T. R. Schiemann

Am Ende fügt sich alles


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      „Na ja, so verunsichert.“

      „Ich habe Sie überrascht.“

      „Aber das ist es nicht.“

      „Nein?“

      Sie sah mich direkt an und ließ sich Zeit zu antworten. Ganz so, als hinge von ihrem nächsten Satz der weitere Verlauf unseres Gespräches ab.

      „Es ist das Haus, der Anlass. Vielleicht auch die Aussicht“, fügte sie hinzu und deutete mit einer theatralischen Armbewegung auf die großen Fenster, die den Blick auf eine abschüssige Grünfläche und weiter hinten auf die Elbe freigaben.

      „Es ist tatsächlich beeindruckend“, sagte ich.

      „Es ist fast schon …", sie suchte nach Worten.

      „Pervers?“, half ich nach, wobei mir dieser Begriff im Augenblick wirklich zuzutreffen schien.

      „Soweit würde ich nicht gehen.“ Sie drehte mir den Rücken zu, schaute hinaus und kaute auf dem Rest Kohlrabi herum. Ihr orangefarbener Rock war sehr kurz. Die weißen, halbhohen Stiefel nicht unbedingt geschmackvoll. Wieso war diese Frau wie für eine Discoparty gekleidet? Wieso erschien sie so auf einer Trauerfeier?

      Sie sagte: „Es ist eher so, als wäre diese Aussicht, die riesige Villa erdacht.“

      „Erdacht?“

      „Ja, wie eine Vorstellung der Wirklichkeit, verstehen Sie?“

      „Ein Bühnenbild?“

      „Ja, genau, ja. Sehen Sie, da fährt auch noch ein Schiff vorbei!“ Sie wandte sich mir wieder zu und grinste: „Das ist wahnsinnig komisch, Entschuldigung.“

      „Komisch?“, sagte ich etwas dümmlich. Es wurde zur Gewohnheit.

      „Tut mir leid.“ Sie versuchte ernst zu klingen, aber das misslang ihr. Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte.

      Sie zeigte mit dem Finger auf mich, dann auf das meterlange Buffet: „Das ist ..., das ist …", stammelte sie.

      In mir stieg langsam die Wut hoch: „Wer bist du überhaupt?“, fragte ich etwas zu laut.

      Sie musterte mich mit provozierender Direktheit.

      „Du siehst aus ... du siehst aus wie eine, eine Bardame!“

      Jetzt lachte sie. Ich befürchtete, die anderen Gäste könnten von diesem unangemessenen Heiterkeitsausbruch etwas mitkriegen.

      „Eine Bardame!“, sagte sie in gespielter Empörung. „Also, das ist wirklich eine schlimme Bezeichnung!“ Sie kam auf mich zu und legte mir die Hand auf den Arm.

      „Eine Bardame“, sagte sie noch einmal kopfschüttelnd.

      In meine Wut mischte sich jetzt ein wenig Unsicherheit. Irgendwie hatte ich das Gefühl, mich lächerlich gemacht zu haben.

      „Jetzt ist aber genug!“, sagte ich, und es klang wenig überzeugend.

      „Es tut mir wirklich leid“, sagte sie, „mein Benehmen ist unentschuldbar.“

      „So schlimm ist es auch wieder nicht.“

      „Doch, doch, du hast völlig Recht. Ich sehe tatsächlich so aus, als käme ich direkt vom Straßenstrich.“ Sie senkte den Kopf ein wenig. „Ich schäme mich.“

      „Das nehme ich dir nicht ab“, entgegnete ich noch etwas ungehalten.

      „Na ja, schämen vielleicht nicht, aber unangenehm ist mir das Ganze doch.“

      „Dann sag mir endlich, wer du bist und warum du so herumläufst. In der Reihenfolge. Vorher sagst du mir aber, was so lustig war.“

      „Wenn du es selbst nicht merkst, kann ich es dir auch nicht erklären.“

      „Versuch es!“

      „Nein!“ Das klang bestimmt.

