vorher schon einige Zeit unterwegs waren. Denn Reisen hinterläßt Spuren. Es verändert. Diese beiden hier sind dünn geworden, haben die typischen drei, vier Wohlstandskilo verloren und tragen für Europäer ungewöhnliche Kleidung. Sie sehen glücklich aus, tiefenentspannt und ein bisschen wild. Vor drei Monaten waren sie in ihr Sabbatical nach Asien gestartet und werden mit dem Einzug ins Kloster das Ende ihrer Reise einläuten. Gemeinsam mit Anja und Christian feiern wir unser Wiedersehen und genießen noch einmal den Luxus zu essen, worauf wir Lust haben, zu reden, wann wir wollen und in einem weichen Bett zu schlafen. Das Thema des Abends ist Auroville. Was ich darüber höre, gefällt mir gar nicht. Christian hat dort drei Wochen an einem Permaculture Workshop teilgenommen, die anderen beiden haben Auroville nur für einen Tag besucht. In einem sind sich aber alle drei einig: wenn Auroville überhaupt etwas ist, dann eine gescheiterte Utopie. Diese Nachricht resoniert nicht gut in mir und mehr aus der Not, bitte ich darum, das Thema zu wechseln oder sich darüber zu unterhalten, wenn ich nicht dabei bin. Auch wenn alle meiner Bitte nachkommen, hat sich in mir schon das Gefühl festgesetzt, dass es ein Fehler war, mich für zwei Monate in Auroville einzubuchen. Mit dem schweren Gefühl, dass meine Reise kein gutes Ende nehmen wird, einfach weil ich eine schlechte Planerin bin, gehe ich frühzeitig schlafen.
Unser Einzug in den Tempel ist erst für den Nachmittag geplant, doch Greta und ich machen uns gleich nach dem Frühstück auf den Weg. Wir wollen helfen, die Räume vorzubereiten und uns so ganz nebenbei erste Karmapunkte verdienen.
Grundlegend in der buddhistischen Philosophie ist die Überzeugung, dass jeder unweigerlich die Konsequenzen seines Handelns tragen wird. Dass wir ernten, was wir säen. Eine gute, wie eine schlechte Tat zieht unweigerlich in diesem oder in einem anderen Leben eine Reaktion nach sich. Dieses Ursache-Wirkungs-Prinzip ist ja auch uns Europäern nicht fremd. Das mittelalterliche Sprichwort: “Wie du in den Wald rufst, so schallt es heraus.” sagt nichts anderes. Auch wenn es nicht so genannt wird, geht es dabei um das Gesetz des Karmas.
Selbstloses Dienen eignet sich hervorragend dazu, negatives Karma abzubauen und gleichzeitig positives neues anzuhäufen. Vorausgesetzt ich diene dem Wohle aller Lebewesen und nicht nur mir selbst. Auch Putzen gehört dazu und zwar ohne dabei auf mögliche abfallende Früchte zu schielen. Putzen mit so viel Enthusiasmus, wie der Dalai Lama sagt, “als hinge das gesamte Gleichgewicht des Universums davon ab.”
Voller Tatendrang gehe ich mit Greta durch die mir sehr vertrauten engen Straßen des alten Khon Kaens und schon nach einer Viertelstunde stehen wir vor den Klostermauern, die den Lärm der Stadt davon abhalten, in die Stille der grünen Oase vorzudringen.
Vor vielen Jahren auf meinem ersten Retreat nahm Ajahn Somchei die Teilnehmer unsere Gruppe mit den Worten in die Gemeinde auf: „Ihr seid nun Teil unserer Familie und dieser Tempel ist euer zu Hause.“ Und irgendwie fühlt es sich genauso an. Als ich das Gelände mit seinen großen Bäumen und den dicht an dicht stehenden Häuschen betrete, habe ich das Gefühl, angekommen zu sein.
Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Grundstein zum Wat Pho Ban Nontan gelegt. Seitdem ist es zu einer Siedlung mit unzähligen kleinen und großen Gebäuden herangewachsen, in denen die Mönche wohnen und meditieren. Zwei Stockwerke über einer der großen Buddha Hallen sind für unser Retreat reserviert. Der knapp fünfzig Jahre alte Bau sieht von außen aus, wie eine im Wald versteckte Höhle. Baumskulpturen, Bilder und Reliefs zieren seine Außenwände. Sie erzählen vom Alltag der einfachen thailändischen Menschen und verknüpfen ihn mit der buddhistischen Philosophie. Manch eine Darstellung ist humorvoll, eine andere gnadenlos deutlich. Da ist zum Beispiel eine Bildreihe, die einen Mann in drei alltäglichen Situationen zeigt. Im ersten Bild isst er mit beiden Händen aus vielen Töpfen, im zweiten hält er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Bauch, im dritten läuft er geschwind aus dem Bild, beide Hände zum Po gestreckt, aus dem in kleinen Wölkchen offensichtlich übelriechende Gase entweichen. In seiner Einfachheit verdeutlicht es die Folgen, mit der jeder rechnen muss, der seinem über die Sinne stimulierten Verlangen zügellos nachgibt. Ich denke, wir kennen das alle, oder? Die im Buddhismus gelehrte Achtsamkeit soll dabei helfen, wacher für die Folgen unseres Handelns zu werden und dadurch zukünftiges Leid zu verringern, vielleicht sogar zu verhindern.
