George Sand

Geschichte meines Lebens


Скачать книгу

eine ruhige aber anhaltende Arbeitsamkeit, Ordnungsliebe, außergewöhnliche Reinlichkeit, viel natürlichen Verstand und Freimüthigkeit.

      Außer zwei oder drei Ausnahmen habe ich den Verkehr mit diesen ehrlichen Leuten nur angenehm gefunden — aber ich habe ihnen nie den Hof gemacht und sie nie durch das erniedrigt, was man Wohlthaten nennt. Ich habe ihnen Dienste erzeigt und sie erstatteten mir diese nach ihrem freien Willen, ihren Mitteln, ihrer Güte und ihrer Einsicht zurück. Sie sind mir nichts schuldig geblieben, denn eine kleine Hülfe, ein gutes Wort, ein Beweis wahrer Ergebenheit sind eben so viel werth, als das, was wir zu geben vermögen. Sie sind weder schmeichelnd, noch kriechend, und ich habe gesehen, wie sie täglich mehr gerechten Stolz zeigten und sich mehr vernünftige Freiheiten erlaubten, ohne je das Vertrauen zu mißbrauchen, das man ihnen schenkte. Sie sind ebensowenig rohe Menschen, sondern besitzen mehr Takt, Zurückhaltung und Höflichkeit, als ich unter denen gefunden habe, die man gut erzogene Leute nennt.

      Das war auch die Meinung meiner Großmutter über die Dorfbewohner, unter denen sie achtundzwanzig Jahre lebte, ohne je Veranlassung zur Klage zu haben. Deschartres mit seinem reizbaren Charakter und seiner leicht verletzbaren Eigenliebe, fand das Leben unter den Bauern jedoch weniger angenehm — ich habe ihn beständig über ihre List, Schelmerei und Dummheit klagen hören. Meine Großmutter suchte seine Mißgriffe wieder gut zu machen und man vergab ihm, um des Eifers und der Menschenliebe willen, die er im Grunde des Herzens trug, seine lächerlichen Prätentionen und sein aufbrausendes Temperament.

      Ich werde oft Gelegenheit haben, auf die „Landleute“, wie sie sich jetzt nennen, zurückzukommen, seit der Revolution ist nämlich die Benennung Bauer beleidigend geworden und gilt für gleichbedeutend mit Tölpel und Flegel.

      Mehrere Jahre brachte meine Großmutter in Nohant allein damit zu, die Erziehung ihres Sohnes unter Beihülfe Deschartres fortzusetzen und ihre materiellen Angelegenheiten zu ordnen. Ueber ihren geistigen Zustand spricht sie sich auf einem zu jener Zeit von ihrer Hand geschriebenen Blatte aus, das ich aufgefunden habe. Ich kann allerdings nicht dafür einstehen, daß die Gedanken ihr eigen sind, denn sie hatte die Gewohnheit, Fragmente zu copiren, oder sich Auszüge aus ihrer Lectüre zu machen; aber wie dem auch sei, die Reflexionen, die ich abschreibe, geben ein sehr gutes Bild von dem moralischen Zustande einer ganzen Klasse der Gesellschaft nach der Schreckenszeit.

      „Wenn Europa bei dem Anblicke aller Schrecken, deren Schauplatz Frankreich war, sich erlaubt, sie der besondern Gemüthsart und der angebornen Schlechtigkeit eines großen Theils des Volkes zuzuschreiben, so sind wir berechtigt, dies Urtheil zurückzuweisen. Gott behüte andere Nationen davor, jemals durch die Erfahrung belehrt zu werden, welcher Gewaltthätigkeiten die Menschen aller Länder fähig sind, wenn kein Band sie mehr fesselt, wenn das Räderwerk der Gesellschaft einen so heftigen Stoß erhalten hat, daß Keiner mehr weiß, wo er ist, nicht mehr dieselben Gegenstände sieht und seinen alten Ansichten nicht mehr vertrauen kann. Alles ändert sich vielleicht, wenn die Regierung besser wird, wenn sie sich befestigt und wenn sie darauf verzichtet, die Schwäche der Menschen zu mißbrauchen. — Ach! da unsere Erinnerungen uns tödten, laßt uns die Hoffnung aufsuchen; da unsere Gegenwart keinen Trost bietet, laßt uns der Zukunft zustreben! Und Ihr, Historiker, die Ihr das Urtheil der Nachwelt leitet, die Ihr es oft auf immer bestimmt, haltet ein mit Euern Darstellungen, bis Ihr deren Eindruck durch die Erzählung der Wiedergeburt und der Reue mildern könnt. Vollendet wenigstens Euer Gemälde nicht, bevor Ihr das erste Aufleuchten der Morgenröthe in der Tiefe dieser schrecklichen Nacht anzudeuten vermögt. Redet von dem Muthe der Franzosen, sprecht von ihrer Tapferkeit, und wenn es möglich ist, so werft einen Schleier über die Thaten, die ihren Ruhm befleckt und den Glanz ihrer Siege verdunkelt haben.

      Alle Franzosen fühlen die Ermüdung des Unglücks. Durch Ereignisse von übernatürlicher Stärke sind sie zerschmettert oder gebeugt, und nachdem sie so lange unter schwerem Drucke gelebt haben, sind ihnen alle Wünsche, die einem andern Zustande angehören, fremd geworden. Ihr Verlangen und ihre Erwartungen sind eng begrenzt, sie werden zufrieden sein, wenn sie an das Aufhören ihrer Sorgen glauben können, denn eine entsetzliche Tyrannei hat sie dahin gebracht, die Sicherheit des Lebens für eine besondere Wohlthat anzusehen.