      „Dann eben nicht.“

      „Also, ich bin die Tochter des Portiers.“

      Mein Ärger verflüchtigte sich vollends: „Des Portiers?“

      Sie blickte mich aus allernächster Nähe neugierig an: „Ja, des Mannes, der an so einem Empfangstresen unten am Eingang sitzt.“

      „Wirklich? Das ist ... sicher, das ist doch Herr …"

      Ich hatte keine Ahnung wie der Mann hieß.

      Sie stieß mich an, grinste. „Keine Angst, man kann ja nicht jeden kennen.“

      „Ich habe ehrlich gesagt noch nie so darauf geachtet, und außerdem komme ich selten einmal vorbei“, sagte ich.

      Sie lächelte: „Ehrlich? Also, ich heiße Claudia Herbst und erscheine in diesem Aufzug, weil mein lieber Vater mich ohne Ankündigung abgeholt und hierher verfrachtet hat. Das hat er übrigens so an sich.“

      „Was?“

      „Den Wunsch, mich zu demütigen.“

      Ich schlug vor, ans Wasser zu gehen. Wir verdrückten uns durch den hinteren Terrasseneingang in den Garten und gingen einen mit hellem Sandstein gepflasterten Weg hinab zur Elbe. Es war ein windiger, aber erstaunlich warmer Herbsttag. Wolken zogen schnell und konstant über den blassen Himmel Richtung Dänemark. Wir schwiegen, was nicht weiter störte. Schließlich gelangten wir an eine kleine künstliche Bucht und einen Steg, an dem meine Jolle vertäut war.

      „Donnerwetter“, sagte Claudia.

      „Ja, nicht?“

      „Siehst du, das meinte ich vorhin, das ist alles so klotzig. Privatanleger. Parkanlage vor der Villa. Segelyacht.“

      „Segelyacht ist wohl übertrieben!“

      „Es ist aber dennoch ein schönes Bötchen.“

      „Das ist es in der Tat“, sagte ich und hatte weiterhin den Eindruck, dass sie mit mir spielte.

      Wir schauten eine Weile auf die Elbe.

      „Dort drüben ist Finkenwerder“, sagte ich.

      Sie drehte ihren Kopf langsam in meine Richtung, kniff die Augen zusammen, runzelte die Stirn, als hätte sie sich verhört.

      „Lass den Unsinn“, sagte sie.

      „Unsinn?“

      Sie ging nicht darauf ein. Stattdessen sagte sie: „Jetzt erzähle mir mal lieber, warum die ganze Feier hier?“

      „Ich verstehe nicht ganz.“

      „Soweit ich weiß, ist dein Großvater doch schon vor ein paar Wochen in Mexiko gestorben.“

      „Vor drei Wochen“, bestätigte ich.

      „Warum also die Veranstaltung hier?“

      „Die Familie wollte es so.“ Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich müsste mich rechtfertigen.

      „Was weiter?“, wollte sie wissen.

      „Also, die Beisetzung im Familiengrab in Ohlsdorf.“

      „Habt ihr die Leiche etwa tiefgefroren herschippern lassen, oder wie?“

      Erstaunt über so viel Unverfrorenheit, blieben mir einfach die Worte weg.

      Sie sah mich neugierig an, fast fordernd, und ich überlegte kurz, ob ich das Gespräch nicht einfach abbrechen sollte, antwortete jedoch.

      „Natürlich nicht. Großvater wurde in Mexiko eingeäschert. Wir haben die Urne hier beigesetzt, und übrigens sind das wohl Privatangelegenheiten.“

      „Privat kommt mir das alles nicht gerade vor.“

      Ich spürte wieder Ärger in mir hochsteigen, und auch sie schien mir etwas aufgebracht.

      „Hör mal, dies ist eine Gedenkfeier