Lucia Bolsani

Tosh - La Famiglia


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versuche, mich mit der Frage abzulenken, weshalb ein Mann, der offenbar vermögend, erfolgreich und zudem mit seinem scharf geschnittenen Gesicht und der markanten Nase nicht wirklich schön, aber auf jeden Fall faszinierend zu nennen ist, so unhöflich sein muss. Nicht nur, dass er Christine kaum beachtet, er lässt sie nicht mal ausreden, wenn sie überhaupt zu Wort kommt. Gott sei Dank ist das nicht mein Mandant!

      »Frau Jennings würde Ihnen gerne bei der Ausarbeitung der Verträge behilflich sein«, sagt meine Chefin in diesem Moment.

      Wie bitte?! Nein, würde sie nicht!

      »Zudem sollten die Verträge so ausgelegt sein, dass die Steuerlast der beteiligten Unternehmen minimiert wird«, fügt Herr Silvers noch hinzu.

      »Sie wollen Steuern hinterziehen?«, frage ich kühl.

      Da offenbar geplant ist, dass ich mich mit diesem Klienten herumärgere, wird es höchste Zeit, mal ein paar Dinge klarzustellen.

      »Selbstverständlich nicht«, gibt er völlig gelassen zurück. »Dazu benötige ich ja eine Anwältin, damit ich mich nicht aus Versehen strafbar mache.«

      »Wenn Sie Steuerspartricks brauchen, sollten Sie einen Steuerberater engagieren.«

      »Sie können sich sicher sein, dass ich Ihre Kanzlei sehr sorgfältig ausgewählt habe.«

      »Da ist Ihnen vielleicht entgangen, dass unser Schwerpunkt im Wirtschaftsstrafrecht liegt. Wir können Ihnen sicher einen geeigneten Kollegen empfehlen.«

      Schließlich ist Herr Silvers nicht der Einzige, dem nicht so ganz klar ist, wo die Aufgabenschwerpunkte unserer Kanzlei liegen.

      Er zieht eine Augenbraue hoch, da fährt Christine dazwischen: »Wenn Sie uns bitte einen Augenblick entschuldigen würden, Herr Silvers, ich müsste ganz kurz etwas mit meiner Kollegin besprechen.«

      Was?

      »Nur zu«, sagt er süffisant, und schon befinden wir uns wieder auf dem elend langen Weg aus dem Büro hinaus.

      Christine zerrt mich förmlich auf den Flur, bevor sie mich wütend anzischt: »Sind Sie komplett wahnsinnig geworden, Mayra?«

      »Aber das ist nicht unser Fachge…«

      »Scheißegal!«, fährt sie mir über den Mund. »Wenn Carlo Cortones inoffizielle Nummer eins eine meiner Anwältinnen engagieren will, dann wird er die bekommen, oder diese Anwältin kann sich keine großen Hoffnungen auf eine erfolgreiche Zukunft in meiner Kanzlei machen, ist das angekommen?«

      Äh, droht sie mir gerade?

      »Ja …«, sage ich gedehnt, was bleibt mir auch anderes übrig?

      »Gut«, zischt meine Chefin. »Sie haben zwei Minuten. Dann werden Sie sich bei Herrn Silvers entschuldigen, oder Sie können sich schon mal eine Umzugskiste mit ins Büro bringen.« Nach diesen Worten lässt sie mich einfach stehen.

      Ich schlucke. Eindeutiger gehts nicht. Die Umzugskiste werde ich sicher nicht brauchen, um in ein höheres Stockwerk zu wechseln.

      Mein Herz hämmert, während ich den Sekundenzeiger meiner Armbanduhr beobachte und mich aufs Atmen konzentriere. Ich schaffe das. Silvers ist nicht der erste Arsch in meinem Leben, und er wird sicher nicht der letzte sein. Meine Karriere lasse ich mir von so einem aber nicht versauen. Auch wenn ich große Lust hätte, ihn und Christine zum Teufel zu jagen.

      Kapitel 5

      München-Giesing, 27. Mai 2019, mittags

      Ich habe mir Mayra als Emanze fortgeschrittenen Alters vorgestellt, die in wallendem Gewand über den Straßenstrich latscht und ihre Kärtchen verteilt. Oder vielleicht auch als vertrocknete, hässliche alte Jungfer. Nach Georgs Dossier in meinem Postfach musste ich das bereits revidieren. Sie ist verdammt jung. Dazu die Adresse der Kanzlei, für die sie arbeitet: Residenzstraße. Da schlappt man nicht in Birkenstocks durchs Büro, jedenfalls nicht in Mayra Jennings Alter, wenn man erst noch Karriere machen will. Leider hatte Georg nur eine Kopie des Personalausweisfotos mitgeschickt, darauf wirkte sie streng und unnahbar. Also dachte ich an eine spröde Karrierefrau im Jil-Sander-Kostüm, sehr geschäftsmäßig und stets bemüht, nur keinen Hinweis auf irgendwelche weiblichen Formen zu zeigen.

