Ansonsten würde sie eben das Käsebrot auf der Rückfahrt essen müssen. Entschlossen ging sie auf den Mann zu.
„Hallo! Darf ich mich zu Ihnen setzten?“
Der Mann sah auf, lächelte als er sie erkannte.
„Frau Steinhausen. Ja, klar!“
Er schlug das Buch augenblicklich zu, legte es auf den Tisch und streckte ihr die Hand entgegen: „Lorenz Berringer.“
„Elin Steinhausen, aber das wissen sie ja“, lachte sie und fragte: „Wo ist denn ihre Frau?“
„Sie ist nicht meine Frau. Mandy ist nur eine Bekannte von mir. Sie hatte Kopfschmerzen und wollte lieber nach Hause gehen.“
„Ach so.“
Ein Kellner kam an den Tisch. „Guten Tag. Was darf ich Ihnen bringen?“
„Ich nehme eine Cola light und den Burrito mit Schmorgemüse“, sagte die Autorin. Lorenz Berringer bestellte den großen Salat mit Hähnchenbrust und ein stilles Wasser.
„Sie haben einen ungewöhnlichen Vornamen. Woher kommt er?“, fragte er.
„Eigentlich heiße ich Elinborg, aber das mag ich nicht besonders. Meine Eltern waren in Island im Urlaub gewesen, daher haben sie meiner Schwester und mir isländische Vornamen gegeben.“
„Waren Sie selbst auch schon in Island?“
„Ja, schon öfters. Die Insel ist wunderschön, besonders im Winter. Erst im Februar waren mein Mann und ich dort und haben ...“, begann Elinborg begeistert zu erzählen.
„Sie sind verheiratet?“, unterbrach Lorenz sie.
„Ja. Mein Mann ist Staatsanwalt in Köln.“
„Dann wird Ihnen ihr Mann sicher schon die ein oder andere Idee für einen Kriminalfall geliefert haben, oder?“, vermutete Lorenz.
Elin verneinte: „Mein Mann arbeitet viel und hat nicht besonders viel Phantasie.“
Das Essen wurde vom Kellner gebracht. Während des Essens unterhielten sie sich über Kommissar Krasseks Vorliebe für Filme. Lorenz schlug vor: „So oft wie Krassek ins Kino geht, sollte er vom Kinobesitzer Rabatt bekommen, finde ich.“
„Da stimme ich Ihnen zu. Doch in den 20er-Jahren nannte man es nicht Kino, sondern Lichtspielhaus. Zu dieser Zeit konnte sich der Film als Massenmedium durchsetzen. Deutschland hatte damals in Europa sogar die meisten Lichtspielhäuser“, berichtete Elinborg.
„Sie gehen sicher auch oft ins Kino?“
Wieder verneinte Elin: „Ich bin schon ewig nicht mehr ins Kino gegangen. Mein Mann hat Platzangst und wir müssten dann immer am Rand sitzen. Das mag ich nicht, denn die besten Plätze im Kino sind die, hinten in der Mitte.“
Nach dem Essen verschwand Elinborg kurz im Restaurant. Lorenz Berringer genoss derweilen die warme Märzsonne. Sie ist eine attraktive Frau, dachte er. Nur schade, dass sie verheiratet ist.
Er bemerkte, dass die Autorin ihr Leseexemplar mit dem Stift auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Auf einmal kam ihm ein verrückter Gedanke. Aus seiner Tasche holte er einen Zettel. Er griff zum Signierstift und schrieb hastig, aber doch leserlich: „Wenn Sie mal wieder ins Lichtspielhaus gehen möchten, rufen Sie mich an.“
Darunter notierte er seine Handynummer. Den Zettel steckte er anschließend wahllos zwischen zwei Seiten in das Leseexemplar. Den Stift heftete er wieder an das Buch.
Als Elinborg wieder zurück war, bestellten sie noch zwei Tassen Espresso und unterhielten sich weiter angeregt, bis die Autorin bedauerlicherweise feststellte, dass es schon spät war.
Nachdem sie beide beim Kellner bezahlt hatten, sagte Elin: „Es war schön, Sie kennengelernt zu haben, Herr Berringer.“
„Wir sollten unsere Unterhaltung bei Gelegenheit fortführen“, schlug der Mann vor.
Sie reichten sich die Hände und wieder spürte Elin dieses behagliche Kribbeln.
„Ja, gern. Auf Wiedersehen!“
„Auf Wiedersehen!“
Auf der Rückfahrt in die Eifel ließ Elin die vergangenen Stunden Revue passieren. So einen schönen Sonntag habe ich schon lange nicht mehr erlebt, dachte Elinborg dankbar.
