Robert Hoffmann

Die unbeschriebene Welt


Скачать книгу

wahrscheinlich für verrückt halten. Du musst es dir selbst anschauen.«

      »Was?«

      »Nimm dir den Tog und fahre immer entgegen der Richtung des Wolkenzugs«, erklärt er und zeigt aus dem Fenster.

      »Was ist dort?«

      »Das musst du herausfinden.«

       In diesem Moment klopft es an der Tür.

      »Ja, ich komme!«, ruft er. »Siehst du, dein Q ist wieder voll einsatzbereit«, erklärt er ruhig, als hätte die Diskussion nie stattgefunden.« Er reicht mir das silberne Gerät und geht zur Tür.

      »So, Paul, ich habe nun im Theater zu tun. Du kommst doch morgen Abend zur Aufführung?«

      »Ja, mit Maria.«

      ***

      »Das wird großartig!«, meint Will, während wir uns auf den Weg zu meinem Haus machen. Ich packe mir den großen Stoffsack und schwinge ihn mir über die Schulter.

      »Mina hat mir da wirklich viel Kleidung gegeben. Gut, dass du mir beim Tragen hilfst.«

      »Natürlich, du musst heute Abend schließlich was hermachen.«

      »Worum geht es in dem Theaterstück überhaupt?«

      »Mina wollte mir nichts verraten. Ich weiß quasi nicht mehr, als dass es von einem Sonnenschirmmacher handelt. Maria war übrigens gestern auch bei Mina ... hat sich ein wirklich schönes Kleid ausgesucht«, meint er und lächelt mich an.

       Die Dielen der Holzbrücke knarren unter unseren Füßen. Ich muss an Maria denken, an ihren schwungvollen Gang und wie sich ihre braunen Haare über der Schulter kräuseln.

      »Hat sie mit dir bereits über das neue Erzfeld gesprochen?«, frage ich.

      »Ja, ich werde mich gleich morgen auf den Weg machen. Willst du nicht mitkommen?«

      »Natürlich, das wollte ich dich gerade fragen. Warst du schon einmal dort?«

      Er nickt. »Ich bin dem Secum schon einmal gefolgt, hab die Erzfelder aber nur von Weitem gesehen. Damals, als wir noch die Gegend erkundet haben.«

      »Warum habt ihr das Erforschen der Umgebung aufgegeben?«

      »Naja, es gab keinen zwingenden Grund mehr dafür.«

      »Keinen Grund? Die unbekannte Gegend zu erkunden kann nur von Vorteil sein, dafür braucht man doch keinen weiteren Grund?«

       Er hebt abwehrend die Hand.

      »Paul, da redest du quasi mit dem Falschen. Ich fahre gern mit dem Tog raus. Ja ... und morgen ist es wieder so weit, das wird ein Riesenspaß!«

      »Ich würde danach gerne noch einmal zum Wasserfallplateau. Mein Notizbuch muss dort oben irgendwo liegen.«

      »Ach so? Können wir machen ... mal gucken, ob die Treppen überhaupt noch stehen.«

       Als wir an meinem Haus ankommen, reicht mir Will den Stoffsack mit der Kleidung.

      »Okay, ich geh dann mal rüber zu Austin. Werd ihm sagen, dass wir morgen den Tog brauchen. Wir sehen uns dann nachher im Theater«, meint er.

      »Gut. Bis dann.«

      Nachdem ich einige Jacken, Hemden und Hosen durchprobiere, finde ich schließlich etwas, das mir angemessen erscheint. Die restliche Kleidung sortiere ich in den bisher nahezu leeren Schrank ein. Ich nehme mein Q und setze mich in den Sessel. Maria wird sicher bald kommen, die Dämmerung legt sich bereits über die Stadt. Mir fällt wieder das seltsame Gespräch mit Jules ein. Ich denke, ich sollte Maria davon vorerst nichts erzählen. Es erscheint mir sinnlos, irgendwo hinzufahren, um nach etwas zu suchen, von dem ich nichts weiß. Ich schaue auf mein Q und frage mich, ob es tatsächlich mit dem Brunnen in Verbindung steht. Sich Nachrichten mit den Qs schreiben zu können, würde die Kommunikation natürlich erheblich vereinfachen. Vielleicht könnten wir dann auch Kontakt mit anderen Siedlungen aufnehmen, sofern es da draußen überhaupt noch weitere gibt.

      »Wer sitzt denn hier so betrübt?«, höre ich plötzlich eine Stimme.

      »Maria! Wo sind die ... Sonnen...«, stottere ich.

