Robert Hoffmann

Die unbeschriebene Welt


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sicher.«

      »Schön, ich hole dich dann ab.«

       Ich schaue ihr kurz nach und setze schließlich meinen Weg zu Jules fort.

      ***

      »Das sind Brandwunden! Meines Erachtens gut verheilt. Die Vernarbungen führen zu dem Spannungsgefühl, ist infolgedessen normal. Ich hole dir etwas zum Eincremen der Narben,« erklärt Jules und geht aus dem Zimmer.

       Ich schätze ihn auf Ende fünfzig, allerdings ist das schwer zu sagen, er besitzt eine sehr dynamische Ausstrahlung. Seine Haare sind grau meliert und seine Schläfen schneeweiß. Die blaugrauen Augen haben einen präzisen, durchdringenden Blick. Seine Wohnung sieht aus wie eine Mischung aus Gewächshaus und Labor. Auf dem Tisch liegt ein Stapel von Qs. An den Wänden hängen einige Skizzen von der Schmiede und dem Brunnen. Auf der anderen Seite des Raumes gibt es ein Regal mit Töpfen, in denen die verschiedensten Pflanzen wachsen.

       Er betritt schnaufend das Zimmer.

      »Hier habe ich dir einen Becher davon aufgefüllt«, sagt er und reicht mir ein kleines Glasgefäß mit einer gelben Salbe.

      »Einmal täglich, am besten kurz vor dem Zubettgehen, dünn auftragen, das sollte das Spannungsgefühl deutlich lindern.«

      »Danke, Jules.«

       Er schaut mich musternd an.

      »Normalerweise würde ich diese Frage nicht mehr stellen, aber ... erinnerst du dich an irgendetwas bezüglich der Brandwunden?«

      »Nein, leider nicht. Kannst du abschätzen, wie alt die Wunden in etwa sind?«

      »Ich würde, angesichts des Heilungszustandes, auf ein bis zwei Jahre schätzen.«

       Ich greife in meine Tasche und nehme das Q heraus.

      »Maria meinte, dass du dich am besten mit den Qs auskennst. Es ist plötzlich einfach ausgegangen.«

       Er nimmt das Q und schaut es prüfend an.

      »Hm ... die Energie wird aufgebraucht sein, kommt nicht allzu oft vor.«

       Er geht zu dem Regal, legt das Q auf einen dunklen Kasten und wirft einen Glob hinein.

      »Ist das eine Ladeplatte?«

      »Korrekt.«

      »Du hast hier sehr viele von den Qs«, sage ich und zeige auf den Stapel, »bist du der Einzige, bei dem man sie aufladen kann?«

       Er schüttelt den Kopf.

      »Keineswegs. Vielleicht besitzt nicht jeder eine Ladeplatte, aber einige schon. Ich experimentiere zurzeit mit den Qs, daher ist es sehr nützlich eine davon hier zu haben«, erzählt er und zeigt auf die Notizen.

      »Experimente? Was versuchst du herauszufinden?«

       Er zieht seine grauen Augenbrauen hoch.

      »Ja ... wir Spätankömmlinge sind wissbegierig, das haben wir den anderen voraus«, meint er. »Ich möchte besser verstehen, wie die Qs funktionieren und wie sie kommunizieren, beziehungsweise ob sie untereinander Daten versenden können.«

      »Du meinst, sodass wir uns Nachrichten schicken könnten?«

      »Richtig, sodass wir uns Emails schicken können«, erklärt er und fixiert mich mit seinen blaugrauen Augen. »Email ... sagt dir das etwas, Paul?«

      »Ja ... jetzt wo du es erwähnst ...«

       Seltsam, wie mir in Memoria immer wieder Wörter begegnen, die bisher bedeutungslos waren, so als hätte es sie und das, was sie beschreiben, zuvor gar nicht gegeben.

      »Sich Nachrichten mit dem Q schicken zu können, wäre natürlich praktisch. Aber wieso glaubst du, dass die Qs dazu überhaupt in der Lage sind?«

      Er nickt. »Zum einen können die Qs bereits mit der Schmiede kommunizieren. Allerdings bisher nur, wenn sie direkt auf der Konsole liegen«, entgegnet er, nimmt ein Q von seinem Tisch und reicht es mir herüber. »Versuche mal damit auf deine Texte zuzugreifen.«

       Ich öffne die Tastatureinblendung und sehe dort, obwohl es ein anders Q ist, tatsächlich meine Texte.

