Lucia Bolsani

Tosh - La Famiglia


Скачать книгу

wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass es bei all den Restaurants, die es in München gibt, just das Blue Parrot sein muss?

      Dabei wäre mir ein alberner Zufall immer noch lieber als die Alternative: Meine Chefin weiß, dass dieses Lokal eine unrühmliche Rolle in meiner Vergangenheit gespielt hat. Könnte sie davon Wind bekommen haben? Will sie mich darauf ansprechen? Und wenn ja, wie zum Teufel soll ich damit umgehen?

      Aber ich bin nicht Anwältin geworden, ohne zu ahnen, dass man in diesem Job in heiklen Situationen ruhig und überlegt handeln muss. Ich konzentriere mich also den Rest der Strecke ausschließlich auf meine Atmung. Was immer mich erwartet – ich schaffe das! Hoffe ich.

      Das Taxi hält direkt vor dem Blue Parrot. Das feudale italienische Restaurant hat sich in den letzten Jahren kein bisschen verändert. Durch die verspiegelte Fensterfront kann man nicht hineinsehen, und der pompöse Eingang mitsamt rotem Teppich und zwei Türstehern, die den Blick eisern in die unendlichen Weiten des Universums gerichtet haben, vermittelt nicht nur den Eindruck von Exklusivität, sondern signalisiert auch eindeutig, dass man hier willens und in der Lage ist, jeden ungebetenen Besucher abzuweisen. Hoffentlich komme ich überhaupt rein. Oder sollte ich besser darauf hoffen, dass nicht?

      Während die beiden Türsteher mich gekonnt weiter ignorieren, öffnet ein sehr junger Italiener die Eingangstür, kaum dass ich mich dieser nähere, und kommt mir über den roten Teppich entgegen. Er ist überkorrekt mit schwarzem Anzug und Fliege gekleidet und könnte durchaus als Modell für eine Statue von Michelangelo durchgehen, wäre da nicht diese leicht schiefe Nase mit einem dunklen Schatten an einer Seite.

      »Signorina Jennings?«, überrascht er mich. »Sie werden erwartet.«

      Ich folge ihm in das Innere des Restaurants, das aus einer Ansammlung lauschiger Nischen besteht, die durch luftige Vorhänge voneinander getrennt sind. Ich zweifle allerdings nicht daran, dass bei Bedarf rasch für mehr Privatsphäre gesorgt werden kann. Im Augenblick sind nur wenige Gäste im Lokal, und ich erwarte eigentlich, dass Christine an einem der runden Tische mit den schweren weißen Leinendecken sitzt. Doch dann entdecke ich meine Chefin mit ihrer auffälligen Löwenmähne und dem eng geschnittenen Kostüm an der Bar. Mir ist eiskalt.

      »Mayra, na endlich! Herrn Silvers sollte man nicht warten lassen.«

      Aha?

      »Wenn die Damen bitte mitkommen wollen?«

      Ehe ich mich versehe, haben wir den Gastraum durch eine unauffällige Tür wieder verlassen und folgen dem jungen Italiener durch ein Wirrwarr von breiten Gängen. Unsere Absätze klackern auf dem glänzenden Marmorboden, während unser Führer sich fast lautlos bewegt. Ich hätte ja die Küche des Blue Parrot hier hinten erwartet, stattdessen scheint es eine Unmenge weiterer Räumlichkeiten zu geben, die das reinste Labyrinth bilden. Je tiefer wir in die Eingeweide des Gebäudes vordringen, desto stärker wird das ungute Gefühl in meiner Magengegend. Ich schiele zu Christine hinüber, doch deren Gesicht verrät nichts. Bei mir hingegen verstärkt sich mit jedem Schritt die Befürchtung, zu meiner eigenen Hinrichtung geführt zu werden.

      Wir biegen mehrmals ab, der junge Mann in dem dunklen Anzug öffnet etliche Türen für uns, bis wir schließlich zu einer breiten Treppe gelangen, an deren Ende uns eine dicke Glastür mit den eingravierten Buchstaben Alpha Salvage – Unternehmensberatung erwartet.

      Das macht jetzt allerdings nicht den Eindruck, als hätte Christine vor, mich mit meinen Jugendsünden zu konfrontieren. Trotzdem fühle ich mich hier extrem unwohl. Wir werden in ein Vorzimmer geleitet, wo uns eine Sekretärin wie aus dem Bilderbuch erwartet. Mittleres Alter, die Föhnfrisur mit tonnenweise Haarspray fixiert, Perlenkette, dezentes Kostüm.

      »Ich sage Herrn Silvers sofort Bescheid«, zwitschert sie, entschwindet durch eine Tür – und taucht nicht mehr auf.

      Gerne würde ich Christine ja fragen, um was es hier geht, aber die wehrt jeden Versuch, ein Gespräch zu beginnen, mit einer unwirschen Handbewegung ab und verschickt eifrig Nachrichten von ihrem Smartphone. Ich habe nichts zu verschicken, also bleibt mir nichts übrig, als die spartanische Einrichtung zu mustern. Mann, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Annabels Akten mitgenommen!

