Kathrin Noreikat

Lass uns verloren gehen


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      Es war ungewöhnlich seine Lieblingsautorin zum zweiten Mal persönlich zu treffen. Es war nicht nur, dass er ihre Kreativität und Vorstellungskraft bewunderte, sondern er mochte ihre ganze Art.

      Das war eben wie ein Verhör vor Gericht, dachte Elinborg verärgert.

      Sie fuhr die Uferstraße am Rursee entlang. Der See lag still und ruhig zwischen dem Wald eingebettet.

      War Bernd etwa eifersüchtig, weil sie am Samstagnachmittag eine Verabredung hatte?

      Herr Berringer war doch nur ein Fan, oder? Aber wieso war sie dann so nervös?

      Elin blickte rasch auf die Uhr am Armaturenbrett. Sie hupte. Heute waren mal wieder nur Schnarchnasen unterwegs. So ein Mist, fluchte sie. Hätte Bernd sie bloß nicht mit seinen Fragen gelöchert, schimpfte sie. Jetzt würde sie zu spät kommen.

      Ungeduldig schaute Lorenz auf die Uhr. 15:08 Uhr. Wo blieb sie nur? Würde er womöglich versetzt werden? Er würde noch eine Viertelstunde warten und dann nach Hause gehen. In dem Moment sah er wie Elinborg Steinhausen auf ihn zu hastete.

      „Entschuldigen sie bitte die Verspätung, Herr Berringer“, sagte sie leicht außer Atem.

      Lorenz mochte ihr farbenfrohes Kleid mit der passenden leichten Strickjacke und beurteilte: „Das Kleid steht Ihnen ausgezeichnet.“

      „Danke schön. Sie sehen in ihrem dunkelblauen Poloshirt aber auch sehr schick aus“, entgegnete sie prompt. Den gestreiften Pullover hatte er locker um die Schultern gelegt und die Ärmel vorne miteinander verknotet.

      „Zum Glück scheint heute die Sonne, denn ich habe für uns einen Tisch auf der Terrasse reservieren lassen“, erklärte das Männermodel.

      Das Waldcafé war ein beliebtes Ausflugsziel am Stadtrand, daher war es oft gut besucht.

      Der reservierte Tisch war unter einer großen Kastanie. Sie bestellten zwei Stück Erdbeerkuchen und zwei Tassen Cappuccino.

      Lorenz strahlte die Autorin an: „Es ist schön, Sie wiederzusehen. Ich habe so viele Fragen.“

      „Ja, wirklich? Dann fragen Sie. Ich werde so offen wie möglich antworten.“

      „Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?“

      Die Autorin erwiderte: „Es war schon als Kind mein Traum einen Krimi im Stil von Agatha Christie zu schreiben.“

      Der Kellner servierte den Erdbeerkuchen.

      „Wo bleiben denn die Getränke?“, hakte Lorenz beim Kellner nach.

      „Heute ist viel los. Die Cappuccini kommen gleich“, erwiderte der Kellner mit einer entschuldigenden Geste und eilte davon.

      „Also so was“, grummelte Lorenz.

      „Das ist doch nicht schlimm, Herr Berringer.“

      Normalerweise aß das Männermodel nur selten Kuchen. Doch heute machte Lorenz eine Ausnahme.

      „Woher bekommen Sie Ihre Ideen für die Handlungen?“, wollte er wissen und stach mit der Gabel in seinen Kuchen.

      Wie oft hatte sie diese Frage schon gehört?, fragte sich Elin. Unzählige Male. Sie war so klischeehaft und dennoch berechtigt. Allerdings kamen ihr bei diesem Mann die üblichen Klischee-belasteten Fragen bei Herrn Berringer gar nicht oberflächlich und aufdringlich vor.

      „Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal lese ich eine Schlagzeile in einer Zeitung, oder ich sitze im Kino. Ich bin auch mehrmals im Jahr in Berlin. Die Stadt inspiriert mich natürlich auch, denn schließlich ermittelt Kommissar Krassek dort“, berichtete die Autorin.

      Endlich brachte der Kellner die zwei Tassen Cappuccino. „Bitte entschuldigen Sie nochmal die Verspätung.“

      „Schon gut“, sagte Elinborg zum Kellner, der gleich wieder hastig davoneilte.

