbewusst habe ich die Waffe sowieso nie wirklich einsetzen wollen, sonst hätte ich nicht vergessen, sie durchzuladen.«

      Sicher konnte er nicht sein, aber der kurze Augenblick, in dem er die junge Frau gesehen hatte, war ausreichend gewesen, ihm einen Eindruck zu vermitteln … und der war das Gefühl von Harmlosigkeit gewesen. Unter anderen Umständen hätte er sie als attraktiv und interessant eingeschätzt. Der erste Eindruck hatte ihm eine etwa einsfünfundsiebzig große, schlanke, aber dennoch gut proportionierte, Frau von etwa Ende zwanzig, maximal dreißig Jahren gezeigt. Die Haarfarbe hatte er aufgrund der schwarzen Mütze nicht erkennen können und für weitere Einzelheiten war die Zeit zu kurz gewesen.

      Der Lichtstrahl ihrer Taschenlampe verließ sein Gesicht und wanderte langsam an seinem Körper entlang nach unten, bis er schließlich bei seinen Füßen angekommen war.

      »Ihr Anzug verrät Sie nicht gerade als Einbrecher«, stellte sie mit einem seltsamen Unterton fest. »Aber irgendwie bin ich mir trotzdem ziemlich sicher, dass sie sich nicht wirklich befugt hier aufhalten.«

      Was für ein Wunder, dachte Benjamin, schließlich bin ich ebenfalls mit einer Taschenlampe bewaffnet und schleiche hier im Dunkeln herum. Gerade als ihm der Gedanke kam, was dagegensprach, dass er vielleicht ja der bewaffnete Bewohner des Hauses sein könnte, der einen Einbrecher überraschen wollte, offenbarte sie ihm: »Und dass Sie nicht hier im Haus wohnen, weiß ich sicher, denn die Bewohner kenne ich sehr gut. Also, wer sind Sie und was wollen Sie hier?«

      Nachdem die Einschränkung seiner Sehfähigkeit durch das Blenden mit ihre Lampe nachgelassen und er sich wieder an die vorherrschende Dunkelheit gewöhnt hatte, konnte er im Licht der auf den Boden zwischen ihnen gerichteten Taschenlampe ihr Gesicht relativ gut erkennen. Er sah die zusammengezogenen Augenbrauen und den neugierigen Ausdruck, der an ihrem Blick und der Kopfhaltung zu erkennen war.

      »Da mir Ihr Erscheinungsbild signalisiert,