Lucia Bolsani

Tosh - La Famiglia


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Silvers, das entspricht absolut nicht den üblichen Gepflogenheiten. Normalerweise werden alle Schriftsätze in unserer Kanzlei erarbeitet.«

      Ach, Schätzchen, das hatten wir doch schon. Wenn ich deinen Arsch hier in diesem Büro haben will, dann bleibt er genau da. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und verschränke die Hände hinter meinem Kopf. »Signorina Jennings«, sage ich sanft. »Keine Verträge von Alpha Salvage werden diese Büroräume verlassen, solange sie nicht unterschriftsreif sind.«

      »Na, dann wollen wir mal hoffen, dass nicht die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür steht, die sieht so was in der Regel nämlich anders.«

      Es gefällt mir, dass sie sich bemüht, nicht klein beizugeben. Welcher Jäger schätzt es schon, wenn das Wild sich ihm freiwillig vor die Füße wirft? »Ich beschäftige eine Anwältin für Wirtschaftsstrafrecht, außerdem habe ich mir nichts zuschulden kommen lassen. Da gehe ich doch davon aus, dass Sie derartige Unannehmlichkeiten zu verhindern wissen.«

      »Für meine Arbeit benötige ich außerdem diverse Nachschlagewerke, die in der Kanzlei selbstverständlich zur Verfügung stehen«, erklärt sie starrsinnig.

      Gelassen schiebe ich ihr einen Block und einen Kuli hin.

      »Dann notieren Sie die Bücher, die Sie benötigen, einer meiner Mitarbeiter wird sie besorgen.«

      »Herr Silvers, das ist teure Fachliteratur, die es nicht in der Buchhandlung um die Ecke gibt.«

      »Gut. Meine Angestellten mögen Herausforderungen, und sie sind es nicht gewohnt, mich zu enttäuschen.« Ich tippe ungeduldig auf den Block. »Was ist nun, brauchen Sie die Bücher, oder sind Sie einfach ein Trotzkopf, der mir das Leben schwer machen will?«

      Sie zuckt nicht einmal mit der Wimper. Mit welchen Gesten man seinem Gegenüber mehr über seine Gefühlslage verrät, als man möchte, kann man in Seminaren lernen. Es auch tatsächlich nicht zu tun, erfordert hingegen sehr viel Übung. In Gedanken füge ich »Wann hat sie das gelernt und wieso?« zu meinem Fragenkatalog hinzu.

      Eifrig füllt sie das Blatt, und ich nutze die Gelegenheit, um sie ausgiebig zu betrachten. Wie schon gestern finde ich sie einfach zum Anbeißen. Sie trägt heute ein pastellfarbenes Kostüm, sehr dezent, die Bluse bis zum obersten Knopf geschlossen. Doch ihre Weiblichkeit wird durch diesen Verzicht auf Offenherzigkeit nur noch betont. Ihre Haare sind mal wieder zu einem ordentlichen Knoten gedreht, und in ihren Ohrläppchen stecken winzige Perlenohrringe. Alles in allem ein Bild der Wohlanständigkeit, wie sie da so auf dem Besucherstuhl vor meinem Schreibtisch sitzt, die wunderbaren Schenkel fest geschlossen. Ich beobachte, wie sich ihr Busen bei jedem Atemzug hebt und senkt, während sie vermutlich alle juristischen Werke notiert, die ihr überhaupt in den Sinn kommen.

      Scheinbar ist es mir doch gelungen, ein wenig an dieser glatten Oberfläche zu kratzen, stelle ich amüsiert fest. Sonst würde sie wahrscheinlich daran denken, dass ja nicht ich mich mit dieser Liste herumärgern muss, sondern mein Personal. Diese hübsche Gelegenheit, ihr beizubringen, dass sie sich in Zukunft ihre Widerspenstigkeit lieber spart, kann ich mir unmöglich entgehen lassen.

      »Sehr gut«, sage ich, als sie mir den Block endlich wieder zurückgibt. »Nachdem wir uns auf den Arbeitsplatz einigen konnten, gehe ich davon aus, dass wir nun zügig ihr Aufgabengebiet besprechen können.« Ich lasse ihr gar keine Zeit zum Antworten, sondern fahre direkt fort: »Wie ich bereits sagte, streben wir Geschäftsbeziehungen mit Bio Gieseke an, die über die übliche Beratertätigkeit weit hinausgehen …«

      Sie lauscht aufmerksam, und eine kluge Rückfrage zeigt mir, dass sie durchaus geeignet für diesen Job ist, obwohl das umfangreiche Vertragswerk in Wahrheit nur dazu dienen soll, das eigentliche Geschäft mit Gieseke zu verschleiern. Ich drücke diskret den Knopf der Gegensprechanlage, und nur wenige Momente später steht meine Sekretärin neben meinem Schreibtisch.