      Gerade als ich anfange zu glauben, dass man uns garantiert vergessen hat, taucht die Sekretärin wieder auf.

      »Herr Silvers erwartet Sie.«

      Keine Ahnung, was ich erwartet habe. Zunächst bin ich einfach nur froh, dass ich den Mann, der sich doch noch bequemt hat, uns zu empfangen, nie im Leben gesehen habe und ich mir endlich sicher sein kann, dass es hier definitiv nicht um mich geht. Zum Glück!

      Herrn Silvers’ Büro ist ungefähr fünfmal so groß wie meine ganze Wohnung. Das muss allerdings so sein, denn nur so kommt der schwere Konferenztisch aus poliertem Holz richtig zur Geltung. Ob man das Gebäude um den imposanten Tisch herum errichten musste? Überhaupt ist alles hier riesig: der Schreibtisch im hinteren Teil des Raumes, das Ölgemälde einer italienischen Stadt dahinter, die lange Fensterfront – und der Mann, der uns an dem Besprechungstisch erwartet.

      Er trägt einen perfekt sitzenden dunklen Anzug, der bei diesen breiten Schultern einfach maßgeschneidert sein muss. Das schwarze Hemd und eine ebensolche Krawatte komplettieren den finsteren Look, obwohl er seine dunkelblonden, glatten Haare um einiges länger trägt, als es normalerweise bei Geschäftsleuten üblich ist. Wirklich gruselig sind aber die breiten silbernen Ringe, die seine Hände schmücken und die eher an die Finger eines Rockers passen würden. Ebenso wie seine Manieren, denn Herr Silvers hält es nicht für nötig, aufzustehen oder uns gar entgegenzugehen, sodass ich alle Zeit der Welt habe, ihn zu mustern, während wir über das glänzende Parkett, das jedem Ballsaal alle Ehre machen würde, auf ihn zugehen.

      »Nehmen Sie Platz.«

      Seine Stimme ist befehlsgewohnt und hat einen dunklen Unterton, der mir unwillkürlich einen Schauer über den Rücken jagt. Obwohl der durchaus auch von meinem wachsenden Unmut herrühren könnte, denn ein freundlicher Handschlag ist ebenso wenig vorgesehen wie eine Entschuldigung für die lange Wartezeit. Ungehobelter, arroganter Blödmann!

      Ich beiße die Zähne zusammen und nehme neben Christine auf einem der Stühle Platz, die auf der Längsseite des Tisches Herrn Silvers gegenüber bereitstehen. Dass diese reichen Typen glauben, sie könnten sich alles erlauben, weiß ich nur zu gut. Er wird schon entgegenkommender werden, wenn sich erst herausstellt, welcher Straftat er sich schuldig gemacht hat. Steuerhinterziehung, rate ich.

      Es ist in München fast nicht möglich an Steuerhinterziehung zu denken, ohne dass einem dabei der ehemalige Manager des FC Bayern in den Sinn kommt. Selbst wenn dieser Typ hier nicht so prominent ist, wenn es um ähnlich viel Geld geht, wird sich dieser Fall verdammt gut in meiner Vita machen, auch wenn ich nur als Christines Assistentin fungiere. Ich zwinge mich zu einem Lächeln.

      »Wie ich bereits am Telefon sagte, geht es um ein umfassendes Vertragswerk zur Regelung der geschäftlichen Beziehungen zwischen Alpha Salvage und Bio Gieseke …«

      Gieseke? Das sind doch die Läden von diesem Koch. Der hatte mal eine erfolglose Show bei einem Privatsender, bis er die gesunde Ernährung für sich entdeckt hat, und unter den Augen von Tausenden Followern die Wandlung vom Grillmeister zum Vegetarier und schließlich zum Veganer vollzogen hat. Ich mag das nicht, dieses zur Schau gestellte Gutmenschentum, aber prominent ist der Gieseke auf jeden Fall. Wenn Herr Silvers Ärger mit dem hat, wirds echt interessant.

      »Herr Gieseke plant, seine Geschäftsbeziehungen über Europa hinaus auszuweiten, sodass einige grenzüberschreitende Verträge vorbereitet werden müssen.«

      Ich verstehe nicht ganz, was das mit uns zu tun hat. Das kann allerdings auch daran liegen, dass ich überhaupt zunehmend Schwierigkeiten habe, mich auf Herrn Silvers’ Ausführungen zu konzentrieren. Denn der unterhält sich zwar mit Christine, sieht dabei aber die ganze Zeit mich an. In seinen blaugrauen Augen scheint eine Herausforderung zu liegen, die ich nicht recht einordnen kann. Zu gerne würde ich wegsehen, aber ich denke gar nicht daran, wie ein nervöses Schulmädchen die Augen niederzuschlagen. Hoffentlich kommt er bald zu dem Punkt, an dem klar wird, wieso er eine Anwältin