Robert Hoffmann

Die unbeschriebene Welt


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machen wollten. Sie sahen es gewissermaßen als eine Herausforderung an. — Das mit dem albernen Traum weiß niemand ... es bleibt natürlich unter uns«, meint sie und lächelt verlegen.

      »Natürlich.«

      »So, ich hole schnell das Q. Dann können wir weiter zur Schmiede«, sagt sie und geht ins Haus.

      Als Maria zurückkommt, reicht sie mir eine silberne Platte, die nicht größer wie ein Buchdeckel ist. Es wirkt wie ein mattes Stück Metall, mit abgerundeten Kanten. Ich berühre die Oberfläche und verstehe, warum es Q genannt wird. Es erscheint ein Kreis, aus dessen Mitte — wie bei einem Q — eine schräge Linie nach rechts unten verläuft. Das Symbol leuchtet kurz auf und verschwindet wieder. An meinen Fingerspitzen entstehen kleine leuchtende Symbole. Eines davon erkenne ich sofort, es zeigt die Buchstabenfolge: ABC. Ich wähle es mit einem kurzen Antippen aus und bekomme eine Tastatur und ein Textfeld eingeblendet.

      »Das Q kann unser Alphabet?«

      »Nun ja ... sie können Symbole verarbeiten. Das Alphabet brachte ihnen jemand von uns bei. Er hatte eine ungewöhnliche Begabung, mit der Technik hier umzugehen.«

      »Hatte?«

      »Ja, er ist eines Tages verschwunden, aber das war noch vor meiner Zeit. Will kannte ihn, er kann dir sicher mehr erzählen. Ach, und hier nimm diese Tasche, die ist sehr stabil und praktisch.«

       Sie reicht mir eine Umhängetasche mit einem breiten Riemen.

      »Danke. Wie schalte ich das Q eigentlich aus?«

      »Gar nicht. Die brauchen nur sehr wenig Energie, wir legen sie vielleicht einmal im Jahr auf die Ladeplatte. Die Bedienung ist selbsterklärend, aber wenn du mehr wissen möchtest, solltest du Jules fragen. Er kennt sich mit den Qs am besten aus.«

       Ich nicke, hänge mir die Tasche um und stecke das Q hinein.

      »Dann auf zur Schmiede. Wir müssen diesem Weg aus der Stadt folgen«, sagt sie und zeigt in eine Gasse neben dem Haus.

      Der Weg verläuft an bewachsenen, steilen Hügeln vorbei. Nach einiger Zeit betreten wir eine Lichtung, in deren Mitte ein großes Gebäude steht. Es sieht anders aus als alle bisherigen Bauwerke. Die gelben Wände sind unterbrochen von silbernen Strukturen, Schächten und Rohrleitungen. Zudem bemerke ich ein tiefes Summen. So tief, dass ich es eher durch den Körper als durch die Ohren wahrnehme.

      »Ich verstehe, warum die Schmiede sich nicht in der Stadt befindet«, sage ich.

      »Ja, und gelegentlich riecht es auch etwas unangenehm«, meint Maria.

       Vom Eingangstor des Bauwerks führt eine breite Rampe hinab zum Weg.

      »Es sieht gar nicht aus wie eine Schmiede, eher wie eine ... Fabrik.«

      »Genau das ist es auch. Eine automatische Fabrik. Wir geben Rohmaterialien in die Schächte und die Schmiede produziert das von uns zuvor in Auftrag gegebene Erzeugnis. So geben wir Erze aus der Umgebung hinein und können gewissermaßen jede Art von Metallteilen herstellen. Soweit funktioniert es wirklich wie eine Schmiede. Allerdings ist die Prozedur nicht nur auf Erze und die Metallgewinnung beschränkt. Aus dem Rohstoff Holz erzeugen wir Grundelemente für Möbel, aus bestimmten Pflanzen bekommen wir Textilien und aus Getreide gewinnen wir Mehl.«

       Ich stehe mit offenem Mund vor dem summenden Gebäude.

      »Erstaunlich! Jetzt wird mir klar, wie ihr diesen Wohlstand erreichen konntet.«

      »Fraglos, die Schmiede ist eine wichtige Grundlage für Memoria«, erwidert sie und mustert das Bauwerk. »Obwohl wir immer mehr herausfinden, gibt es auch Grenzen. So können wir nur Rohmaterialien hineingeben und nicht — sagen wir — Holz und Stoff zu einem fertigen Stuhl verbinden.«

      »Du meinst, die Schmiede erzeugt also nur die Rohprodukte?«

      »Richtig, und in der Stadt bearbeiten wir sie dann weiter, so wie Mina Stoff und Garn zu Kleidung und Alex Holzteile zu Möbeln verarbeitet.«

       Mit einem Mal quietscht es, eine Wand bewegt sich und Rohrleitungen schieben sich von unten nach oben.