      Nun betritt sie nach dem kleinen Eklat vorhin zum zweiten Mal mein Büro, und ich sollte mich wirklich bei Carlo bedanken. Die Kleine ist definitiv heiß. Nicht sehr groß, aber mit überaus interessanten Kurven an den richtigen Stellen. Das braune Haar hat sie am Hinterkopf zu einem dicken Knoten zusammengesteckt, und den Mann möchte ich sehen, den es nicht in den Fingern juckt, die Spange zu lösen, damit sich ihre Haare über ihren Rücken ergießen. Es wird Spaß machen, die Hände in dieser Pracht zu vergraben, während ich sie zum Stöhnen bringe. Ich habe definitiv schon hässlichere Mädels gefickt.

      Dass ihre Chefin alleine zurückkam, hat mich kurz irritiert. Doch die wollte nur die Unerfahrenheit ihrer Mitarbeiterin betonen und sich für die Scherereien entschuldigen. Was nicht nötig gewesen wäre. Dass die Kleine nicht weiß, mit wem sie es zu tun hat, habe ich auch so gemerkt.

      »Entschuldigen Sie bitte das Missverständnis, Herr Silvers. Ich würde mich sehr freuen, für Sie tätig werden zu können.« Mayras Gesicht bleibt dabei ohne jeden Ausdruck. Sie muss entweder stinksauer oder verängstigt sein, je nachdem, was ihre Chefin ihr gesagt hat. Dass ich nicht erkennen kann, was es ist, zeigt, wie gut sie sich im Griff hat. Ganz schön nervig, diese kontrollierte Fassade.

      »Nicht der Rede wert. Setzen Sie sich wieder.«

      Ich verberge meine Gefühle nicht. Ich weiß, dass ich bei ihren Worten aussehe wie ein Kater, der von der Sahne genascht hat, und ich weiß, dass sie es sieht. Ja, ich provoziere sie absichtlich, na und? Das hier ist mein Spiel, und wenn ich es schon spielen muss, weil sich die Kleine in meine Angelegenheiten eingemischt hat, dann kann ich dabei doch wohl auch meinen Spaß haben.

      Ich schiebe ihr den unterschriebenen Mandantenvertrag zu. »Ich erwarte, dass Sie in den nächsten Tagen ausschließlich mir zu Verfügung stehen«, sage ich.

      »Kein Problem«, beeilt sich ihre Chefin zu versichern.

      Ich zaubere ein Handy hervor und lege es vor Mayra auf den Tisch, doch die hebt abwehrend die Hände.

      »Ich habe bereits ein Mobiltelefon. Ich kann Ihnen gerne eine Karte mit der Nummer geben.«

      »Meine Arbeitszeiten sind ein wenig speziell. Ich erwarte, dass Sie rund um die Uhr erreichbar sind. Wenn ich etwas brauche, will ich nicht warten, bis der Tratsch mit Ihrer besten Freundin zu Ende ist.«

      »Wie Sie wünschen«, sagt sie kühl.

      Sie steckt das Handy ein, und ich frage mich, was mehr Spaß machen wird: Sie zu vögeln oder diese Eisfassade zum Bröckeln zu bringen. Denn beides wird passieren, früher oder später. Auch wenn Mayra jetzt noch glaubt, dass sie alles unter Kontrolle hat. Aber die Tatsache, dass sie zurückgekommen ist, sagt mir bereits, was ich wissen muss: Was immer ihre Chefin ihr versprochen oder angedroht hat, es ist Mayra so wichtig, dass sie entgegen ihrer Überzeugung wieder in meinem Büro aufgetaucht ist, sich entschuldigt und einer Zusammenarbeit zugestimmt hat.

      Wenn dieser erste Schritt einmal gemacht ist, ist es meiner Erfahrung nach ganz leicht, noch mehr Vorsätze über Bord zu werfen. Denn mit jedem weiteren kleinen Schritt geht es ja nicht mehr nur um das Ziel, das Mayra erreichen will, sondern auch darum, dass alles, was sie bisher getan oder erduldet hat, nicht umsonst gewesen sein soll. Ich freue mich schon darauf, ihr dabei zuzusehen, wie sie das lernt. »Ich erwarte Sie dann morgen Nachmittag um drei«, beende ich das Gespräch, da die Formalitäten nun erledigt sind. Alles Weitere wird sich ergeben, wenn ich mit Mayra alleine bin.

      Erst als die beiden Anwältinnen verschwunden sind, fällt mir auf, dass ich es plötzlich gar nicht mehr so eilig habe, Minnie wiederzufinden. Wahrscheinlich hat Mayra sie in einem Frauenhaus oder in einer Entzugsklinik untergebracht, soll die Nutte sich doch meinetwegen eine Weile da erholen,