Neben dem Eingang zur Buddhahalle führt eine Treppe hinauf in einen Saal mit hochglänzendem Marmorboden, in dem sich das kathedralförmige Deckengewölbe spiegelt. Hoch in den Kuppeln verschieben Ventilatoren träge die tropische Luft. Sie sind so schwerfällig, dass die Landung einer der vielzähligen Tauben, die hier wohnen, ihre Rotorblätter zum Stillstand bringen. Hier werden die Männer unserer Gruppe schlafen und ein Moskitonetz sorgt in den nächsten zehn Tage für ihre Privatsphäre. Am anderen Ende des Raums befindet sich eine weitere Treppe, die ebenfalls in einer Halle endet. Auch hier erzählen die Wände von der buddhistischen Lehre. Ganz zentral in dem Gemälde findet sich das Lebensrad, in dessen Nabe sich Hahn, Schlange und Schwein jagen. Jedes dieser Tiere steht für ein Geistesgift. Gier, Hass und Verblendung sind es, die das Rad am Laufen halten und den Menschen an den Kreislauf der Wiedergeburt binden. So glaubt es der Buddhist und bietet Wege der Praxis und Erfahrung zur Befreiung des Geistes an. Zum Wohle aller Wesen, versteht sich.
Ein kleiner fensterloser Gang führt aus der Halle zu den Schlafräumen der Frauen. Boden wie Wände sind in hellem Blau gefliest und damit nichts den Geist ablenkt, bietet jede Zelle neben einem Ventilator und einer Kommode nur eine dünne Schlafmatte und ein rechteckiges Kopfkissen. Diese bunt gemusterten Kissen sorgen bei jedem Retreat für Verwirrung. Unserer westlich geprägten Sehgewohnheit nach sind sie eher Meditations- als Kopfkissen und landen in den ersten Tagen eben zu diesem Zwecke immer wieder in der Buddhahalle. Schnell klärt Christian dann auf, dass diese Kissen etwas Heiliges haben und es einer Verletzung der thailändischen Kultur gleich kommt, wenn wir unsere schwitzigen Hintern darauf niederlassen.
Es wird Zeit, mit einer ersten karmischen Tat zu beginnen. Acht Toiletten-/Duschkabinen, sechs Waschbecken verteilt in zwei Räumen warten auf eine Grundreinigung. Toilettenspülung gibt es, wie in den meisten thailändischen Aborten nicht. Dafür aber einen großen Bottich, aus dem das Spülwasser geschöpft wird. Das benutzte Toilettenpapier kommt nicht in die Toilette, sondern in einen Abfalleimer auf dem Flur, da die Abwasserrohre zur Verstopfung neigen. Thailänder wie auch Inder benutzen selten Papier. Sie haben dafür die Bumguns und ihre linke Hand. Eine Bumgun ist eine Podusche mit einem harten Wasserstrahl. Und das geht so: mit der linken Hand reinigt man sich nach dem Toilettengang unter Zuhilfenahme der Bumgun, die von der rechten gehalten wird. Toilettenpapier wird, wenn überhaupt zum Abtrocknen benutzt. Dieses Reinigungsritual ist übrigens der Grund, warum die linke Hand in Asien als unrein gilt.
Die Nasszellen zu putzen ist Sisyphos-Arbeit. Sie sind renovierungsbedürftig und immer wieder fällt Putz aus den Ecken, genau dorthin, wo ich gerade gewischt habe. Je mehr ich wische, umso schmutziger scheint es. Hier muss die Gewissheit reichen, dass es sauber ist, auch wenn es nicht sauber aussieht. Auch die erhabenen Sandlinien, die in manchen Kabinen fest an der Wand kleben, lasse ich unberührt. Termiten haben die kunstvollen Tunnel zum sicheren Abtransport ihres Altholzes gebaut. Sie sind sehr stabil und bestehen aus Erde, manchmal auch aus Termitenkot und -speichel sowie aus zerkauter Zellulose.
Gegen Mittag trudeln schon die ersten Retreatteilnehmer ein und beziehen ihre Zellen. Bis auf Weniges, das wir zur Körperpflege brauchen, wird unser Gepäck weggesperrt. Für die nächsten zehn Tage reduzieren wir uns auf das Nötigste. Bei mir ist das ein Handtuch, eine Isomatte, Waschpulver, Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Kokosöl und weiße Unterwäsche. Die ist Pflicht! Jede andere Farbe würde durch die dünne Meditationskleidung schimmern und könnte die Mönche irritieren. Bye, bye Handy, Bücher, Musik, Kosmetik und Schreibzeug.
Am späten Nachmittag kommt die Gruppe der zukünftig Meditierenden zu einem Willkommensessen zusammen. Die Aufregung ist greifbar. Ein letztes Mal reden alle wild und vor allem laut durcheinander. Es hat fast den Anschein, als müssten die Worte, die jeder von uns normalerweise in zehn Tagen spricht, in den nächsten zwei Stunden noch schnell Gehör finden. Vor dem Schlafengehen weist Christian die Gruppe in die für uns wichtigsten der über 200 Regeln des Klosterlebens ein. Unser Besuch soll in der Sangha, der Gemeinde, für so wenig Unruhe wie möglich sorgen. Es ist zum Beispiel darauf zu achten, dass wir Frauen uns nie allein in einem Raum mit nur einem Mönch aufhalten. Auch ist es uns nicht erlaubt, einen Mönch