       Sie trägt eine rote Schleife im Haar und ein ebenso rotes, langes Kleid, das mit einem silbernen Blumenmuster durchsetzt ist. Sie schaut mich andächtig mit ihren tiefen, braunen Augen an.

      » ...schirme!«, versuche ich, meinen Satz zu beenden.

      »Sonnenschirme? Naja, bei dem Wetter sollten es besser Regenschirme sein, aber noch ist alles trocken«, erwidert sie.

      »Dann sollte das Stück wohl besser Der Regenschirmmacher heißen?«

      »Ach, das klingt so trübsinnig, dann würde ich es mir nicht anschauen wollen«, erwidert sie und ihr Grübchen kündigt ein Lächeln an.

       Ich streife mir das Jackett über und wir machen uns auf den Weg.

      »Wo befindet sich das Theater eigentlich?«

      »Es liegt vor dem großen Tor, etwas außerhalb von Memoria, in einer breiten Senke. Daher haben wir es ohne dem Brunnen, komplett mit eigenen Händen, errichten müssen.«, erklärt sie.

      »Wieso ausgerechnet dort?«

      »Es heißt, dass Mina beim Pilze sammeln im Wald, ein Lied vor sich hingesungen hat. Ja ... und da sei ihr dort die perfekte Akustik aufgefallen.«

      »Mina singend beim Pilze sammeln im Wald? Das hört sich beinahe selbst wie ein Theaterstück an.«

       Sie lacht und gibt mir einen Klaps auf den Arm. Von allen Seiten treffen immer mehr Menschen zusammen und strömen den Weg hinunter zum Theater. Das Gewirr von Stimmen und Gelächter erzeugt eine knisternde, erwartungsfrohe Atmosphäre.

      Das Theater ist größer, als ich es erwartet hatte. Die Senke ist kreisförmig und nimmt zur Mitte hin an Steigung ab. Es erinnert mich von der Form an etwas, ... dessen Name mir im Moment nicht einfallen will. Die Bühne wurde in den gegenüberliegenden Hang hineingebaut. Sie erstreckt sich bis beinahe zur Mitte des Beckens und wird von einer aufwendigen Holzkonstruktion umrahmt. Die in einem Halbkreis angeordneten, weißen Bänke reichen Reihe für Reihe bis zum obersten Rand der Mulde. Jetzt fällt es mir ein — die Form erinnert mich an eine riesige Radioschüssel. Dieser Eindruck wird von einem schlanken Mast, der vom Bühnengerüst bis in die Mitte ragt, noch verstärkt. Von ihm aus verlaufen Gewebebahnen wie die Speichen eines Rades über das gesamte Theater. Den Eingang säumen zwei lebensgroße Holzfiguren. Eine davon stellt eine Frau in einem langen Gewand dar, sie hat die Augen geschlossen und ist in ein Harfenspiel vertieft. Bei der anderen Figur handelt es sich um einen Mann, der mit gespitzten Lippen in eine Querflöte bläst.

      »Da ist Will«, bemerkt Maria und zeigt auf eine der hinteren Reihen.

      »Ihr seid ja spät dran«, meint er angespannt, als wir uns zu ihm setzen.

      »Der Bau ist sehr beeindruckend«, meine ich, »und das, wo er ohne Brunnen errichtet wurde.«

      Will nickt. »Ja, das war ein ganzes Stück Arbeit, hat echt ewig gedauert.«

       Maria meint, dass das Einsetzen der Bänke sogar länger gedauert hat als der Bau der Bühne selbst.

      Ein Gong erklingt. Der Ton schwebt für einige Sekunden klar und weich im Raum, bis er sich ausbreitet — an all den Ecken und Kanten bricht und schleichend an Stärke verliert. Zur selben Zeit schwillt ein gelbes Licht an, als würde es die Energie des Tons verschlingen und in Helligkeit umwandeln. Die Bühne löst sich nun leuchtend aus der Dämmerung heraus und der Vorhang gleitet geräuschlos zur Seite. Mina tritt in das Licht. Ein einfaches, weißes Gewand fällt von ihren Schultern in unzähligen Falten herab. Sie schreitet bis zum linken Bühnenrand. Ihr schweifender Blick scheint jede Reihe zu sondieren, dann hebt sie die Hand, als würde sie in dem lautlosen Theater um Ruhe bitten.

      »Es gibt Geschichten, die berichten von Helden und ihrem Kampf gegen übermächtige Dämonen, von Hinterlist, Mord, Liebe und Leidenschaft.