Lucia Bolsani

Tosh - La Famiglia


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bei denen sich ein Einsatz seiner Truppe lohnen würde.

      Als das Treffen endet, stürmt Domenico nach draußen, die anderen folgen gelassener. Minnie ist Privatsache, weshalb ich hoffe, Carlo kurz unter vier Augen sprechen zu können. Als würde er das ahnen, ruft er mich zu sich.

      »Tosh, mein Junge, setz dich einen Moment zu mir.«

      Mit einem Kribbeln im Nacken gehe ich zu ihm. »Boss.«

      »Stimmt etwas nicht? Du wirkst ein wenig verkrampft.«

      Perbacco, er kennt mich einfach zu gut. Ich verzichte darauf, Platz zu nehmen, sondern gestehe lieber unumwunden, was heute vorgefallen ist. »Ich habe einen Fehler gemacht, Boss. Minnie ist weg.«

      Er zieht die Augenbrauen hoch. »Minnie? Kann die sich überhaupt noch alleine die Schuhe zubinden?«

      Ich verschränke die Hände hinter dem Rücken und erzähle Carlo von Minnies Auftritt. Was ihn seltsam kalt lässt. Schließlich war sie mal sein Mädchen.

      »Jetzt steh da nicht herum wie ein Ölgötze, setz dich schon«, sagt er jovial und ich ziehe mir einen Stuhl heran. »Minnie taucht bestimmt wieder auf. Ich weiß, du kannst es nicht ausstehen, wenn du irgendwas nicht unter Kontrolle hast, aber die Nutte ist doch allein gar nicht lebensfähig, die muss zurückkommen.«

      »Ja, aber da ist ja jetzt diese Anwältin. Ich versteh gar nicht, wo sie die herhat.«

      »Warst wohl schon länger nicht mehr auf dem Straßenstrich, eh?«, spottet der Boss.

      »Nein danke, kein Bedarf.«

      »Tja, dann wüsstest du aber, dass diese Rechtsverdreher schlimmer sind als die Heilsarmee. Verteilen überall ihre Kärtchen an die Huren, erzählen ihnen was von wegen ›Sexarbeiterinnen haben auch Rechte‹ und interessieren sich am Ende doch nur dafür, wie sie den Zuhältern eins auswischen können.«

      Ich denke kurz nach. Zwar bin ich mir sicher, dass Wladimir Minnie nicht draußen herumspazieren lässt. Aber natürlich könnte eine andere Schlampe so ein Kärtchen in seinen Puff eingeschleppt haben. »So muss es gewesen sein«, gebe ich zu. »Hätte ich selber draufkommen können.«

      »Ja, es hat durchaus einen Grund, warum ich hier der Boss bin.«

      Ich neige anerkennend den Kopf. »Die Anwältin wird mir schon verraten, wo Minnie steckt. Eine Nacht in einem der Kellerräume unter dem Blue Parrot sollte sie ausreichend weichkochen«, verspreche ich.

      »Das geht auch etwas eleganter, eh?«, schlägt Carlo vor. »Du hast doch einen Schlag bei den Damen. Setz ihr ein bisschen zu, bis sie dir freiwillig ins Ohr haucht, wo Minnie ist.«

      »Nicht dein Ernst«, stöhne ich. »Das ist doch sicher so ein vertrockneter Blaustrumpf mit fettigen Haaren und Hornbrille in total unerotischen Klamotten.«

      »Die wollen auch gefickt werden. Dir wird schon nicht gleich der Schwanz abfaulen. Engagier sie halt einfach. Dann hast du sie schön unter Beobachtung, das müsste dir doch gefallen.«

      »Eine Hüterin von Sitte und Anstand bei Alpha Salvage

      Carlo grinst.

      »Lass sie die Scheinverträge mit dem Gieseke ausarbeiten. Damit sie nicht zu neugierig wird, besorgst du es ihr zwischendurch, und irgendwann präsentiert sie dir Minnie schon auf dem Silbertablett.«

      Genau Carlos Humor. Er gibt mir eine völlig absurde Anweisung und genehmigt mir im Nebensatz meinen neuen Deal. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass Carlo es mir einfach so durchgehen lässt, dass Minnie mal wieder Ärger macht. So gesehen komme ich eigentlich ziemlich glimpflich davon. Außer natürlich, es kommt noch ein Nachspiel aus heiterem Himmel.

      »Betrachte es als erledigt, Boss.«

      Er nickt huldvoll und wedelt lässig mit der Hand. Ich bin entlassen.

