George Sand

Geschichte meines Lebens


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Hochmuth der Großen waren das bittere Lehren.

      Aber ich sagte schon früher, daß meine Großmutter zu frei von Vorurtheilen war, um bei dem Gedanken zu erröthen, daß sie ihre bürgerliche Wiederherstellung dem guten Betragen eines Dieners verdankte. Gleichwohl theilte sie dessen Ansichten nicht, und war weit entfernt, deren gesellschaftliche Consequenzen anzuerkennen. Sie übersiedelte nun zu Anfange des Jahres III nach Nohant, begleitet von ihrem Sohne, Deschartres, Anton und Demoiselle Roumier, einer alten Wärterin, die meinen Vater großgezogen hatte und immer mit der Herrschaft speiste. Auch Nerina und Tristan wurden nicht vergessen.

      Während ich neulich in dieser Sammlung von Erinnerungen Nerina's Geschichte schrieb, fand mein Sohn Moritz auf einem der Böden unseres Hauses, das Schild vom Halsbande dieses interessanten, kleinen Thieres. Es trägt die Inschrift: „Ich heiße Nerina und gehöre Madame Dupin in Nohant, bei la Châtre,“ Wir haben diesen Gegenstand wie eine Reliquie aufbewahrt. In den Papieren meines Vaters von 1796 finde ich Nerina's Nachkommenschaft erwähnt: sie bestand aus Tristan, dem armen Kinde der Schreckenszeit, dem Gefährten des Exils, und aus dessen nachgeborenen Schwestern, Spinette und Belle. Nerina ist auf dem Schooße ihrer Herrin gestorben, und unter einem Rosenstrauche im Garten begraben oder verscharrt, wie der alte Gärtner zu sagen pflegte, der, als ein Purist des Berry, das Zeitwort begraben nie auf ein anderes Geschöpf, als auf einen getauften Christen angewendet haben würde.

      Nerina starb früh, weil sie ein zu bewegtes Leben gehabt hatte; Tristan dagegen erreichte ein außergewöhnliches Alter. Durch ein sonderbares Zusammentreffen stimmte sein zärtliches, melancholisches Wesen mit seinem Namen überein, und er war eben so ruhig und nachdenklich, als seine Mutter lebhaft und rührig war. Meine Großmutter zog Tristan allen Nachkömmlingen Nerina's vor, denn wenn wir eine schwere Krisis überstanden haben, fassen wir für alle Wesen, selbst für die Thiere, welche sie mit uns durchlebten, eine besondere Zuneigung. So wurde auch dieser Hund besonders gepflegt, und lebte fast eben so lange, als mein Vater; denn ich erinnere mich, in meiner ersten Kindheit mit ihm gespielt zu haben, obwohl er sich nicht leicht dazu hergab, und immer aussah, als versenkte er sich in die Erinnerungen der Vergangenheit.

      Ich weiß das Datum der Begebenheiten, die ich erzähle, nicht immer genau anzugeben, aber ich besitze einen Brief, den meine Großmutter am 1. Brumaire des Jahres III. (October 1794) von der Verwaltungsbehörde des Distrikts la Châtre erhielt. Er trägt die Ueberschrift: „Einheit und Untheilbarkeit der Republik, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder der Tod.“ Die Republik war dem Geiste nach bereits gestorben, aber ihre Formeln wurden festgehalten. Die Zuschrift lautet: „An die Bürgerin Dupin.“

      „Wir senden Dir die Abschrift des Kaufcontractes, welchen am 3. August (nach alter Rechnung) Piarou mit Dir abgeschlossen hat und ein Verzeichniß der Forderungen, welche er an Dich macht ec. Gruß und Brüderlichkeit“ — dann folgen die Unterschriften dreier Spießbürger.

      Wie glücklich fühlten sich diese guten Leute, diese großen Kinder, die sich am Tage vorher emancipirt hatten, indem sie zu der bescheidenen Besitzerin von Nohant Du sagen und den Mann kurzweg Piarou nennen konnten, der für sie früher der Herr Graf von Serennes gewesen war. Meine Großmutter lächelte darüber und fühlte sich nicht beleidigt; aber sie bemerkte, daß die Bauern zu diesen Herrn nicht Du sagten und freute sich, daß ihr Tischler sie ohne Umstände so nannte, denn sie erblickte darin einen freundschaftlichen Vorzug, dessen sie sich mit einiger Schalkheit bewußt war.

      Dieser Tischler war damals Einnehmer der Gemeinde, ein kühner, umsichtiger Republikaner und sein Leben lang unser treuer Freund, dessen letzten Seufzer ich empfangen habe. Meine Großmutter befand sich eines Tages mit ihrem Sohne in seinem Hause, als zwei weinselige Bürger von la Châtre vorüberkamen und es sehr verdienstlich fanden, ein Weib und ein Kind zu insultiren, sie mit der Guillotine zu bedrohen und sich das Ansehen eines kleinen Robespierre zu geben, obwohl gerade sie, in Uebereinstimmung mit ihren Standesgenossen, diesen Robespierre und die Revolution vernichtet hatten. Mein Vater, der erst 16 Jahre alt war, stürzte ihnen entgegen, ergriff die Zügel des einen Pferdes und befahl ihnen abzusteigen, um sich mit ihm zu schlagen. Godard, der Tischler und Einnehmer, kam ihm zu Hülfe, bewaffnet mit einem großen Schrägemaaße, womit er, wie er sich ausdrückte, diese Herren „ausmessen“ wollte. Aber die Herren antworteten nicht auf die Herausforderung und sprengten davon, — ihre Trunkenheit mag sie entschuldigen. Jetzt (1847) sind sie eifrig conservativ und königlich gesinnt — doch sie sind alt und ihr Alter mag sie rechtfertigen.