      »Heute noch, Liliane!«, flechte ich in meine Ausführungen ein und reiche ihr Mayras Liste.

      Die erkennt ihren Fehler im selben Moment, während ich ungerührt weiter darüber spreche, welche Streitfälle ich in dem Vertragswerk geregelt haben möchte.

      Tja, herzlich willkommen in meiner Welt, Süße! Fair Play war gestern.

      Kapitel 8

      München-Laim, 28. Mai 2019, abends

      Sollte einer meiner Nachbarn aus dem Fenster unseres gediegenen Mehrfamilienhauses sehen, böte sich ihm das gleiche Bild wie an so vielen Abenden: Zielstrebig steuert die geschäftige Anwältin am Ende eines Arbeitstages ihre Wohnung an.

      Die Maske fällt in dem Moment, als ich meine Wohnungstür hinter mir schließe. »Fuck!«

      Die Handtasche fliegt quer durch den penibel aufgeräumten Flur und knallt an die Badezimmertür. Meine Hände zittern, als ich mir die Pumps von den Füßen ziehe, weit aushole und sie der Tasche hinterherwerfe. »Verfluchter Mistkerl!«

      Der Blazer ist ein schlechtes Wurfgeschoss und schafft es nur die Hälfte des Flurs hinunter. Ich zerre an der Haarspange und der Schmerz, als ich mir selbst an den Haaren reiße, lässt mich innehalten. Schwer atmend stehe ich vor dem Flurspiegel und betrachte mein blasses Gesicht. »Mieses Arschloch!«

      Ich hasse Tosh Silvers. Von ganzem Herzen! Was nie passieren dürfte, schließlich haben Emotionen in der Beziehung zu einem Mandanten nichts zu suchen. Das ist unangebracht und unprofessionell. Aber der Drecksack wollte mir eine Lektion erteilen, und, verdammte Scheiße, das hat er geschafft.

      Seine Sekretärin hat er nur angesehen, als wäre sie die größte Enttäuschung seines Lebens, weil ein Buch fehlte. Ein Buch bei dieser ellenlangen Liste von Fachbüchern! Die Arme wäre beinahe in Tränen ausgebrochen. Und der Italiener mit der Bodybuilderfigur, der die zwei monströsen Kartons ins Büro getragen hat, kam auch nicht ungeschoren davon.

      »Marco, soll Signorina Jennings wie ein kleines Kind in den Kisten kramen, wenn sie etwas benötigt?«, äffe ich meinen Mandanten nach. »Nein? Wo ist dann das passende Regal?«

      Marco wusste offenbar gar nicht, wie ihm geschah. Auf die Idee, seinen Chef darauf hinzuweisen, dass von einem Regal nie die Rede gewesen war, kam er jedenfalls nicht. Stattdessen ließ er die Zurechtweisung seines Arbeitgebers stoisch über sich ergehen und entschuldigte sich anschließend für sein Versäumnis. »Mieser Tyrann!«

      Dann dieser abgrundtiefe Seufzer, während sich Silvers mit zwei Fingern die Nasenwurzel massierte, als könnte er nicht glauben, von welch schlimmen Dilettanten er umgeben ist, bevor ich mit einem »Schluss für heute, Signorina Jennings, wir sehen uns Morgen um acht« entlassen wurde.

      »Sehen Sie nur, was Sie mit Ihrer Aufsässigkeit angerichtet haben!«, brauchte er nicht hinzuzufügen, das hatte ich auch so verstanden.

      Vielen Dank auch, Scheißkerl!

      Nachdem ich einen letzten frustrierten Schrei von mir gegeben habe, lasse ich mich erschöpft auf den Boden plumpsen. Vielleicht hatte Christine doch recht. Silvers ist gefährlich, aber ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe. Wenn das so weitergeht, bin ich ein Wrack, bevor die Verträge auch nur ansatzweise fertig sind – oder ich lande im Gefängnis, weil ich ihn mit juristischer Fachliteratur erschlage.

      Ich presse meine Wange gegen das kalte Glas des Spiegels. Keine Ahnung, weshalb Silvers ausgerechnet mich drangsalieren muss, aber die Botschaft ist angekommen. Ich soll das gehorsame Weibchen spielen? Warum nicht? Denkt er, ich bekomme das nicht hin? Oder dass mein Stolz darunter leiden würde? Pah! In Wahrheit habe ich meinen Stolz schon vor Jahren abgegeben – an der Garderobe des Blue Parrot, wenn ich mich recht erinnere.

      Ich schlafe schlecht und mache mich mit einem deutlichen Ziehen in der Magengegend am nächsten Morgen auf den Weg zu meinem neuen Arbeitsplatz. Wo Tosh Silvers mich damit überrascht, dass er geradezu höflich ist. Für seine Verhältnisse. Nicht dass »bitte« oder »danke« plötzlich Teil seines aktiven