      »Also werden die Daten nicht im Gerät gespeichert, aber wo dann?«

       Er hebt den Zeigefinger.

      »Richtig, das ist die Frage. Meiner Meinung nach im Brunnen.«

      Ich nicke. »Ja, das würde Sinn machen, schließlich ist der Brunnen die Grundlage von Memoria. In dem Fall müssten die Qs mit dem Brunnen natürlich in Verbindung stehen. Aber ... Moment, warum funktioniert es dann nicht schon? Wieso sehe ich nur meine Texte und nicht alle, die auf dem Brunnen gespeichert sind?«

       Jules zieht wieder seine grauen Augenbrauen hoch und nickt.

      »Paul, du besitzt eine schnelle Auffassungsgabe. Du siehst nur die Daten, welche zu deinem Login gehören.«

      »Login? Ich habe mich doch gar nicht eingeloggt.«

      »Dies geschieht demzufolge automatisch. Meines Erachtens über den Fingerabdruck bei der ersten Berührung«, erklärt er.

      »Das ... wäre durchaus möglich.«

       Er setzt sich an seinen Schreibtisch und zieht eine Schublade heraus.

      »Paul, erkennst du diese Geräte?«

       Ich gehe zu dem Tisch und blicke hinein. Dutzende schmaler Plastikkarten und andere flache Objekte in verschiedenen Farben und Formen sind zu sehen. Ich überleg kurz, dann fällt es mir ein.

      »Das sind Handys!«, stelle ich fest, »Wo hast du sie her?«

       Seine Stimme wird tief und seine Augen verengen sich.

      »Ich wusste es! Paul, ist es dir nicht auch schon aufgefallen? Wir sind anders.«

      »Was? Wegen der Handys?«

      »Unsinn! Die Leute kamen damit einfach zu mir, sagten, dass sie das bei sich trugen, als sie hier ankamen.«

      »Und, funktionieren sie noch?«

      »Nein. Ich habe versucht, sie aufzuladen, aber sie sind alle defekt«, erwidert er und schiebt die Schublade wieder zu, »doch das ist nicht der Punkt. Was ich meine ist, dass wir später als alle anderen hier ankamen, infolgedessen sind wir anders. Wir können uns schneller an solche Begriffe wie Handy oder Email erinnern ... und wir wollen wissen, was passiert ist.«

       Ich komme ins Grübeln. Kann das sein? Ist die Wirkung des Gedächtnisverlustes bei uns schwächer?

      »Vielleicht ist da was dran«, erwidere ich zögerlich.

       Er wird immer unruhiger.

      »Es ist evident! Und nicht nur das, die Leute haben aufgegeben.«

      »Inwiefern aufgegeben? Memoria ist doch voller Leben und überall diese Kunstfertigkeit.«

      »Sie haben aufgehört, sich die wichtigen Fragen zu stellen: Wo kommen wir her? Was ist passiert? Wer sind wir? Das interessiert sie nicht mehr, sie sind wie indoktriniert«, entgegnet er mit solcher Empörung, dass seine Wangen erröten.

       Ich schüttle den Kopf. »Nein, das glaub ich nicht. Sie haben viel herausgefunden über den Brunnen und die Schmiede.«

      »Sicher, ich sage ja nicht, dass sie nichts täten. Aber alles, was vor Memoria war, ist ihnen egal.«

       Er hält kurz inne und schaut aus dem Fenster.

      »Paul, sag mir, was denkst du, wo wir hier sind?«

      »Ich weiß nicht, vielleicht auf einer Insel?«

       Er lacht laut.

      »Du meinst, auf der Erde? Und wie erklärst du dir den 28-Stunden-Tag?«

      »Das ... sicher ein Messfehler ... ich habe darüber noch nicht nachgedacht, aber wo sonst?«

      »Dann hast du es noch nicht gesehen?«

      »Was gesehen?«

      »Sie