Kathrin Noreikat

Lass uns verloren gehen


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der kleinen Sophie nun endlich verurteilt war. Dann zündete er sich eine Zigarette an, lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück.

       Genussvoll zog er an der Zigarette. Gleich würde er in die Abendvorstellung ins Capitol gehen. Dort lief „Metropolis“ von Fritz Lang. Krassek, der polnische Wurzeln hatte, jedoch in Berlin 1887 geboren wurde, liebte die Filmkunst. Wöchentlich ging er ins Lichtspielhaus, da die Eintrittspreise bezahlbar waren und die Wochenschau lieferte vor dem Hauptfilm wichtige Informationen. Er freute sich auf den Abend und blies den Rauch in kleinen Wölkchen hinaus. Das Telefon läutete schrill.

      „Kommissar Karol Krassek“, meldete er sich mürrisch. In diesem Moment wusste er bereits, dass sein Vorhaben ins Lichtspielhaus gestorben war.

       Kurz darauf fuhr er mit dem Automobil durch das abendliche Berlin. Je näher er dem Potsdamer Platz kam, umso mehr wurde die Nacht durch die großen Leuchtreklametafeln der Bars, Nachtclubs und Tanzcafés zum Tage. Er hielt vor dem Nachtclub Papillon de Nuit.

       Im Inneren des Clubs herrschte eine ausgelassene Stimmung. Obgleich der Krieg schon einige Jahre her war, spürte Krassek sofort die Gier nach Leben, den Hunger nach Vergnügen. Das fanden die Menschen hier: Musik, Tanz, Alkohol, Zigaretten, Glücksspiel, Frauen, die mit ihren Reizen kokettierten.

       An den kleinen runden Tischen saßen sie, tranken, rauchten, lachten. Musiker auf einer Bühne spielten eine lebhafte Melodie. Auf der Tanzfläche bewegten sich die Gäste dazu. Krassek kannte sich mit Filmen aus, aber nicht mit Tanz und Musik. Er vermutete jedoch, dass dieser Tanz, bei dem man mit den Armen ruderte und die Beine zu Xs und Os verdrehte, dieser neue Tanz war: Charleston.

       Die Musik verstummte. Die Tänzer kehrten auf ihre Plätze zurück. Nun trat eine Frau zu den Musikern auf die Bühne. Ihr langes rotblondes Haar hatte sie kunstvoll hochgesteckt, das schwarze Kleid mit den Fransen und den silbernen Ornamenten schmiegte sich an ihre zierliche Figur.

       Die Scheinwerfer strahlten auf diese Frau, die vor einem Mikrophon stand. Die Musik spielte die ersten Takte und die Sängerin begann zu singen. Im Publikum wurde es still, alle lauschten dem Gesang. Auch Karol Krassek hörte gebannt zu, denn ihre Stimme war wie ein Herbststurm, kraftvoll und wild.

       Für die Dauer des Liedes vergaß Krassek, weshalb er in diesen Nachtclub gekommen war. Dann räusperte sich ein Polizist neben ihm: „Herr Kommissar. Endlich sind Sie da. Bitte kommen Sie mit.“

       Krassek folgte dem Polizisten durch einen schweren roten Vorhang neben der Bar, ging ihm einen schmalen Flur bis zu einem Büroraum hinterher. Dort saß der Nachtclubbesitzer Wilhelm Pelz in einem Sessel, den Kopf auf die Brust gesengt. In der rechen Schläfe war ein Loch.

       Krassek trat zu dem toten Mann und stellte fest: „Der Mann ist aus nächster Nähe erschossen worden. Hat niemand den Schuss gehört?“

       Der Polizist zuckte mit den Schultern. „Wir müssen sämtliche Personen, die sich seit heute Abend im Club befinden, befragen“, befahl der Kommissar. „Rufen Sie Verstärkung.“

      Kapitel 8

      Mittlerweile war es Ende April geworden, als die Autorin endlich die nötige Zeit und Ruhe, um die Telefonnummer auf dem Zettel anzurufen. Sie ging mit ihrem Handy in ihr Arbeitszimmer. Oskar schlüpfte gerade noch durch den Türspalt, bevor sie die Tür schloss. Elin setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl, was Oskar zum Anlass nahm auf ihren Schoss zu springen. Sie wählte die Nummer und während es am anderen Ende läutete, streichelte sie den Kater. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal. Sie wollte schon auflegen, als sich endlich jemand meldete.

