Robert Hoffmann

Die unbeschriebene Welt


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er sich wieder öffnet, betritt Phil ein einfaches Zimmer mit einem kleinen Tisch. Er greift unter seinen Mantel, zieht das Buch hervor und legt es darauf ab. In den nächsten Szenen sieht man ihn in die Seiten vertieft.

      »Das ist es!«, ruft er mit einem Mal. »Ich muss die Feuerhöhlen durchqueren, den Pfad durch das blaue Moor beschreiten, und dem Fluss Somnus zur Quelle folgen. Hier steht es: An der Quelle des Stroms grab ich meine Wurzeln, an der Quelle ergießt sich mein Wissen in den Schlaf.«

      Phil erkundigt sich in der Stadt nach der Feuerhöhle. Einige erzählen ihm von einer Felsengrotte, andere von Klüften, in denen Bären hausen. Schließlich findet er jemanden, der ihm von einer glühenden Höhle im Süden berichtet. In den nächsten Szenen irrt Phil mit einer flackernden Laterne über die mit grauen Tüchern verhangene Bühne. Hin und wieder tauchen leuchtende rauchende Spalten auf. Bei dem Überspringen einer breiten Lavaspalte verbrennt er sich beinahe den Fuß. Er irrt durch die Gänge. Immer mehr glühende Risse und Spalten tun sich um ihn herum auf. Phil ist orientierungslos und blättert hektisch durch das Buch.

      »Ja ... hier ist eine Karte der Höhle, ... aber ... wo bin ich?«

       Schließlich betritt er einen großen Dom, von dem drei Abzweigungen weiterführen.

      »Diese Stelle, sie war doch markiert ... ja ... die große Kreuzung ... hier ist es!«, ruft er und tippt auf die Karte. Er findet die Orientierung wieder und folgt dem eingezeichneten Weg.

      Als er endlich aus der Höhle tritt, liegt kein Moor, sondern eine Steppe vor ihm. Unbeirrt setzt Phil seinen Weg fort. Die Nacht bricht herein, und ein heulendes Geräusch schreckt ihn auf.

      »Wer ist da?«

       Knurrende Darsteller umkreisen ihn auf allen vieren. »Wölfe«, höre ich Will neben mir flüstern. Sie greifen ihn an. Er versucht, sich mit einem Knüppel zur Wehr zusetzen. Inmitten des Chaos fällt der Vorhang. Unruhe im Publikum.

      Als sich der Vorhang öffnet, ist der Kampf vorbei, und Phil hält sich den blutenden Kopf.

      »Nur das Ohr, ... mehr bekommt ihr nicht von mir!«, flucht er.

       Phil verbindet sich mit einem Tuch den Kopf und setzt seinen Weg fort. Nach einer Weile sieht er in der Entfernung die Lichter einer Siedlung. Er ist völlig euphorisiert, als er erkennt, dass ein schmaler Fluss aus ihr herausführt.

      »Der Somnus! ... Bald werden all meine Mühen belohnt.«

       Phil betritt die Stadt und ist sichtlich verwirrt, als er feststellt, dass niemand dort je von dem Baum der Wahrheit gehört hat.

      »Die Quelle des Flusses liegt etwas außerhalb der Stadt«, erklärt ihm ein Anwohner. »Allerdings ist dort mittlerweile ein Stausee.«

       In der nächsten Szene steht Phil auf einer Holzkonstruktion — dem Staudamm — und beugt sich kopfschüttelnd über das Geländer. Nicht weit von ihm schlägt jemand mit einer Axt einen Holzpfahl spitz. Er bemerkt Phil und stellt seine Arbeit ein.

      »Ziemlich beeindruckend, nicht wahr?«, meint er. »Der Damm treibt alle unsere Mühlen und Maschinen an. Ich bin Murus, der Dammwächter.«

       Phil blickt ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht an. »Ihr Narren! Ihr habt den Baum der Wahrheit ertränkt. Warum habt ihr das getan?«

       Murus schaut ihn verwirrt an.

      »Da ... da unten im See sind viele Bäume, aber ... es sind ja nur Bäume.«

       Außer sich vor Wut greift Phil Murus an und schlägt ihn zu Boden. Er nimmt die Axt an sich und haut sie krachend in einen der Pfeiler der Konstruktion.

      »Ich werd dich wieder zurückholen. Es ist nicht meine Schuld. Sie wussten nicht, was sie taten!«

       Murus rappelt sich wieder auf und packt Phil von hinten.

      »Nein! Bist du wahnsinnig? Der Damm wird brechen, und alle in der Stadt werden ersaufen!«

       Sie kämpfen um die Axt, bis Murus stolpert und zu Boden stürzt. Phil steht über ihm und holt zu einem Schlag aus.

