Katja Pelzer

Wie schaffen das die Schwäne?


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völlig überhöhten Erwartungen. Mittlerweile mischt sich Bewunderung in ihre Erinnerungen.

      Und lächelnd denkt Hannah jetzt an ihren neuen Chef, der schon fast neunzig Jahre alt ist, seinen Familienbetrieb aber nicht so recht aus den Händen geben kann, wenn sein Sohn auch schon lange mit in der Firma ist und selbst fast das Rentenalter erreicht hat.

      Kürzlich hat er sie gefragt – „Können Sie noch Schreibmaschine?“.

      „Ja, kann ich“, hat Hannah geantwortet. „Ich habe als Übersetzerin gearbeitet, bevor ich geheiratet habe. Da habe ich sehr schnell auf meiner Gabriele vor mich hin getippt.“

      Ihr Chef hat sich gefreut und genickt.

      Manchmal schickt er Hannah jetzt Bänder, die sie abtippen muss. Ganz schön altmodisch. Aber Hannah tut diese Entschleunigung gut. Sie guckt nicht gerne ständig auf leuchtende Bildschirme. Das bekommt den Augen nicht. Sie ist ihrem Chef für diese Rückkehr zu alten Medien regelrecht dankbar.

      Am Morgen der Abfahrt nach Bayreuth ist Hannah die einzige Mutter vor der Schule. Die anderen Mütter haben ihre Kinder mit ihren Rucksäcken nur abgesetzt und sind dann wieder ab gedüst.

      Hannah aber hat eine Mission. „Mama, du bist echt peinlich“, sagt Lena. „Immer machst du dir Sorgen.“ Sie umranken Lena wie Efeu und beengen sie, das merkt sie, kann es aber nicht so recht in Worte fassen.

      „Alle einsteigen, gleich geht’s los!“, ruft Lenas Mathelehrer. „Herrgott, was sind denn das alles für Busse?“, fragt Hannah rhetorisch. Sieben weitere Busse warten ebenfalls auf ihre kostbare Fracht. Die Polizei ist auch schon da. Aber statt den Bus für Lenas Klasse, der zehn d zu inspizieren, haben sich die Beamten den Bus der acht d vorgenommen.

      „Guten Tag“, sagt Hannah zu einem der Beamten, der gerade wieder ins Auto steigen will, „Das ist der falsche Bus.“ Verständnislos schaut der Mann sie an. „Ich hatte sie angerufen, aber für diesen Bus.“ stellt Hannah richtig und zeigt auf den Reisebus, der für Lenas Klasse parat steht.

      Das wäre ja noch mal schöner. Von den anderen Eltern hat sich schließlich niemand gekümmert. Ihnen scheint es egal zu sein, in welcher Zeitbombe ihre Sprösslinge durch die Weltgeschichte fahren.

      Unterm Strich ist mit dem Bus der zehn d jedenfalls alles in bester Ordnung wird Hannah wenig später versichert.

      Auch der Fahrer macht einen ausgeschlafenen Eindruck. Er grinst Hannah an und sagt:

      „Für Busfahrten sind Helikoptermütter doch total überqualifiziert.“

      Hannah schüttelt das ab, wie ein nasser Hund. Aber so richtig spurlos geht der Spruch nicht an ihr vorbei.

      Philipp

      „Wir haben kein Mehl mehr! Gehst du mal kurz runter zur Nachbarin im Parterre rechts und fragst, ob sie welches hat“, sagt Hannah zu Philipp. „Ich will Pfannkuchen machen.“

      Eines von Gilas Rezepten, die Hannah aus dem Effeff beherrscht. Ihre Mutter hat es ihr früh beigebracht und es hat Hannah schon durch die Studentenzeit gebracht.

      Die Nachbarin ist schon viele Jahre Witwe. Hannah erwähnt sie in letzter Zeit häufiger. Sie schwärmt regelrecht von ihr. „Sie ist immer so freundlich, dabei hat sie schon so viel durchgemacht. Sie hat ihre Tochter fast allein großgezogen, weil ihr Mann so früh gestorben ist. Und sie ist noch so attraktiv, dabei ist sie schon über fünfzig.“

      Philipp nervt dieser Botengang, aber er läuft gehorsam nach unten, klingelt und wartet.

      Eine ganze Weile tut sich nichts und er will gerade wieder gehen, da öffnet sich die Tür.