      Aber als ich schon fast draußen bin, ruft er mir noch hinterher: »Tosh, warum beseitigst du das Problem Minnie nicht endgültig, sobald du sie gefunden hast? Das Mädel ist doch sowieso die meiste Zeit eher tot als lebendig.«

      Die lapidare Bemerkung fühlt sich an, als hätte mir Carlo einen seiner berüchtigten Magenschwinger verpasst.

      Nein! Niemals! Niemals werde ich Minnie freigeben! Der Tod ist zu gut für sie. »Mal sehen, Boss«, sage ich mühsam beherrscht. »Jetzt kümmere ich mich erst mal um die Fotze dieser Anwältin.«

      Er hat Minnies Tod nicht ausdrücklich befohlen. Also muss ich vorerst gar nichts. Und wenn Carlo darauf besteht, dass Minnie aus dem Weg geräumt wird – dann kann ich ihn immer noch darum bitten, es sich anders zu überlegen. Auch wenn eine Bitte an den Boss in der Regel unangenehme Nebenwirkungen hat, egal ob sie gewährt wird oder nicht. Aber Minnie leiden zu sehen, entschädigt mich für so vieles, darauf kann ich unmöglich verzichten.

      Nachlässig stecke ich die Waffe weg, die Luca mir zurückgibt. Mehr Sorgfalt lasse ich beim Anstecken der Ringe walten. Denn nach Carlos letzter Bemerkung kann ich es kaum erwarten, mich irgendwo abzureagieren. Und immerhin wartet ja noch Hugo in meinem Büro auf mich, wenn auch sicher nicht besonders sehnsüchtig.

      Denn meinen Leuten dürfte klar sein, dass ich keine zwei Fehler an einem Tag toleriere.

      Kapitel 4

      München, 27. Mai 2019, vormittags

      Meine Chefin Christine war den Freitag über bei Gericht, aber ich habe eigentlich schon damit gerechnet, dass ich spätestens am Montag ein Feedback zu meiner Arbeit erhalte. Doch in meinem E-Mail-Postfach herrscht gähnende Leere.

      Stattdessen ackere ich für Annabel, eine der Juniorpartnerinnen, einen ganzen Stapel Akten durch. Immer auf der Suche nach einem Hinweis, dass ihr Mandant sich nicht der Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat. Gegen Mittag komme ich langsam zur Erkenntnis, dass bei ihrem Klienten am besten eine dissoziative Störung in Form von multiplen Persönlichkeiten diagnostiziert werden sollte. Anders lässt sich kaum erklären, wie der Geschäftsmann übersehen konnte, dass seine Firma seit Jahren überschuldet war.

      Ich bin beim vorletzten Ordner angekommen, als Milena, unsere Empfangsdame, mein schuhkartongroßes Büro betritt. Wie immer winden sich ihre Haare in mehreren komplizierten Flechten um ihren Kopf, ein Look, der jeden Brautfriseur neidisch machen würde, sieht sie doch aus wie die perfekte Sissi-Kopie. Ich bekomme allein bei dem Anblick Kopfschmerzen.

      »Sie müssen sofort los, Mayra!«

      »Ich muss vor allem diese Akten durcharbeiten, damit sich Annabel auf ihren Termin vorbereiten kann«, berichtige ich.

      »Christine will sich in einer halben Stunde in einem Restaurant namens Blue Parrot mit Ihnen treffen.«

      Ich zucke zusammen und spüre, wie sich mein Magen augenblicklich verkrampft. Mühsam hole ich Luft, doch Milena scheint nichts zu merken.

      »Ich habe schon ein Taxi bestellt, sonst schaffen Sie das nicht. Das ist irgendwo in Giesing, das Lokal.«

      Ja, ich weiß.

      »Vielen Dank, Milena«, sage ich mühsam beherrscht, und sie verschwindet wieder.

      Okay. Eine halbe Stunde, um mich so weit zu sammeln, damit ich dieses verflixte Restaurant ruhig und gelassen betreten kann, wie es sich für eine besonnene Anwältin gehört. Dabei hatte ich so gehofft, nie wieder einen Fuß in das Blue Parrot setzen zu müssen.

      Ich atme einige Male tief durch und überprüfe den korrekten Sitz meines Kostüms, dann verlasse ich das Gebäude, vor dem bereits ein Taxi mit laufendem Motor steht. Um kein Gespräch mit einem geschwätzigen Taxifahrer zu riskieren, steige ich hinten ein. Das kann doch nicht wahr sein! Da habe ich sowieso schon damit zu kämpfen, dass ich ständig den anderen Anwältinnen in der Kanzlei zuarbeiten muss, und jetzt holt mich ausgerechnet diese alte Geschichte wieder ein.

      Was