Lucia Bolsani

Tosh - La Famiglia


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Boss trifft kurz nach mir ein und begrüßt leutselig seine Unterbosse. Aber ich kenne ihn lange genug. Da ist ein harter Zug um seinen Mund, der nach Ärger aussieht. Ich straffe reflexartig die Schultern und schiebe jeden Gedanken an Minnie beiseite. Bei einem Treffen mit Carlo nicht ganz bei der Sache zu sein, empfiehlt sich nicht wirklich.

      »Silvers, gut dich zu sehen.« Carlo starrt mich einen Augenblick durchdringend an, und unwillkürlich frage ich mich, ob er bereits von der Geschichte gehört hat. Gut möglich.

      »Boss.« Ich senke respektvoll den Blick, und er klopft mir kurz auf die Schulter.

      Okay, ich bin es nicht, den er auf dem Kieker hat.

      Dann würde ich auf Domenico tippen, der ist nämlich mal wieder unpünktlich.

      Ich bewundere Carlo immer noch dafür, dass er es geschafft hat, den alten Padre zu überreden, seinen geliebten Enkel Domenico nicht zu seinem Nachfolger zu machen. Natürlich hatte niemand in München den Jungspund für einen besseren Boss gehalten als Carlo, aber das Problem mit Domenico ist, dass er mächtige Unterstützer im italienischen Teil der Famiglia hat. Mit dem Capo in Padolfi will sich hier niemand anlegen, auch Carlo nicht.

      Deswegen ist Carlo nun auch nicht der Padre, sondern unser Boss, während Domenico jetzt die Drogenkuriere und -händler unter sich hat. Offiziell so lange, bis Domenico erfahren genug ist, um die Geschäfte zu übernehmen. Was hoffentlich nie der Fall sein wird, denn als Domenico endlich das Gewölbe betritt, frage ich mich nicht zum ersten Mal, wie viel von den Drogen, die er eigentlich unter die Leute bringen soll, in seinem eigenen Körper landet. Ziemlich viel scheinbar.

      Heute sieht Domenico besonders beschissen aus, sein Gesicht hat eine ungesunde, gräuliche Farbe, und auf seiner Stirn glitzern Schweißtropfen. »Bin ich zu spät, Onkel? Tut mir so sehr leid!«

      Wir setzen uns an die hölzerne Tafel, die König Artus alle Ehre machen würde. Wobei unser Tisch natürlich nicht rund ist. Von Gleichberechtigung hält der Boss nämlich gar nichts. Warum sollte er auch? Er ist der Boss. So wie ich der Boss meiner Männer bin. Respekt verdient man sich nicht, man nimmt ihn sich und ringt ihn anderen ab.

      »Da du uns endlich mit deiner Anwesenheit beehrst, lieber Neffe, kannst du uns gleich mal deine Zahlen nennen«, ätzt Carlo.

      »Äh … wie? Jetzt? Ähm … ach so. Ja, klar. Dann … hm … mach ich das.«

      Bähm, Überraschung! Als wäre es etwas Neues, dass wir uns einmal im Monat treffen, um Carlo Bericht zu erstatten. Verfluchter Junkie! Stammelnd präsentiert Domenico die Umsätze und muss dabei mehr als einmal sein Handy zurate ziehen. Idiot!

      »Che merda! Das hört sich beschissen an!«, knurrt Carlo.

      Zwei Prozent minus zum letzten Monat, denke ich, ich rechne gerne mit. Hört sich wenig an, aber die fünfzehn Prozent Miese im Vergleich zum letzten Jahr sind schon bedenklich. Wäre die Famiglia eine Firma, würde ich ihr raten, diese unrentable Sparte abzustoßen oder umzustrukturieren.

      »Da kann ich nichts dafür, Onkel! Alle kaufen nur noch im Darknet ein, der Straßenhandel ist fast tot!«

      »Und wessen Schuld ist es, dass wir im Darknet nicht besser vertreten sind?«, blafft Carlo ihn an.

      Scheinbar ist Domenicos Computerspezialist nicht unbedingt die hellste Kerze am Leuchter. Ich würde Domenico selbstverständlich sofort Georg ausleihen, damit der seinem Mann ein bisschen unter die Arme greift. Die Sache ist nur die, dass Carlo das nicht befohlen hat, und deshalb rühre ich keinen Finger, solange Domenico mich nicht sehr nett um Georg bittet.

      Domenico schluckt allerdings lieber seine eigene Zunge, als mich um irgendwas zu bitten. Tja, nicht mein Problem. Dann muss er sich halt jetzt Carlos Anschiss anhören. Hat er eh noch Glück gehabt, jeder andere von uns würde es wahrscheinlich nicht mehr ohne Hilfe die Treppe hochschaffen, wenn seine Geschäfte seit Monaten derart mies liefen, oder würde direkt auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

      »Silvers, du hast was Neues ausgeheckt?«, fährt Carlo mich unvermittelt an, nachdem er mit Domenico fertig ist.

