draußen.“
Das Wasser war nach der Wärme in der Sauna erfrischend. Lorenz cremte sich in der Umkleidekabine sorgfältig mit Bodylotion ein, dabei entdeckte er an seinem Unterarm einen blauen Fleck. Woher habe ich den denn?, fragte er sich verärgert. Er konnte sich als Model keine blauen Flecken leisten.
Wie jeden Samstag ging Lorenz nach dem Fitnessstudio noch mit seinem Freund in ein italienisches Self-Service-Restaurant. Dort aßen sie Salat mit Blattspinat und Ziegenkäse und eine Pizza mit Fleischbällchen und Peperoni. Die Pizza war so groß wie ein Wagenrad. Conny machte sich gleich mit großem Appetit über sie her.
„Conny, du kannst noch so viel trainieren, deine Figur ändert sich nicht, wenn du danach so eine riesige Pizza isst“, urteilte das Männermodel. Er befürchtete nämlich, dass ihm jeden Moment die Hemdknöpfe seines Freundes entgegenspringen würden.
Mit vollem Mund erwiderte Conny: „Ich gönne mir eben was! Du isst ja immer nur Salat. Bald wirst du ein Kaninchen sein.“ Er musste so sehr über seinen eigenen Witz lachen, dass er sich dabei verschluckte. Lorenz klopfte seinem Freund auf den Rücken. Lachen konnte er über den Witz allerdings nicht.
Kapitel 4
Elinborg Steinhausen zog ein blaues Kleid an. Um ihren Hals wickelte sie locker ein farblich passendes Tuch. Ihr langes haselnussbraunes Haar flocht sie zu einem Zopf. Dann nahm sie ihre Tasche mit ihrem Leseexemplar und ging zur Garage. Der schwarze Audi A8 ihres Mannes parkte neben ihrem roten Renault Twingo. Bernd war erst nach Mitternacht vom Golfclub heimgekommen. Jetzt lag er noch schnarchend und nach Alkohol und Zigaretten riechend im Bett. Sie hatte ihm an der Kaffeemaschine ein Post-it hinterlassen: „Ich bin bei einer Matinée. Bitte rufe mich nicht, wie beim letzten Mal, wieder an. Gegen 15 Uhr werde ich wohl zurück. Elin.“
Eine halbe Stunde vor Beginn der Matineé betrat die Autorin die Buchhandlung Weyhe. Wie viele kleine Buchhandlungen war sie vollgestopft mit Büchern. Ihre Kriminalromane lagen stapelweise an der Kasse aus. Auf einem extra aufgestellten Tischchen war ein Frühstücksbuffet aufgebaut. Herr Weyhe begrüßte sie und erklärte, dass die Matinée aufgrund des warmen Wetters draußen stattfinden würde. Auf der langgezogenen Terrasse stand ein Tisch. Dahinter sollte die Autorin Platz nehmen. An der Anzahl der Stühle schlussfolgerte Elinborg, dass das Publikum überschaubar werden würde. Sie atmete erleichtert aus, denn sie war jedes Mal nervös, vor allem vor großem Publikum.
Langsam trafen die ersten Gäste ein. Die meisten waren offensichtlich Stammkunden, denn Herr Weyhe begrüßte viele mit ihrem Namen.
Nachdem alle Plätze belegt waren, Herr Weyhe jedem Gast eine Tasse Kaffee oder Tee angeboten hatte, bat der Buchhändler um Aufmerksamkeit.
„Liebe Gäste, willkommen zu unserer heutigen Matinée! Ich begrüße besonders herzlich Frau Elin Steinhausen.“
Während Herr Weyhe sprach, musterte Elin das gemischte Publikum. In der ersten Reihe saß ein älteres Ehepaar mit einem noch älter aussehenden Dackel und eine junge Frau in einem grünen Kleid, dessen Dekolleté nach ihrem Geschmack zu tief ausgeschnitten war. Gleich dahinter saß ein Mann, der aussah, als ob er den Preis für den sexiest Man alive gewonnen hätte. Die blonde Frau neben ihm himmelte ihn an, was nicht zu übersehen war. Dann erkannte die Autorin noch einen Mann mit zottligem roten Bart, der Atomkraftgegner zu sein schien, denn auf seinem T-Shirt stand „Tihange abschalten!“
Der Buchhändler fuhr fort: „Frau Steinhausen wird nun aus ihrem neusten Krimi `Endstation Alexanderplatz´ lesen. Wir sind alle gespannt, wie Kommissar Krassek den Fall wieder lösen wird.“
Das Publikum applaudierte. Elinborg atmete einmal tief durch und begann:
„Wie Sie vielleicht wissen, ermittelt Kommissar Krassek im Berlin der 20er-Jahre. Es waren die `Goldenen Zwanziger´ ...“ Nach diesen einleitenden Worten zu dem historischen Hintergrund schlug sie das Buch auf. Es war ihr eigenes Leseexemplar, das mit Eselsohren und zahlreichen farbigen Post-it-Zetteln markiert war.
