Robert Hoffmann

Die unbeschriebene Welt


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... also, ob das Sicherheitssystem jemals aus war. Bisher hab ich nichts dazu gefunden, aber du kannst mir an der Konsole dort drüben gerne helfen.«

       Am anderen Ende der Halle mischen sich ihre Stimmen mit dem Summen der Schmiede. Ich frage mich, wo die nötige Energie zum Betreiben einer solchen Anlage herkommt, da sehe ich eine große Tonne, randvoll mit Globen. Anscheinend wird hier wirklich alles mit diesen blauen Kugeln angetrieben. Dennoch verblüfft es mich, dass ein so hoher Energiebedarf, wie er für das Schmelzen von Erz nötig ist, von diesen kleinen Kugeln kommen soll. Die Halle ist etwas verwinkelt, überall ragen Leitungen und kleinere Luken hervor. Die Außenwände sind fensterlos, aber das Dach ist großflächig verglast. In der Ecke der Halle gibt es einen kleinen Raum. Ich blicke durch das runde Fenster in der Tür. An diversen Haken hängen verschiedene Werkzeuge. Auf dem Boden liegen ein paar Reifen. Vermutlich eine Art Werkzeugraum für das Vehikel. Ich folge für einige Meter einem Bündel von Rohrleitungen und gehe dann auf der gegenüberliegenden Seite zurück in die Mitte der Halle. Einige Kanister stehen auf einer Palette herum, daneben befindet sich ein Anhänger — sicher für den Tog, um die Rohstoffe zu transportieren. Das allgegenwärtige Summen schwillt ab und ich kehre zu Maria und Sid zurück.

      »So, das war die letzte Schmelzung für heute«, bemerkt Sid.

      »Vielleicht liegt es am Erz«, höre ich mich überrascht sagen.

       Sid streift sich mit der Hand über den Mund.

      »Interessant!«

       Ich schaue durch die Fensterscheiben auf die angehaltenen Förderbänder.

      »Das könnte erklären, warum es früher keine Probleme gab. Das Erz war nicht belastet, vielleicht kam es von einem anderen Ort«, bemerke ich.

      »Das ... ja ... das kam es ganz sicher. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Das alte Erz ... davon hab ich noch was, ... aus der dritten Charge ... ja ... «, murmelt er und wendet sich der Konsole zu. Seine Hände fliegen über die Oberfläche und die leuchtenden Symbole flimmern auf.

       Maria beugt sich zu mir herüber.

      »Na, da hast du ihm was zum Grübeln gegeben. Nun ist er wieder in seinem Modus, ... wir nennen ihn den Sid-Modus. Er vergisst dann zu essen und zu schlafen, ja und vermutlich sogar zu atmen«, erklärt sie. »Nicht wahr, Sid?«

      »Was? Ja ... ich muss die Schmelzung kurz starten, ist nur für ne Probe von Charge drei, okay?«, erwidert er, ohne seinen Blick von der Konsole zu lösen.

      »Sicher, Sid«, meint Maria und das Brummen setzt wieder ein.

       Sie zeigt zum Ausgang.

      »Lass uns zurück gehen, ich denke, das reicht wohl für eine erste Besichtigung.«

      Auf dem Rückweg erklärt mir Maria, dass es bisher eigentlich keine Schwierigkeiten mit der Schmiede gab, bis kurz vor dem letzten Gründungsfest die Getreideverarbeitung stoppte.

      »Erz schmelzen, Holz verarbeiten, Mehl erzeugen ... und das könnt ihr alles über die Konsole eingeben?«

      »Gewissermaßen, aber es dauerte, bis wir das alles herausfanden. Übrigens, Will hat mir erzählt, dass er dort in diesem Werkzeugraum die Qs gefunden hatte.«

       »Ach so, die gab es auch schon wie den Tog und den Brunnen?«

      »Richtig.«

       Wir laufen eine Weile den kurvigen Weg entlang, dann tauchen wieder die ersten Häuser auf.

      »Wie hat dir eigentlich meine Suppe geschmeckt?«, fragt sie plötzlich.

       Ich schmunzle.

      »Es war die beste Suppe, an die ich mich entsinnen kann.«

      »Was ... ja hier nicht so viel heißt«, entgegnet sie.

       Ihr Grübchen kündigt wieder das Lächeln an.

      »Ich fand sie sehr lecker.«

      »Ich mache sie aus Karmonknollen und Lauchkraut. Ohne Beihilfe der Schmiede. Also sollte es zumindest bei der Suppe zu keinen Engpässen kommen«, erwidert sie.