      „Hallo!“

      „Äh, hallo! Mein Name ist Elinborg Steinhausen.“

      „Frau Steinhausen. Schön, dass sie anrufen. Wie geht es Ihnen?“, hörte sie eine fröhliche Männerstimme.

      „Wer ist denn da?“, fragte sie skeptisch.

      „Lorenz Berringer.“

      Sie lachte: „Ach, dann haben sie mir den Zettel in mein Buch gelegt.“

      „Ja. Das war ich“, bestätigte er. „Wie geht es Ihnen?“

      „Gut. Ich war am Wochenende als Beraterin bei einem Schreibworkshop in Deutschlands Krimihauptstadt“, erzählte Elinborg.

      „Deutschlands Krimihauptstadt? Welche Stadt ist das denn?“

      „Hillesheim. Der Ort ist in der Vulkaneifel.“

      „Aha. Davon habe ich noch nie gehört“, antwortete der Mann.

      Sie schwiegen einen Augenblick bis Lorenz Berringer zu fragen wagte: „Wollen wir uns nicht noch einmal treffen?“

      Elinborg stutzte und schwieg einen Moment.

      „Hallo? Sind Sie noch da?“

      „Ja“, beeilte sie sich zu sagen. „Wir können uns treffen, allerdings habe ich in der nächsten Zeit viele Termine.“

      „Schade.“

      „Nein, warten sie. Ich werde in meinen Kalender nachsehen“, erwiderte Elin. Hektisch blätterte sie ihn Taschenkalender. Schließlich schlug sie vor: „Wie wäre es mit Samstag in einer Woche? Am Nachmittag?“

      „Moment … Ja, das geht bei mir. Kennen Sie das Waldcafé in Aachen?“

      „Ja. 15 Uhr? Passt das?“, fragte Elinborg. Er bejahte und fügte hinzu: „Ich freue mich. Auf Wiedersehen, Frau Steinhausen.“

      „Bis dahin. Auf Wiederhören Herr Berringer.“

       Ich danke dir für alles, was ich mit dir erleben durfte. Schon von Anfang an habe ich mich bei dir wohl gefühlt. Du hast mich jeden einzelnen Augenblick wahrgenommen und bist auf meine Bedürfnisse eingegangen. Deine ganze Art hat es mir erleichtert aus mir heraus zu gehen und einfach nur zu genießen. Ich konnte mich in deine Armen fallen lassen und ich erlebte den Himmel auf Erden. Vielen Dank dafür!

      Kapitel 9

      Bernd saß in dem braunen Ohrensessel im Wohnzimmer. Er las in einer juristischen Fachzeitschrift. Aus dem Radio tönte klassische Musik bis eine weibliche Stimme sagte: „Sie hörten soeben das Vorspiel zum ersten Akt aus der Oper `La Traviata´.“

      Elinborg stand im Türrahmen und verkündete: „Ich werde jetzt nach Aachen fahren.“

      „Wieso? Hast du schon wieder eine Lesung?“

      „Nein, ich werde mich mit Herrn Berringer treffen.“

      „Mit wem?“, hakte Bernd nach.

      „Das ist der junge Mann, mit dem ich nach der Martinée zu Mittag gegessen habe.“

      „Wann war das denn?“

      „Das war vor ein paar Wochen. Als ich die Lesung bei der Buchhandlung Weyhe hatte?“, antwortete Elinborg.

      „Nein. Wo werdet ihr euch treffen?“, fragte ihr Mann.

      „Im Waldcafé.“

      Endlich hob Bernd den Blick von der Zeitschrift. „Der Mann bekommt wohl bei der berühmten Krimiautorin eine Privataudienz, oder wie?“

      Elinborg verdrehte die Augen.

      „Ja, so ungefähr. Ich muss jetzt auch los, sonst komme ich noch zu spät. Am Abend bin ich wieder zurück. Tschüss!“

      „Tschüss!“, sagte Bernd, der sich schon wieder der Zeitschrift zuwendete und gar nicht bemerkte, dass sie ein neues Kleid trug.

      Die Idee, seine Handynummer auf einen Zettel zu schreiben, und diesen in das Leseexemplar der Autorin zu legen, war Lorenz Berringer spontan gekommen.

      Da