      Ich umreiße kurz den geplanten Deal, bei dem es um Subventionsbetrug, verbotene Pestizide, falsche Biosiegel und illegale Schlachthöfe geht. Nicht gerade unser Kerngeschäft, obwohl sie in Padolfi auch einiges mit gefälschtem Olivenöl und gepanschtem Wein machen. Mein Trumpf ist allerdings Gieseke, dieser Moralapostel, der den Kram dann völlig überteuert in seinen Bioläden anbieten will.

      »Das System ist perfekt zur Geldwäsche geeignet, wenn es aber einmal angelaufen ist, können wir monatelang nur die Gewinne einstreichen.«

      In unserer Branche gibt es leider keinen geregelten Cashflow, wenn die Bullen mal wieder eine Drogenlieferung abgefangen haben oder es Probleme in Italien gibt, gerät der Geldfluss schon mal ins Stocken.

      Domenico ist wie erwartet der Erste, der etwas zu meckern hat. »Der Gieseke«, mault er, »das ist doch dieser vegane Superöko aus’m Fernsehen. Der soll da mitmachen?«

      »Ich würde Gieseke nicht ins Spiel bringen, wenn er nicht ein paar Leichen im Keller hätte«, versichere ich. »Er war übrigens heute im Blue Parrot. Hat ein Ossobuco bestellt – nachdem er sich davon überzeugt hat, dass wir nicht in seinen Läden einkaufen.«

      Allgemeines Gelächter.

      »Subventionsbetrug in Osteuropa?«, fragt Carlo skeptisch. »Muss das sein? Ich will da keinen Ärger.«

      »Serge war so nett, mir ein paar Kontakte zu vermitteln«, erkläre ich.

      Serge ist Carlos Capo Crimine und mit seinen Jungs für die eher handfesten Aspekte unseres Geschäfts zuständig, was von einer nachdrücklichen Drohung über schwere Körperverletzung bis hin zu einer hübschen Explosion alles Mögliche sein kann. Nichts davon würde mir in diesem Fall helfen. Aber Serge ist auch mit einer Rumänin verheiratet.

      Die Lovestory der beiden begann vor einigen Jahren wenig vielversprechend, als die Brüder von Serges Flamme ihm ein Auge ausstachen, weil Serge die Ehre ihrer Schwester beschmutzt hätte. Statt einer unschönen Blutfehde gab es jedoch eine rauschende Hochzeit, und seitdem sorgen er und seine Frau jedes Jahr mit einem neuen Balg für die italienisch-rumänische Völkerverständigung in München.

      »Das geht klar, Silvers«, bestätigt Serge grinsend, und zwinkert mir mit dem vorhandenen Auge zu.

      »Okay. Wir werden sehen«, beendet Carlo das Thema.

      Ich werde also warten müssen. Ohne Carlos Zustimmung passiert rein gar nichts innerhalb der Münchner Famiglia, so ist das nun mal.

      Natürlich sind der Drogenhandel und die Schwarzgelder aus Padolfi nicht unsere einzige Einnahmequelle. Zum Glück läuft es sonst recht gut. Meine Aufgabe ist es, aus einem Teil der Einnahmen hübsch gewaschene Scheinchen zu machen. Wie immer notiere ich nichts, sondern merke mir, wie viel Kohle die Laufburschen der anderen demnächst im Blue Parrot vorbeibringen werden.

      Es ist nicht viel mehr als ein Taschenspielertrick, alle Zahlen im Kopf zu behalten, der mir jedoch den Ruf eingebracht hat, ein Genie zu sein. Ein einziges Mal hat jemand versucht, weniger Geld abzuliefern, als er dem Boss angekündigt hatte. In der irrigen Annahme, dass ich mir eh nicht alles merken könne. Carlo fertigt Aufzeichnungen von allen Treffen an, aber die waren gar nicht nötig. Der Betrüger hat sich ganz schön verhaspelt, als ich ihn darauf angesprochen habe, und Carlos Reaktion hat dafür gesorgt, dass so etwas nie wieder vorgekommen ist.

      »Cazzo, Filippo, im Leben hätte ich nicht gedacht, dass du aus dieser Bruchbude so einen Profit rausschlägst!«, kommentiere ich die Ausführungen des Mannes, der mit seinen Schwarzarbeitern die Baubranche in München aufmischt.

      »Bringe ich dich in Verlegenheit, Silvers?«, grinst der Angesprochene. »Ich behalte das Geld gerne, wenn es dir zu viel wird.«

      »Nicht nötig. Ich habe schon ein paar nette Ideen für deine Scheinchen.«

      Carlo knurrt unwillig, aber im Gegensatz zum Boss habe ich kein Problem damit,