      »Ich verstehe. Denkst du an Suppe, denkst du an Maria!«, erwidere ich.

       Sie lacht lauthals.

      Der Sonnenschirmmacher

      (.| )

      Vom Balkon aus betrachte ich den alten, knorrigen Baum in der Mitte des Platzes. Die Morgensonne wirft lange, goldgelbe Schatten. Es sind nur wenige Tage vergangen, seitdem ich die Stadt zum ersten Mal betrat und dennoch finde ich mich in Memoria gut zurecht. Die Menschen hier besitzen eine Ruhe, die schwer mit Worten zu beschreiben ist. Die meisten fanden etwas, dass sie mit großer Hingabe tun. Ob es Brot backen, Getreidefelder bestellen oder Kleidung schneidern ist, sie tragen ihren Teil zur Gemeinschaft bei; dies gibt ihnen eine innere Zufriedenheit, die sich auf andere überträgt. Und obwohl viel Arbeit in allem steckt, ist das Leben von einer mühelosen Leichtigkeit geprägt.

      Was ist mein Beitrag? Wann stelle ich etwas in das Bona-Fama? Mich fordert natürlich niemand dazu auf, dennoch — es nagt an mir. Ich nehme das Q und lege eine Notiz an. Zunächst sollte ich herausfinden, was ich überhaupt kann. Da ich keine Erinnerung mehr habe, muss ich wohl einiges ausprobieren. Am besten, ich erstelle mir eine Liste. Es müsste etwas sein, das mich interessiert. Ich beginne zu schreiben:

      Wo bin ich hier?

      Gibt es noch andere Städte wie Memoria?

      Wieso sind wir hier alle erinnerungslos aufgewacht?

      Mir wird klar, dass es die Rätsel dieser Welt sind, die mich interessieren. Aber wie kann dies für das Bona-Fama nützlich sein? — Die Gegend zu erkunden könnte vielleicht zu einer Karte führen. Ich berühre wieder das Q, die Buchstaben flackern kurz auf und verblassen dann gänzlich. Mein Finger streift über die Oberfläche, aber es bleibt ohne jede Reaktion — nur noch ein flaches Stück Metall. Beim Ablegen des Qs merke ich eine Spannung in der Haut, die von der rechten Schulter bis zum Oberarm reicht. Dieses Spannungsgefühl plagte mich schon die ganze Nacht. Die Haut fühlt sich dort uneben und verdickt an. Ich blicke in die verspiegelte Tür meines Kleiderschranks. Auf dem Rücken, der Schulter und dem Oberarm ist die Haut hell, porenlos und mit leichten Vernarbungen durchzogen. Ich erschrecke für einen Moment, prüfe dann die Haut an der anderen Schulter — dort ist alles normal. Was ist mit mir passiert? Ein Unfall? Ich schaue meinem Spiegelbild in die Augen, als könne ich eine Antwort herauslesen. Es ist ein seltsames Gefühl, als hätte jemand Fremdes sich meinen Körper ausgeborgt und ihn beschädigt wieder zurückgegeben. Ich werde am besten Jules einen Blick darauf werfen lassen und ihn auch gleich fragen, was mit dem Q los ist.

      ***

      »Jules wohnt am Rande der Stadt, nördlich vom Brunnenplatz«, erklärt mir Maria. »Es ist das Gebäude mit dem Gewächshaus im Vorgarten.«

      »Danke, warst du gerade auf dem Weg zu mir?«, erwidere ich.

       Sie schüttelt den Kopf.

      »Sid kam gestern noch aufgeregt zu mir und meinte, dass du vermutlich recht hattest mit dem Erz. Ich bin auf der Suche nach Will, um ihm zu sagen, dass er sich den Tog nehmen soll. Wir brauchen anderes Erz, für weitere Tests.«

      »Wisst ihr schon, wo es noch anderes Erz gibt?«

      »Ja, in Richtung des Secum liegen einige Gesteinsfelder, aber das war uns bisher zu weit weg.«

      »Gibt es eigentlich noch mehr Siedlungen wie Memoria?«

       Maria dreht sich langsam von mir weg.

      »Anfangs haben wir die Gegend etwas sondiert, aber wir sind auf keine weiteren Siedlungen gestoßen. Alles, was wir weit draußen fanden, waren Brunnen.«

      »Ach, es gibt noch andere Brunnen?«

      »Paul, lass uns besser ein anderes Mal darüber sprechen. Ich habe dort hinten gerade Will gesehen.«

      »Natürlich«, meine ich, kann jedoch meine Enttäuschung nicht verbergen. Maria dreht sich um, geht einige Schritte,