      Ihr Zorn wird übrigens durch eine besondere Ursache erklärlich. Der Eine von ihnen war durch die Bezirksregierung, während der gesetzlichen Ueberwachung der Verdächtigen, zum Verwalter der Einkünfte des Gutes Nohant ernannt. Er hatte es angemessen gefunden, sich diese anzueignen und meiner Großmutter verfälschte Rechnungen vorzulegen; diese hatte ihn verklagt und er wurde zur Wiedererstattung verurtheilt. Aber der Prozeß währte zwei Jahre und während dieser Zeit war meine Großmutter zur größten Einschränkung gezwungen, denn sie bezog nur die Einkünfte des Gutes, welche sich damals nicht auf 4000 Franks beliefen, und mußte noch dazu eine Summe zurückzahlen, die sie im Jahre 93 geliehen hatte, um den erzwungenen Anleihen der Republik und den sogenannten freiwillligen Beiträgen zu genügen. Zwar ordneten und verbesserten sich ihre Verhältnisse nach und nach, aber von der Revolution an beliefen sich ihre jährlichen Einkünfte nie auf 15,000 Franes.

      Doch da sie eine bewunderungswürdige Ordnung besaß, und sich mit großer Ergebenheit in die bescheidene Lebensweise fand, welche ihr durch die Verhältnisse vorgezeichnet wurde, kam sie vollständig damit aus und ich habe sie oft mit Lachen versichern gehört, daß sie nie so reich gewesen wäre, als in ihrer Armuth.

      Ich will nun aber auch etwas von dem Gute Nohant erzählen, wo ich aufgewachsen bin, wo ich fast mein ganzes Leben zugebracht habe und wo ich einst zu sterben wünsche.

      Der Ertrag des Gutes ist gering; die Wohnung ist einfach und bequem und die Umgebungen sind ohne Schönheit, obwohl Nohant im Mittelpunkt der vallée-noire — eines weiten wunderschönen Thales — gelegen ist. Aber gerade diese Lage in dem flachsten, niedrigsten Theile des Thales, inmitten eines fruchtbaren Weizenbodens, beraubt uns der reichen Abwechselung und der umfassenden Aussicht, welche die Abhänge und Höhen gewähren. Wir haben zwar einen blauen Horizont, ein hügliches Land rings umher und im Vergleich mit der Beauce und der Brie ist die Aussicht hübsch zu nennen, aber im Vergleich mit den Schönheiten, die wir erblicken, wenn wir bis zu dem versteckten Bette des Flusses hinabsteigen — im Vergleich mit der reizenden Fernsicht, die sich vor uns ausbreitet, wenn wir die Hügel ersteigen, von denen das Land umrahmt wird, scheint unsere Landschaft nackt und beschränkt.

      Aber wie dem auch sei, sie gefällt uns und wir lieben sie.

      Meine Großmutter liebte sie ebenfalls, und mein Vater rettete sich aus seinem vielbewegten Leben oft hierher, um einige Stunden der Ruhe zu genießen. Diese durchfurchte, fette, braune Erde, diese mächtigen Nußbäume, die schattigen Wege und das wilde Gesträuch, dieser grasbewachsene Kirchhof, der kleine mit Ziegeln gedeckte Glockenthurm, die antike Halle, die großen morschen Ulmen, die kleinen Bauerhäuser, umgeben von hübschen Hecken, Weinlauben und grünen Hanffeldern — alles dies wird dem Auge angenehm und der Erinnerung theuer, wenn man lange in der friedlichen, bescheidenen und stillen Umgebung gelebt hat.

      Das Schloß, wenn man es so nennen will — denn es ist nur ein mittelgroßes Haus aus der Zeit Ludwigs XVI. — ist nicht prunkvoller als eine ländliche Wohnung und stößt an das Dörfchen und den Communplatz. Die Feuerstellen der Gemeinde, zwei bis dreihundert an der Zahl, liefen weit zerstreut, aber etwa zwanzig drängen sich, so zu sagen Wand an Wand um das Haus — und man muß mit diesen wohlhabenden und unabhängigen Bauern, die in unser Haus treten, wie in ihr eigenes, in guter Eintracht zu leben suchen. Wir haben uns immer wohl dabei befunden — und obwohl die Gutsbesitzer sich gewöhnlich über die Nachbarschaft der Häusler beklagen, so sind die Unannehmlichkeiten, welche die Kinder, Hühner und Ziegen dieser Nachbarn uns bereiten, doch sehr gering gegen den Vortheil, den uns ihre Gefälligkeit und Gutherzigkeit gewähren.

      Die Einwohner von Nohant, alle Bauern und kleine Grundbesitzer (man wird mir erlauben Gutes von ihnen zu reden, weil ich ausnahmsweise behaupte: daß der Bauer ebensowohl guter Nachbar als Freund sein kann), verbergen