      Der Gemeinsinn ist schwach geworden und wird noch lange hinsiechen — es ist die unvermeidliche Folge einer unerhörten Katastrophe, einer beispiellosen Verfolgung. Man hat sich so sehr mit eignem Leid genährt, daß die Gewohnheit verloren ist, an allgemeinen Interessen theilzunehmen. Wenn die persönliche Gefahr einen gewissen Punkt erreicht, verwirrt sie alle Verhältnisse und das Aufhören der Hoffnung verändert beinahe unser Wesen. Man bedarf ein wenig Glück, um sich der Liebe für das Allgemeine hinzugeben und man hat einen gewissen eignen Ueberfluß nöthig, um Andern etwas von sich selbst mittheilen zu können ...“

      Wer auch der Verfasser dieses Fragmentes sein möge — es ist nicht ohne Schönheit und meine Großmutter war wohl fähig, es zu schreiben. Wenigstens ist es der Ausdruck ihrer Gedanken, wenn sie sich auch nur die Mühe genommen hätte, es zu copiren. Auch ist Wahrheit in diesem Zeitgemälde und eine gewisse relative Gerechtigkeit in den Klagen derer, die ohne augenscheinlichen Nutzen gelitten haben. Endlich aber verräth es eine Art Größe, daß sie dem revolutionären Gouvernement nicht den Schaden vorwerfen, den sie an ihrem Leben gelitten hatten, sondern nur den ihrer Seele.

      Aber es zeigt sich darin auch ein offenbarer Widerspruch, der sich immer in dem Urtheile des Sonderinteresses bemerklich macht. Es wird gesagt, daß die Franzosen groß sind durch ihren Muth und ihre Siege und das setzt einen mächtigen Aufschwung des Patriotismus voraus, während zugleich der Verfasser die Niedergeschlagenheit und den Egoismus ausmalt, welche sich der nämlichen Franzosen bemächtigen, die durch eigne Leiden gegen fremdes Unglück unempfindlich geworden sind. — Es waren nicht dieselben Franzosen, daran liegt es. — Die Glücklichen von gestern, d. h. die, welche lange Zeit das Glück Andrer in der Hand hatten, bedurften einer großen Anstrengung, um sich an ein unsicheres Schicksal zu gewöhnen. Die Besten unter ihnen, wozu gewiß meine Großmutter gehörte, seufzten, daß sie nichts mehr zu geben hatten und Leiden sehen mußten, die sie nicht mehr lindern konnten. Indem man es ihnen unmöglich machte, die Wohlthäter der Armen zu sein, betrübte man sie tief und die Segnungen der neu entstehenden Gesellschaft waren noch zu wenig bemerklich. Sie konnten es um so weniger sein, da diese Wiedergeburt im ersten Keime erstickte, die Bourgeoisie die Oberhand gewann, und da zu der Zeit, als meine Großmutter die Gesellschaft beurtheilte, sie sich, ohne es zu wissen, am Todeskampfe der Rechte und Hoffnungen des Volkes betheiligte.

      Was die Franzosen des Heeres betrifft, so waren sie nothwendigerweise die Freunde von Allem, was in Frankreich geblieben war. Sie vertheidigten das Volk, die Bourgeoisie und den patriotischen Adel. Als heldenmüthige Märtyrer der Freiheit hatten sie die in jeder Hinsicht und zu allen Zeiten unzweifelhaft ruhmvolle Aufgabe, das Vaterland zu schützen; und gewiß war das heilige Feuer auf dem Boden Frankreichs, der in einem Augenblicke solche Armeen hervorbrachte, nicht erloschen.

      Als Gegensatz der eindringlichen Klage, welche ich eben mitgetheilt habe, werde ich neue Fragmente aus dem Briefwechsel meines Vaters anführen, in denen wir sehen, wie sich nach der strengen Herrschaft der Convention die Oberfläche des Lebens darstellt. Dies Bild widerlegt die traurigen Vorhersagungen des ersten Fragmentes. Wir sehen darin den Leichtsinn, die Trunkenheit, die tollkühne Sorglosigkeit der Jugend, die begierig ist, die Vergnügungen wieder zu gewinnen, deren sie so lange beraubt war; wir sehen den Adel halbtodt und halb zu Grunde gerietet nach Paris zurückkehren, weil er den Anblick des Triumphes der Bourgeoisie der einförmigen Lebensweise auf seinen Schlössern vorzieht; der Luxus wird durch die neuen Gewalten als Mittel der Reaktion gebraucht; das Volk selbst verliert den Kopf und bietet die Hand zur Rückkehr der Vergangenheit. Frankreich bot zu jener Zeit den sonderbaren Anblick einer Gesellschaft, die sich von der Anarchie befreien will und die noch nicht weiß, ob sie sich der Vergangenheit bedienen, oder ob sie auf die Zukunft rechnen soll, um die Formen wiederherzustellen, welche Ordnung und persönliche Sicherheit garantiren. Der Gemeinsinn verschwand, er lebte nur im Heere. Die Reaktion sogar, diese royalistische Reaktion, die eben so grausam und eben so blutig war, als die Maßlosigkeit der Jacobiner, fing an sich zu beruhigen. Die Vendée hatte im Berry, bei dem Treffen von Pallnau (Mai 96) den letzten Seufzer ausgehaucht. Ein royalistischer Anführer Namens Dupin, der aber meines Wissens nicht mit uns verwandt war, hatte diesen