Robert Hoffmann

Die unbeschriebene Welt


Скачать книгу

stehen zwei alte Stühle und ein winziger Tisch. Die gelben Wände und die großen Fenster geben dem Gebäude ein schlichtes, aber dennoch idyllisches Aussehen. Will klopft an die Tür, da fällt mir der glänzende Knauf ins Auge. Er hat die Form einer Blume aus poliertem Metall. In den Blättern sind rote Steineinlagen eingearbeitet. In der Blütenmitte schimmert ein Schmetterling in einer runden Glasverzierung.

      »Ja, immer herein«, höre ich eine Frauenstimme rufen. Noch bevor Will reagiert, packe ich den Knauf und öffne die Tür. Wir betreten einen kurzen Korridor. Zur linken Seite liegt ein großer Raum, in dem eine Frau mit langen, dunkelbraunen Haaren an einem massiven Esstisch sitzt.

      »Hallo Will, kommt rein und setzt euch«, sagt sie.

       Auf dem Tisch stehen ein Topf, eine Schale und etwas Brot. Sie schöpft sich mit einer Kelle Suppe in die Schale. Der Tisch ist umgeben von zwei einfachen Bänken. Das Fenster hinter ihr zeichnet eine leuchtende Kontur auf ihren Körper und taucht das Zimmer in ein helles Gelb. Ein würziger Geruch von Muskat und Orange liegt in der Luft. Will setzt sich ihr gegenüber und deutet mir an, mich danebenzusetzen.

      »Maria, ich hab jemand Neues gefunden, oben am Wasserfall«

      »Mensch Will, dort ist alles sehr instabil. Sei bloß vorsichtig!«

       Ihre durch eine Haarsträhne verdeckten Augen springen kurz zu mir und zurück zu Will.

      »Ich mag es nicht, wenn du jemand Neues sagst. So etwas kann einem fraglos Angst einflößen. Mir hat es damals Angst gemacht«, erwidert sie und greift zum Löffel neben der Schale. »Kennst du schon deinen Namen?«

      »Ja, Paul«, sage ich und lege meine Ellenbogen auf den Tisch.

      »Hat dich Will schon aufgeklärt?«

      »Er hat mir von dem Brunnen erzählt und das sich hier niemand mehr erinnern kann.«

      »Und von der Schmiede«, fügt Will an.

      Ich nicke. »Ja, und dem Tog, aber sicher gibt es hier noch so einiges, von dem niemand mehr weiß, wo es eigentlich herkommt.«

       Wieder springen ihre Augen kurz zu mir, diesmal begleitet von einem Lächeln. Will fängt an, ausschweifend zu gestikulieren.

      »Es hat mich beinahe oben erwischt auf der Treppe. Aber zum Glück kam mir Paul zur Hilfe, ansonsten wäre ich womöglich immer noch dort eingeklemmt oder längst von nem Brocken erschlagen.«

      »Alleine sollte dort niemand mehr hingehen«, erwidert sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

      »Also, ich mag ja hin und wieder übertreiben ... aber diesmal stimmt es aufs Wort: Paul ist ein Held!«, meint Will.

      »Ein Freund«, füge ich schnell hinzu.

       Er schüttelt den Kopf.

      »Und ein Held. Völlig erinnerungslos hat er keine Sekunde gezögert.«

      »Will übertreibt, es war nur ein Felsbrocken, den ich wegräumte.«

       Maria streicht sich die Haare aus dem Gesicht, große braune Augen kommen zum Vorschein.

       Er blickt auf die Schüssel.

      »Das duftet aber gut. — Nun braucht er natürlich ne Bleibe.«

       Sie nimmt ein Stück Brot, zerteilt es in kleine Stücke und lässt sie in die Suppe fallen.

      »Dort drüben sind ein paar Schalen, bedient euch ruhig«, erwidert sie. »Soso, ein Held. Ja sicher, lass uns nach dem Essen zum Brunnen gehen. Hinten an der Bellusbrücke ist noch viel Platz, da werde ich dir was einrichten.«

       Will holt das Geschirr herüber und füllt uns jeweils die Schalen auf. Ich nehme mir etwas Brot und tunke es hinein. Die Suppe ist rötlich, sämig und hat einen leicht fruchtig-süßen Geschmack. Ich merke, wie eine würzige Schärfe im Gaumen emporsteigt — nicht zu stark, sondern genau richtig und mit nichts zu vergleichen, an das ich mich erinnern kann. Während ich versuche, die Suppe nicht zu gierig zu verschlingen, berichtet Will noch einmal in allen Einzelheiten von den Ereignissen am Wasserfall.

