Robert Hoffmann

Die unbeschriebene Welt


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zum Schreiben«, meint sie und hilft mir, die Sachen von dem Karren ins Haus zu tragen, »sind Stift und Papier, nun ja, ein wenig aus der Mode gekommen. Wir benutzen dafür solch silberne Leuchttafeln. Wir nennen sie einfach nur: Q

      »Ach so, dazu sind sie da. Ich glaube, ich habe welche im Bona-Fama gesehen.«

      Sie nickt. »Richtig. Allerdings, wenn wir zur Schmiede gehen, kommen wir sowieso an meinem Haus vorbei, da kann ich dir gleich ein Q und eine Tasche geben.«

       Sie lächelt und mir fällt auf, dass es dazu keines bestimmten Anlasses bedarf, es ist schlicht ihr Gesichtsausdruck, ihr Wesenszug.

      »Wie geht es Sebastian? Konntest du gestern noch Jules finden?«, frage ich.

       Maria erstarrt kurz in ihrer Bewegung und presst die Lippen zusammen.

      »Sebastian ist ... gestern von uns gegangen.«

      »Das tut mir leid!«

       Sie schüttelt andeutungsweise den Kopf.

      »Es ist nicht allein wegen Sebastian. Natürlich, er war ein warmherziger und immer fröhlicher Mensch. Ein großer Verlust. Aber es erinnert mich daran, dass wir in Memoria immer weniger werden ... wir sterben aus, Paul.«

      »Will hat mir davon erzählt. Was denkst du, warum nur noch selten Neuankömmlinge hier aufwachen?«

      »Das ist eine gute Frage. Hat dir Will auch schon erzählt, dass der Tag hier vier Stunden länger ist?«

      »Ja, aber ich kann das kaum glauben«, entgegne ich, beuge mich über die Ladefläche und schiebe den Tisch nach vorn.

      »Es stimmt. Nun ja, dennoch fasse ich die Tage gerne in Jahren zusammen, auch wenn mich Sid immer damit aufzieht«, erklärt sie. »Die allermeisten sind hier vor über 5 Jahren aufgewacht, dann im Verlauf des ersten Jahres kamen über zweihundert dazu, darunter auch ich. Von da an endete es abrupt. Und vor einem Jahr tauchte Jules auf, ja, und nun du.«

       Sie greift den Tisch am anderen Ende, und wir tragen ihn ins Haus.

      »Hat jemand solch eine Ankunft beobachtet?«

      »Nein, leider nicht. Alle wachen irgendwo am Wasserfall auf, meistens so wie du auf dem Plateau. Anfangs untersuchten wir die Gegend, konnten aber nichts Besonderes finden. Mittlerweile schaut nur noch Will gelegentlich vorbei.« Wir stellen den Tisch mitten im Wohnzimmer ab. »Versuche ihm das bitte auszureden, die Konstruktion dort ist zu instabil«, fügt sie an und zupft sich ihr Kleid zurecht. Ich nicke, obwohl ich mehr denn je motiviert bin, mir das Gebiet anzuschauen. Wenn dort die meisten aufgetaucht sind, muss es einen Grund dafür geben.

      »Ich hab oben in der Kammer, hinter dem Wasserfall, so eine silberne Wand mit Symbolen gesehen.«

      »Ja, die Konsole. Wir haben schon alles probiert, sie zeigt immer die gleiche Sequenz. Vermutlich ist sie einfach defekt.«

      Auf dem Weg durch die Stadt wird Maria immer wieder in Gespräche verwickelt. Einige möchten ihre Häuser umbauen, andere fragen nach dem Ertrag der letzten Ernte. Je näher wir dem Brunnenplatz kommen, desto mehr füllen sich die Straßen. Mir fallen wieder die Häuser mit den geöffneten Erdgeschossen auf. In einem ist ein Friseur bei der Arbeit, in einem anderen bietet jemand Früchte an, daneben gibt es Brot, und ein weiterer malt an einem Gemälde.

      »Der Brunnenplatz ist euer Marktplatz?«, frage ich.

      »Gewissermaßen. Einige wollten ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen und fragten mich, ob ich ihr Haus, mithilfe des Brunnens, im Erdgeschoss öffnen könne. Mit der Zeit schlossen sich immer mehr an. Das war fraglos, eine unserer besten Ideen. Es gab uns ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl.«

       Mit einem Mal bleibt eine junge blonde Frau vor mir stehen.

      »Oh! Das steht dir ausgezeichnet, ganz fantastisch!«, schallt es aus ihr heraus. Sie zeigt auf meine grüne Jacke aus dem Bona-Fama.