Vorlesen war nicht einfach. Elinborg Steinhausen hatte deswegen sogar mehrmals einen Schauspieler als Lehrer engagiert, der mit ihr übte. Eine Lesung sollte die Zuhörer fesseln, Interesse am Buch wecken und zum Kauf animieren. Daher betonte sie die wörtliche Rede und machte Pausen, um die Spannung aufrecht zu halten.
Während des Lesens hob die Autorin immer wieder den Kopf, schaute ins Publikum. Sie endete mit: „Plötzlich wurde ihm eiskalt. Er durchsuchte systematisch das ganze Büro. Doch die Mappe mit den Beweisfotos blieb verschwunden.“
Das Publikum spendete begeistert Beifall. Nachdem der Beifall verebbt war, erklärte Herr Weyhe, dass es nun eine halbstündige Frühstückspause geben würde. Die Zuhörer strömten in die Buchhandlung und bedienten sich am Buffet. Auch Elin ging hinein und füllte sich einen Becher mit Kaffee.
Der attraktiv aussehende Mann stand auf einmal neben ihr um sich ebenfalls einen Becher Kaffee zu nehmen. Sie sahen sich an und der Mann sagte: „Wie Sie immer die Spannung in ihren Krimis erzeugen, ist grandios. Einmal vergaß ich sogar aus dem Bus auszusteigen, als ich die Szene las in der Kommissar Krassek den Mörder in der Kanalisation verfolgte.“
Elin nickte, denn sie glaubte dem Mann. Irgendwie faszinierte sie dieser Mann. Sie konnte es aber nicht genau benennen, was es war.
„Danke sehr“, sagte sie. Elin sah ihm nach, wie er in einer geschmeidigen und selbstsicheren Bewegung zu der Frau mit den blonden Haaren ging.
Nach der Pause las die Autorin an einer anderen Stelle im Buch weiter. Wieder hörte ihr das Publikum gespannt zu und applaudierte nach den Schlussworten.
Wie nach jeder Lesung folgte nun der Verkauf des Buches, sowie die Signierstunde. Für das Signieren hatte Elin immer mehrere blau schreibende Stifte dabei. Schon stand die Frau mit dem tief ausgeschnittenen Kleid vor ihr.
„Können Sie bitte für Petra hineinschreiben?“, und reichte der Autorin das eben gekaufte Buch.
Schwungvoll schrieb die Autorin ihren eigenen Namen und „Für Petra“ auf die erste Buchseite.
Als nächstes bat ein Mann um ein Autogramm. „Für Lorenz.“
Jetzt weiß ich wie du heißt, dachte Elin und lächelte ihn an. Sie signierte ihm sein Buch und als sie es ihm zurückgab, berührten sich kurz ihre Hände. Elin meinte, einen kleinen Stromschlag erhalten zu haben. Es war nicht unangenehm, sondern es war ein angenehmes Kribbeln gewesen.
Der Mann bedankte sich und ging. Elinborg signierte weiter, konnte jedoch aus den Augenwinkeln heraus beobachten, wie er mit seiner Begleitung sprach. Die Blonde schüttelte den Kopf, daraufhin verließen sie die Buchhandlung. Als kein Gast mehr da war, packte die Autorin ihr Leseexemplar in ihre Handtasche. Herr Weyhe bedankte sich für ihr Kommen und überreichte ihr ein Geschenk.
„Das ist doch nicht nötig, Herr Weyhe“, sagte sie. Trotzdem nahm sie das Geschenk an, das nach der Verpackung zu urteilen, wohl ein querformatiger Bildband war.
Sie verabschiedeten sich voneinander und Elinborg trat aus der Buchhandlung. Geschafft, dachte sie erleichtert, wobei ihr solche Veranstaltungen auch viel Spaß machten. Plötzlich verspürte sie Hunger. Auf das in Alufolie eingewickelte Käsebrot in ihrer Handtasche hatte sie wenig Appetit. Da sie sich gut in der Stadt auskannte, wandte sie sich nach rechts. Nach nur wenigen Schritten war sie auf einem großen belebten Platz gekommen, der von dem mittelalterlichen Rathaus dominiert wurde. Schon Kaiser Karl hatte in dem darin befindenden Krönungssaal gespeist. Zahlreiche Restaurants und Cafés hatten sich um das Rathaus angesiedelt. Tische und Stühle standen draußen auf dem Platz. Die Leute genossen die Frühlingssonne und nahmen ein spätes Mittagessen zu sich oder tranken nur eine Tasse Kaffee. Elinborg schaute sich nach einem freien Sitzplatz um. Beim Italiener waren alle Tische besetzt, beim „Schwanen“ ebenso. War noch ein Platz beim Mexikaner frei? Sie blickte sich suchend um. Saß da nicht der gut aussehende Mann, der Lorenz hieß? Er las in einem Buch. Es war „Endstation Alexanderplatz“, wie sie es sofort am Cover erkannte. Der Stuhl neben ihm war unbesetzt. Wo war denn seine Begleitung, die Frau mit den blonden Haaren?