      Als wir zum Brunnen aufbrechen, hat sich die Dämmerung auf die Stadt gelegt. Maria übernimmt mit schwungvollem Schritt die Führung. Wir gehen über den mittlerweile leer gewordenen Platz. Sie wirkt sportlich, ich schätze sie auf Ende dreißig. Hohe Wangenknochen umrahmen ihre intelligenten Augen. Die schulterlangen, dunkelbraunen Haare fallen strähnig in einem Bogen herab. Sie trägt ein dunkelrotes Kleid mit langen Ärmeln und einer Kordel um die Hüfte.

      »Wie kann der Brunnen dabei helfen, ein Haus einzurichten?«, frage ich.

       Sie gestikuliert und zeichnet mit den Fingern ein Rechteck in die Luft.

      »Über die Konsole am Brunnen können wir die Stadt verwalten und Bauaufträge erteilen«, erklärt sie.

      »Und dann?«

      »Das ... ist nicht leicht zu erklären. Die Wände wachsen gewissermaßen aus dem Boden. Ich denke, es ist eine Art von intelligentem Bauschaum.«

      »Und der kommt einfach so aus der Erde?«

       Sie schüttelt den Kopf.

      »Nein, nur an vorbestimmten Stellen. Wenn man genau hinschaut, kann man sie erkennen. Er schiebt sich heraus und baut Schicht für Schicht das Haus auf. Präzise in die Form, die ich an der Konsole eingebe«, erklärt sie und versucht, den Vorgang mit den Händen zu veranschaulichen.

      »Beeindruckende Technologie«, bemerke ich.

      »Fraglos beeindruckend«, erwidert sie. »An der Konsole kann ich vorgegebene Segmente zusammenstellen oder alles selbst errichten. Ich kann sogar Abschnitte wieder verflüssigen und umbauen.«

       Wir bewegen uns unter einem dunkelgrauen Himmel direkt auf den Zylinder zu.

      »Ja, und Wasseranschluss, Küche, Bad und Heizung sind integriert«, fügt sie an.

      »Aber wie kann so etwas aus einem Bauschaum erzeugt werden?«

      »Soweit wir wissen, gibt es mehrere Sorten davon. So werden die Fliesen und Leitungen von einer Art Keramik gegossen. Fensterscheiben von wieder einer anderen Sorte von Bauschaum ... also ich gebe zu, das Wort trifft es irgendwie nur ungenügend.«

       Wir erreichen den Brunnen, und ich nehme eine der blauen Kugeln aus dem Becken.

      »Und wozu sind diese Dinger da?«

      »Die Globen, wie wir sie nennen, sind gewissermaßen Energiebehälter. Alles hier wird über die Globen mit Energie versorgt. Dazu gibt es diese runden Öffnungen«, erklärt sie und zeigt auf ein Loch auf Hüfthöhe, mitten in der silbernen Säule.

      »Für dein Haus werde ich vier Globen benötigen«, meint sie.

      »Verstehe, so etwas wie Batterien. Wo kommen die Globen her?«

       Maria stellt sich auf die Plattform vor dem Zylinder.

      »Batterien ... was für ein lustiges Wort, das habe ich lange nicht mehr gehört«, murmelt sie. »Die Globen werden allem Anschein nach von dem Brunnen produziert. Wie genau, wissen wir nicht.«

       Sie berührt mit ihren Fingern die Zylinderwand. Es erscheinen weiße Kreise an den Fingerspitzen und quadratische Symbole direkt darüber.

      »Die Bedienung beruht auf einer Symbolsprache, die wir erst zum Teil verstehen«, erklärt sie und schaut konzentriert auf die Eingabefläche.

      »Also, ich hab bei diesen Symbolen noch nie durchgeblickt«, bemerkt Will.

      Ihre Finger gleiten geübt über die Oberfläche. Es erscheint eine Abfolge von weiteren Zeichen, dann erkenne ich eine Karte, die wie ein Stadtplan aussieht. Darin befindet sich ein blinkendes Quadrat an einer Kreuzung.

      »Ich gebe dir zwei Etagen am Bellusplatz. Jetzt brauche ich die Globen«, sagt sie und deutet in das Becken. Ich nehme vier von den blauen Kugeln aus dem Brunnen und reiche sie ihr. Sie beugt sich vor; ihr Kleid flattert im Wind, da bemerke ich etwas Metallenes — eine Stange mit Drähten — wo eigentlich ihr linkes Bein sein sollte. Sie blickt mich kurz