      »Die gelben Nähte mit dem kurzen Kragen, das passt zu deinen braunen Haaren«, bekräftigt sie und streicht über die Jacke. »Du musst Paul sein. Will hat mir schon alles über dich erzählt. Der Held vom Wasserfall.«

       Sie ist einen Kopf kleiner als ich und trägt ein blaues Kleid, das ihre weibliche Figur elegant betont. Ihre dunkelblauen Augen werden von einer geschwungenen Nase und kurvigen Lippen untermalt. Tatsächlich, Will hatte nicht übertrieben, sie hat etwas Engelhaftes.

      »Du bist dann sicher Mina?«, erwidere ich.

      »Richtig! Gut angezogen und auch noch blitzgescheit. Maria, da braucht er bald ein größeres Haus«, erwidert sie laut lachend.

       Ich will antworten, doch sie fährt mit lauter Stimme fort.

      »Du benötigst selbstredend mehr Kleidung, ich habe einiges auf Lager, für drunter und drüber. Kommt doch gleich mit zu mir, dann kann ich bei Paul sofort Maß nehmen.«

      »Später vielleicht. Paul will sich die Schmiede ansehen«, wirft Maria ein.

      »Ach so, ihr seid auf einem Besichtigungsrundgang ... gut, gut. Paul, erwarte da nicht zu viel. Die Schmiede mag praktisch sein, aber sie ist unsagbar langweilig.«

      »Will hat gemeint, ich soll sie mir unbedingt anschauen.«

      »Sicherlich, schau sie dir an. Aber wie gesagt, dort gibt es nur Bänder, Röhren und Kontrolltafeln.«

      »Und Sid«, meint Maria.

      »Stimmt, Sid. Er ist ganz besessen von der Schmiede ... aber ich will mich nicht beklagen. Er versorgt mich mit feinstem Garn und Gewebe«, erklärt sie und streicht demonstrativ über ihr Kleid.

      »Sid ist genauso begeistert von seiner Tätigkeit wie du von deiner, Mina«, bemerkt Maria.

      Mina nickt. »Ja, ja, selbstredend und das zum Wohle aller, ansonsten wäre es ja eine Verschwendung. Denkst du an Kleidung, denkst du an Mina, sag ich immer«, erwidert sie und lacht herzhaft.

      »Also, Paul, komm einfach vorbei, sobald du Zeit hast. Mein Haus ist dort drüben.« Sie zeigt auf eines der wenigen dreistöckigen Gebäude.

      »Gerne, Mina.«

       Als wir schließlich an Marias Haus ankommen, höre ich Mina über den gesamten Platz rufen: »Hallo Ingrid, hast du die Decken bekommen? Was sagst du zu den Blumenmustern? Sind die nicht fantastisch?«

       Ich blicke zurück und sehe sie auf der anderen Seite des Platzes mit einer Frau überschwänglich diskutieren.

      »Ja, sie ist schwer zu überhören«, meint Maria, »darum probt sie auch für dieses neue Theaterstück. Ich glaube, es heißt: Der Sonnenschirmmacher

      »Das klingt sehr ... tiefsinnig«, erwidere ich.

       Ihr Grübchen am Mund vertieft sich, und sie lächelt.

      Vor der Tür fällt mir wieder der kunstvolle Türknauf auf.

      »Das ist ein ungewöhnlich aufwendiger Knauf«, bemerke ich.

      Sie nickt. »Es ist etwas verrückt ... ich habe es bisher noch niemanden erzählt. Aber eines Nachts träumte ich von einem Blumenfeld, und überall flogen Schmetterlinge herum. Als ich eine der Blüten berühren wollte, verwandelte sie sich in meiner Hand zu einem Türknauf.«

      »Nicht gerade etwas, dass ich mit einer Blume verbinden würde«, erwidere ich.

      »Na ja, am Tag zuvor hatte sich der alte Griff von meiner Tür gelöst, er fiel immer wieder ab, gewissermaßen ist er dann wohl in meinem Traum gelandet.«

      »Und dann hast du ihn in der Schmiede anfertigen lassen?«

       Sie greift den Knauf und drückt die Tür auf.

      »So einfach war das nicht. Nahezu jede Fertigkeit aus Memoria war letztlich für die Umsetzung nötig. Ich wollte es schon einige Male abbrechen. Ich meine, es ist ja albern, so ein Aufwand für einen Knauf. Aber es war nicht mehr zu stoppen.«

      »Wegen dem Traum?«

       Sie schüttelt