      Lorenz trank einen Schluck aus seiner Tasse und fragte: „Was machen Sie, wenn Sie nicht an einem neuen Roman schreiben?“

      Die Autorin riss das Tütchen mit dem Zucker auf und ließ ihn in ihren Cappuccino rieseln, sie rührte um und trank. Dann antwortete sie: „Ich habe einen Garten, in dem es ist immer etwas zu tun oder ich gehe in der Eifel wandern.“

      Der Wald roch schon nach Sommer. Nachdem sie im Café bezahlt hatten, lud Lorenz sie noch zu einem Spaziergang ein. Auf dem Waldweg waren einige Spaziergänger, Jogger und Hundebesitzer unterwegs. Lorenz und Elinborg unterhielten sich im Gehen. Manchmal schwiegen sie, doch sie empfanden es keineswegs als unangenehm.

      „Wissen sie: Ich bewundere ihr Können. Ihre Romane sind immer so durchdacht und raffiniert konstruiert. Das ist einfach großartig. Ich könnte keine zwei Seiten schreiben.“

      Dies hatte die Autorin ebenfalls schon oft gehört, doch bei diesem Mann hörte es sich überzeugter und persönlicher an.

      Er sprach weiter: „Ich habe mir eine Schriftstellerin immer ganz anders vorgestellt. Irgendwie hochnäsiger. Doch Sie sind bodenständig. Ich mag Sie und, dass wir uns so gut verstehen, hätte ich auch nicht vermutet.“

      Elin blieb abrupt stehen: „Wissen Sie eigentlich wie alt ich bin? Sie haben vielleicht eine Vorstellung von mir, aber Sie kennen mich doch überhaupt nicht.“

      Jetzt blieb auch Lorenz Berringer stehen und antwortete selbstsicher: „Dann lerne ich Sie eben besser kennen.“

      Die Autorin machte große Augen. Kennenlernen? Wie war das denn gemeint? Sie fühlte sich in seiner Gesellschaft wohl, das musste sie schon zugeben. Nichtsdestotrotz erwiderte sie: „Hören Sie Herr Berringer. Bewunderung ist keine gute Voraussetzung, um sich kennen zu lernen.“

      Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, daher zeigt sie ihm ihren Ringfinger: „Außerdem bin ich verheiratet. Mein Mann Bernd ist Staatsanwalt. Er ist für Wirtschaftskriminalität zuständig.“

      „Ja, das sagten Sie schon einmal“, nuschelte Lorenz.

      Ein bedrücktes Schweigen entstand zwischen ihnen als sie ihren Weg durch den Wald fortsetzten. Nach einigen Minuten sagte Lorenz: „Ich habe mal Jura studiert.“

      Elinborg war überrascht. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass auch sie gar nichts von diesem Mann wusste, obwohl sie das Gefühl hatte ihn schon immer zu kennen.

      „Ach, tatsächlich? Wo studieren Sie? In welchem Semester sind Sie?“

      „Ich habe das Studium vor ein paar Jahren abgebrochen. Eigentlich sollte ich die Kanzlei meines Vaters übernehmen, aber die Gesetzestexte langweilten mich. Das war nichts für mich!“

      „Was machen Sie denn jetzt? Studieren Sie jetzt etwas Anderes?“

      Wie alt war er eigentlich? Um die dreißig?

      „Ich bin Model“, antwortete er.

      Ein Männermodel, wiederholte Elinborg stumm. Kein Wunder, sie hatte durchaus die Blicke der weiblichen Gäste bei der Matinée und auch vorhin im Waldcafé bemerkt.

      Mittlerweile waren Lorenz und Elinborg auf dem Rückweg zum Waldcafé.

      „Wie wird man ein Männermodel?“, fragte Elinborg neugierig. Lorenz begann zu erzählen: „Ich war mit einem Kumpel in Düsseldorf zum Shoppen. Wir gingen gerade die Königsallee entlang, als mich jemand ansprach. Es war ein Scout. Ich bekam einen Vertrag bei einer Düsseldorfer Modelagentur und wurde zu Castings geschickt. Im Laufe der Zeit wurde ich bekannt und erhielt immer mehr Aufträge.“

      „Wie läuft so ein Casting ab?“

      „Bei einem Casting wird eine Vorauswahl aus den Bewerbern getroffen. Anschließend wird diese Auswahl dem Fotografen, Regisseur oder Produzenten vorgeschlagen.

      Bei so einem Casting können durchaus bis zu hundert Bewerber auftauchen. Manchmal muss man lange warten bis man dran kommt. Ich vertreibe mir dann die Wartezeit mit Lesen. Zum Beispiel lese ich ihre Krimis.“

      Die Autorin schmunzelte