      Im Rahmen steht die schönste Frau, die er je gesehen hat und es verschlägt ihm die Sprache. Es ist, als würde es heller im Flur. Was natürlich auch daran liegen mag, dass Licht aus der Wohnung der Witwe ins Treppenhaus scheint. Aber das sieht Philipp nicht. Auch sämtliche Geräusche sind ausgeblendet, als wären seine Ohren mit Ohropax verstopft.

      Das kann doch unmöglich die Nachbarin sein, denkt Philipp. Diese Frau ist höchstens Anfang dreißig. Philipp starrt sie an. Und ist sich dabei selbst ein bisschen peinlich.

      Aber sie scheint das nicht zu bemerken, denn sie lächelt erfreut und sagt „Guten Abend, Herr Schwarz. Sie wollen sicher zu meiner Mutter. Die ist im Kino. Ich wohne gerade für ein paar Wochen hier. Ich wechsele meine Stelle und habe meine Wohnung schon aufgegeben.“ Es sprudelt alles wie selbstverständlich von diesen kirschroten, saftigen Lippen und Philipp kann kaum den Sinn ihrer Worte verstehen, so gebannt ist er von der Ausstrahlung der jungen Frau.

      Ach ja, klar, die Nachbarin hat eine Tochter, aber hat er sie jemals gesehen? Sie kennt ihn offensichtlich. Aber kennt er sie? Er müsste sich doch erinnern.

      Dann fällt ihm das Mehl wieder ein. Er räuspert sich und sagt mit rauer fremder Stimme „Haben Sie wohl etwas Mehl für uns. Wir haben keins mehr.“

      „Bestimmt“, sie lacht. „Ich schaue gleich mal nach. Wollen Sie kurz hereinkommen?“

      Philipp stellt sich gehorsam und verlegen in den Flur.

      Er lässt den Blick wandern.

      Raufaser Tapete.

      Naturfarbener Sisalteppich.

      Große weiße Deckenlampe. Schwedisches Design, tippt er. Auf einer dunkelroten Kommode stehen Bilderrahmen mit Schnappschüssen. Ein unscheinbares Mädchen mit Brille schaut ihn aus den meisten Fotos an. Es hat entfernte Ähnlichkeit mit der jungen Frau, die ihn gerade hereingebeten hat.

      Und dann erinnert er sich.

      Du meine Güte! Sie hat seine Kinder babygesittet. Als junges Ding, sie war damals kaum älter als Patrick jetzt. Eine kleine blasse Brillenschlange. Wie hieß sie doch gleich?

      Da steht sie plötzlich wieder leibhaftig vor ihm und hält ihm das Mehl entgegen. Sie lächelt ihn voller Wärme an. Sie hat sehr gerade weiße Zähne. Ihre Augen, anders als auf den Bildern jetzt ohne Brille, leuchten.

      „Sie haben mich nicht wiedererkannt, oder?“ Sie schaut verschmitzt.

      „Ehrlich gesagt, nein“, sagt Philipp.

      „Ich werte das jetzt einfach mal als Kompliment“, sagt die junge Frau und lacht.

      Er lacht auch und wieder klingt es rau und fremd in seinen Ohren.

      „Dann gutes Gelingen für die Pfannkuchen und viele Grüße an die Kinder und an Ihre Frau“, sagt sie noch. Und fügt hinzu „Von Chiara, falls sie meinen Namen auch vergessen haben.“ Sie lacht.

      Da steht er mit dem Mehl schon wieder vor der Tür, fühlt sich wie sechzehn Jahre alt, höchstens und total albern.

      „Vielen Dank“, sagt er. „Und schöne Grüße an Ihre Mutter.“

      Die Tür schließt sich hinter ihm. Kurz bleibt er stehen, vor der geschlossenen Tür. Dann steigt er die Treppe hoch zur Wohnung.

      Und er ist verwirrt, sehr verwirrt.

      Hannah

      Hannahs Herz schlägt bis zum Hals.

      Sie dreht sich immer wieder nach allen Seiten um.

      Aber keiner guckt. Niemand scheint sie überhaupt zu bemerken.

      Sie greift nach einer Mannerwaffel und steckt sie in die große Tasche ihres weiten roten Rocks.

      Dann schlendert sie betont langsam zur Kühltheke und legt wie in Zeitlupe Butter, Käse und Milch in den Einkaufswagen. Sie schiebt den Wagen durch fast alle Gänge. Dabei lässt sie sich viel mehr Zeit als nötig. Sie studiert förmlich die Etiketten von Olivenöl, Pasta und Knäckebrot – dreht und wendet die Packungen. Die Nudeln und das Olivenöl legt sie in den Einkaufswagen, das Knäckebrot zurück ins Regal.

      Das dauert eine