      Ich spüre Marias Hand auf meinem Arm.

       Phil verharrt in der Ausholbewegung. Ein dünner Vorhang fällt herab. Nur wenige Sekunden später öffnet sich der Schleier. Phil hält immer noch die Axt in der Hand, jedoch liegt nun nicht Murus, sondern Mina am Boden. Sie streckt ihm den Arm entgegen. »Phil, es ist an der Zeit; verliere die Welt, erlange die Freiheit!«

       Er schreckt zurück und lässt die Axt fallen. Sein Körper sackt in sich zusammen, er kauert nieder und weint bitterlich. Der Vorhang senkt sich. Ein Licht fällt auf den rechten Bühnenrand. Mina tritt in den leuchtenden Kegel.

      »Es war gewiss nicht leicht für Phil, seine Suche aufzugeben. Für einige Zeit spürte er nichts mehr, nahm die Welt um ihn herum kaum wahr. Die Tage vergingen und er beschloss, ohne ein Ziel vor Augen, weiter zu ziehen.«

       Der Vorhang öffnet sich. Phil steht an einer Reling, hinter ihm sind weiße Wolken, aufgemalt auf einer blauen Leinwand zu sehen. Taue und Verstrebungen verlaufen von einem Mast bis zu der Reling herab. Jemand nähert sich ihm von der Seite, ich erkenne ihn wieder, es ist derselbe Kapitän, der ihn einst aus dem Ozean fischte.

      »Und, ... konnten sie den Baum der Wahrheit finden?«, fragt er.

      Phil zögert. »Nein.«

      »Es ist eben doch nur eine Legende«, erwidert der Kapitän.

      »Ich weiß nicht, ... aber selbst wenn es ihn gäbe, welcher Antworten könnte ich überhaupt gewahr werden, wenn mich die Suche nach ihm erblinden und ertauben lassen?«

       Beide blicken für einige Zeit auf das Meer.

      »Wir sind auf dem Weg nach Altus, einem kleinen Land auf einer Halbinsel im Norden. Der König persönlich wird seine Lieferung entgegennehmen. Er liebt solche Geschichten, sie sollten ihm diese nicht vorenthalten.«

       In der nächsten Szene legt das Schiff am Hafen an und der Kapitän stellt Phil dem jungen König vor. Sie kommen schnell ins Gespräch und Phil schildert, wie er unter Affen lebte und von seiner Suche nach dem Baum. Der König ist völlig fasziniert von den Abenteuern und lädt ihn zum Speisen an seinen Hof ein. Dort erzählt Phil von seiner Leidenschaft Sonnenschirme anzufertigen. Der König erwidert, dass er zufällig nach einem Hoftischler Ausschau halte.

      »Wenn es euch gelänge, unseren Hof mit einigen von euren Schirmen zu erfreuen, würde ich euch die Stelle eventuell offerieren«, meint der König und prostet Phil zu.

      »Wenn ihr mir eine kleine Werkstatt bereitstellt, werde ich sofort damit beginnen«, erwidert Phil.

       Inspiriert von dem Giebel eines hohen Turmes, den er vom Palast aus mitten in der Stadt emporragen sieht, formt er seine Sonnenschirme. Die Leute am Hof sind begeistert. Seine Schirme werden schnell zur Mode und er wird zum königlichen Hoftischler ernannt. Er erhält einige Zeichnungen, nach denen er neue Möbel anfertigen soll. Phil ist über die seltsamen Formen verwundert, will jedoch den König nicht enttäuschen.

      »Ist euch von den Aufständen in der Stadt zu Ohren gekommen?«, fragt der König Phil eines Tages.

      »Nein, ich arbeite den ganzen Tag an euren Möbeln. Gegen was begehren sie denn auf?«

      »Diese ... Bauern glauben, ich würde zu viele Abgaben verlangen. Sie haben keine Vorstellung davon, wie aufwendig es ist, das Land zu verwalten. Ich liege oft in der Nacht wach und sorge mich, ... ja, sorge mich um jeden einzelnen Bürger. Aber mir scheint, dass nicht jeder meine Sorge verdient.«

      »Und wenn ihr versucht, es ihnen zu erklären?«, erwidert Phil.

       Der König lacht mit einem Geräusch, das mich irgendwie an eine knarrende Tür erinnert.

      »Es sind Bauern und Mägde! Sie können es nicht mit ihren kleinen, winzigen Schädeln begreifen, dafür wurden sie nicht geschaffen«, entgegnet er.

       Nun folgen größere zeitliche Sprünge. Phils Werkstatt vergrößert sich, und er bekommt Untergebene. Er nimmt an Leibesfülle zu. Seine Kleidung wird immer pompöser. Allerdings kann er sich an dem Luxus