      »Ach ja, und wie du siehst, das Gebäude ändert sich ständig. Es passt sich damit an die jeweiligen Aufträge an.«

      »Und wie erteilt ihr diese Aufträge?«

      »Die geben wir an einer Konsole in der Schmiede ein oder übertragen sie mit den Qs. Sid ist dafür unser Experte. Er ist sicher grade drin, lass uns hineingehen.«

       Wir laufen die Rampe hinauf. Maria schiebt das Tor auf, und wir gehen hinein. Das Innere der Schmiede wirkt wie eine Schaltzentrale und Fabrikhalle zugleich. An der Wand gegenüber des Eingangs befinden sich silberne Konsolen mit weiß leuchtenden Zeichen. Dahinter ermöglichen breite Fenster den Blick auf Förderbänder und Apparaturen. Davor steht ein Mann vielleicht um die dreißig mit kurzen roten Haaren. Er dreht sich um und ein Ruck geht durch seinen Körper.

      »Hey Maria, ich denke, ich hab‘s rausgefunden!«, platzt es aus ihm heraus, dann blickt er zu mir. »Ah, und du musst Paul sein?«

      »Ja, das hat sich schnell herumgesprochen«, erwidere ich.

      »Du erinnerst dich nicht zufällig noch an dein vorheriges Leben und könntest mir einige Fragen beantworten?«, sagt er mit einer Stimme, die erkennen lässt, dass er es nicht ernst meint.

      »Tut mir leid, da muss ich dich wohl enttäuschen.«

      Er nickt. »Tja, unsere Gehirne sind hier sozusagen einmal von irgendwas geröstet worden, ... ist wohl so ne Art Eintrittsbedingung«, erwidert er, wischt sich die Hand an der Hose ab und streckt sie mir entgegen.

       Maria stellt sich zwischen uns und blickt ihn an.

      »Du hast es? Das heißt, wir können wieder Nahrung produzieren?«

      »Also ... ich müsste noch einige Tests machen, aber wenn wir nicht gleichzeitig schmelzen ... dann sollte es klappen.«

      »Was hat das Schmelzen damit zu tun?«, fragt Maria.

      »Möglicherweise ist es ein Schutzsystem der Schmiede. Bei der Verflüssigung des Erzes kann es zum Ausstoß von Strahlung kommen, welche eventuell die Nahrungsmittel belasten könnte.«

      »Welche Strahlung?«, bricht es aus Maria heraus.

      »Ja, das war sozusagen auch meine Reaktion, wo ich hier doch so viel Zeit verbringe. Die Schmelzkammern sind von hier aus weit genug entfernt. Aber nicht die Verarbeitungskammer für die Nahrung.«

       Maria stellt sich vor eines der Fenster und blickt auf die Förderbänder.

      »Sie würde verstrahlt werden?«

      »Die Strahlungsdosis ist gering, sodass nur eine Dauerbelastung ein Problem wäre«, erklärt er.

       Maria setzt sich vor eine der Konsolen und beugt sich nachdenklich nach vorne.

      »Darum schaltet die Schmiede die Produktion ab. Und wir dachten immer, es sei ein Energieproblem. Wir müssen es einfach zeitlich abstimmen.«

      »Genau, nur wird das nicht einfach. Wir brauchen ein Zeitfenster von bis zu drei Tagen nach dem letzten Schmelzen. Und du weißt ja, dass unser Bedarf steigt. Wenn wir keine Lösung finden, wird es sicher zu Engpässen kommen«, erwidert Sid.

       Maria lehnt sich zurück und wendet ihren Blick wieder auf eines der Förderbänder.

      »Warum tritt dieses Problem erst jetzt auf? Die letzten Jahre funktionierte es noch reibungslos.«

      Sid nickt. »Zuerst dachte ich, es lag an der geringeren Auslastung. Dann schaute ich mir die alten Protokolle an ... also einige Male waren beide gleichzeitig in Betrieb. Ich weiß nicht, ... vielleicht war da das Schutzsystem noch nicht aktiviert?«

       Da ich nichts Wesentliches zur Diskussion beitragen kann, löse ich mich von beiden und fange an die Halle etwas zu erkunden.

      »Aber ... das heißt doch, wir haben damals allem Anschein nach verstrahlte Nahrung gegessen?«, höre ich aus der Entfernung Maria fragen.