Ich würde Herrn Berringer gerne wiedersehen, wünschte sie sich, denn er sah nicht nur gut aus, sondern strahlte eine Lebendigkeit und Wärme aus, die sie berührte. In diesem Moment fiel ihr auf, dass sie gar keine Kontaktdaten von ihm hatte. Ach, wie schade, murmelte sie.
Ich streite mich viel mit meinem Mann. Er liegt faul auf dem Sofa und ich frustriert im Bett. Mittlerweile leben wir wie in einer Wohngemeinschaft zusammen. An unseren letzten Sex kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Vielleicht fand er vor zweieinhalb Jahren statt? Wie ist es als Frau begehrt zu werden? Ich kann mich auch an das nicht mehr erinnern. Als ich im Internet auf ihre Agentur stieß und das Foto von ihm sah, stand mein Entschluss fest. Ich vereinbarte ein Date mit ihm in einem Hotel. Schon Tage vorher war ich sehr aufgeregt. In meinem Bauch kribbelte es vor Vorfreude. Als ich ihn dann in der Hotellobby sah, war ich begeistert. Wir tranken etwas an der Bar. Später im Zimmer nahm er mich liebevoll in den Arm und nahm mir somit meine Nervosität. Er ist ein zärtlicher und einfühlsamer Mann. Ich erlebte wunderbare Stunden, die ich nie mehr vergessen und an die ich mich immer erinnern werde.
Kapitel 5
Am nächsten Morgen fuhr Lorenz Berringer in einer überfüllten Regionalbahn zum Düsseldorfer Flughafen. Als er im Flieger nach Wien saß, fragte er sich, ob und wann Elin Steinhausen den kleinen Zettel mit der Nachricht und der Handynummer finden würde. Am meisten beschäftigte ihn jedoch die Frage, ob sie ihn anrufen würde. Lächelnd holte er „Endstation Alexanderplatz“ aus seinem Rucksack und begann zu lesen.
Das Fotoshooting zu dem er flog war für eine Herrenbekleidungsmarke und fand in den österreichischen Alpen statt. Die Temperaturen waren unter null. In leichten Hemden und dünnen Pullovern fiel es Lorenz Berringer und den drei anderen engagierten Models schwer, vor Kälte nicht zu zittern. Das Lächeln gefror ihm beinahe auf seinen blau gewordenen Lippen ein. Für manche Fotoaufnahmen musste Lorenz sich teils mit freiem Oberkörper an einen Bach stellen oder für andere auf einem eiskalten Stein sitzen.
Der Auftraggeber stand in einem Wintermantel gehüllt und in Stiefeln hinter dem Fotografen. Wild gestikulierend und mit einem ständigen Kopfschütteln tat er seine Unzufriedenheit kund. Es mussten viele Aufnahmen gemacht werden, bis endlich die gewünschten Fotos im Kasten waren.
Wenn eines der anderen Models fotografiert wurde, wärmte sich das Männermodel mit einer Decke um die Schultern auf und trank heißen Tee. Er konnte es sich nicht erlauben, krank zu werden.
Endlich wurde die letzte Aufnahme gemacht. Es war ein Gruppenbild mit allen Models vor einer Berghütte.
Lorenz Berringer betrat die alte Fabrikhalle, die im Süden von Paris lag. Hier sollte die erste Modenschau des französischen Nachwuchsdesigners Mathieu Dubois stattfinden. An einem der zahlreichen Garderobenständer stand sein Name, die Kleider hingen auf Kleiderbügeln daran, die Schuhe standen darunter.
Das Model ging zuerst zum Hair- und Make up-Stylisten, bevor er die Kleidung anzog, die er als erstes präsentieren sollte. Wie immer herrschte hier im Backstagebereich eine Atmosphäre wie in einem Bienenstock.
Endlich waren alle Models fertig gestylt und angezogen und nahmen Aufstellung. Bei einer Modenschau war die Reihenfolge der Models sehr wichtig. Als erstes Model hatte der Designer Lorenz Berringer ausgewählt, was Lorenz stolz machte. Bevor er hinaus auf den Laufsteg schritt, zupfte Mathieu Dubois noch einmal an seinem Hemd, dann ging im Halbdunkel das Licht an, die Musik erklang. Lorenz trat hinaus auf den Laufsteg, hinein in das Scheinwerferlicht. Das Publikum applaudierte als sie ihn in dem langen silberglänzenden Mantel, der grauen Hose und der runden goldene Brille auf der Nase sahen. Er machte seine Schritte,